E n be nhartes Machtmonster
Hector Berlioz’ „La Damnation de Faust“konzertant im Staatstheater
Die Video-Szenen wirken banal, vorhersehbar, unverständlich oder ablenkend. So macht nur die fantastische Musik den Wert dieser „dramatischen Legende= aus.
OLDENBURG – Wer „La Damnation de Faust” von Hector Berlioz auf die Bühne bringt, muss sich die leicht abgewandelte Gretchenfrage stellen: Sag an, wie hast du’s mit der Inszenierung?
Gar nicht, lautet die Antwort in Oldenburg. Das Seelendrama geht im Großen Haus als konzertante Aufführung zwar ins Repertoire, aber nicht in Szene. Und jene Video-Übermalung, die die Statik auf der Bühne auflockern soll, fängt kaum überzeugend an, ehe sie dann zunehmend schwächelt. „Légende dramatique“hat der Franzose seine musikalische Faust-Deutung von 1846 genannt. Mit Goethes zweifelnden Tatmenschen hat seine vom Lebensüberdruss befallene Figur aus Faust I wenig gemein. Es ist eine romantische Künstlerseele, verknallt in Marguerite, mit der Mephisto leichtes Spiel hat.
Eigentlich hatte Berlioz diesen Zwitter aus Oper, Oratorium, Kantate und sinfonischem Horrortrip auch nicht für eine Bühne konzipiert. Die plakative, aber selten vordergründige Musik schwappt über vor fantastischen Bildern. Die Zahl der überinszenierten und damit missratenen Verdammnisse des Doktor Faust dürfte generell höher sein als die der gelungenen. Trotzdem: Bremen hat vor eineinhalb Jahren mit einer tiefschürfenden Bühnenrealisation Furore gemacht.
In Oldenburg postiert sich das Orchester im Graben. Sängerinnen und Sänger von Opern- und Extrachor des Staatstheaters marschieren in Schwarz auf die Bühne wie Buchhalter zu einer Prüfung. Davor postieren sich die Solisten. Darüber spannt sich eine dreiteilige Videowand.
Christoph Girardet, weltweit gewürdigter Videokünstler, hat dazu die Szenen zusammengebastelt: Von zufälligen Filmausschnitten über buntes Archivmaterial, Wasserströmungen, symbolische Sequenzen, Insektenköpfe, Türschlösser, geordnet und ungeordnet rollende Tischtennisbälle, bis zu einer in Zeitlupe in die Falle tapsenden Maus.
Die Sequenzen wirken entweder banal, etwa bei rotierenden Spiralen, Luftballons, sich umkreisenden Lampen oder farbigen Kreisen. Sie sind vorhersehbar wie beim Rattenlied, das Brandner (IllHoon Choung/Bass) in Auerbachs Keller singt. Oder sie verärgern, wenn das Streben von Marguerites Seele gen Himmel durch eine ständig hochspringende Katze überverdeutlicht wird. Doch der Marsch der Soldaten durch aufziehbare und sich selbst zerlegende Roboter hat fast einen Schuss ins Geniale.
Davor ist zweieinhalb Stunden lang ein prächtiges Gesangs-Ensemble zu erleben. Jason Kim (spätere Alternativbesetzung Zoltán Nyári) führt als Faust seinen geschmeidigen Tenor ins Feld, trägt ihn klug über die herausfordernde Distanz, lässt ihn am liebsten lyrisch weit schweben. Kihun Yoon gibt mit seinem diabolischen Bass den Méphistophélès als beinhartes Machtmonster. AnnBeth Solvang als Marguerite vereinigt in ihrem Mezzo wunderschön Klang und Empfindung im „König von Thule” und in „Meine Ruh’ ist hin“. Faszinierend sind die feinen Schattierungen, die dem von Markus Popp einstudierten gewaltigen Chor gelingen und aus denen heraus er immer wieder aufwallende Wucht entwickelt.
Dem Dirigat von Vito Cristofaro fehlt es diesmal etwas an Kühnheit, etwa den Rakoczy-Marsch ironisch zu verfremden oder im Höllenritt die Klangballungen und Synkopen auch mal zu verzerren. Das Staatsorchester spielt solide und brav, glänzt auch mit klanglichen Juwelen (Englischhorn: Jan Bergström). Aber stoßen kann man sich dort, wo Kanten stehen müssten, auch nicht.
Dieser „Faust“ist ein gewagtes Unterfangen, das Respekt verdient. Das ist nicht zu verdammen, die Hörer erkennen das auch an. Es ist aber auch eins, in dem einiges besser gelingen könnte.