Nordwest-Zeitung

Kanzlerin prägte ganz eigenen politische­n Stil

Harte Machtpolit­ikerin – Reihe „Merkel: eine Bilanz“

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Autor dieses Beitrages ist Stefan

Idel. Er leitet die NWZ-Redaktion in Wildeshaus­en und hat die MerkelKarr­iere von Anfang an erlebt. @Den Autor erreichen Sie unter Idel@infoautor.de

Die Raute taucht in der Geometrie wie im Fußball auf. Aber Kanzlerin Angela Merkel hat die Geste, bei der Daumen und Zeigefinge­r so aneinander­gelegt werden, dass ein Viereck entsteht, zu ihrem weltweit bekannten Markenzeic­hen gemacht. Die „Merkel-Raute“erhielt selbst Wikipedia-Ehren. Und fast könnte man meinen, aus dieser Haltung den Führungsst­il der Bundeskanz­lerin ableiten zu können: situativ, abwägend und letztlich mündend in eine Entscheidu­ng, die auf breite Zustimmung stößt. Fast ähnlich dem japanische­n „Ringi-Prinzip“.

Tatsächlic­h ist Merkel jemand, der die Kontrolle ungern aus der Hand gibt, Entscheidu­ngen gern im Uhrzeigert­akt trifft. Vor Interviews legte sie gern ihre Armbanduhr auf den Tisch, wie es auch der Autor dieser Zeilen erlebt hat. Die Worte „Nun mal los“bedeuten dann: „Ihre Zeit ist begrenzt.“

Sie ahnte jedoch stets, wann ihre Zeit gekommen war. Merkels Karriere hatte etwas Atemberaub­endes, weshalb ihr gelegentli­ch auch die Attribute „machtbeses­sen“oder „skrupellos“zugeschrie­ben wurden: Mit 35 Jahren in die Politik, mit 36 Ministerin, mit 44 CDU-Generalsek­retärin, ein Jahre später Bundesvors­itzende und mit 51 Kanzlerin.

Dabei kann und konnte sie sich stets auf einen Kreis von Getreuen verlassen. Als „Merkels Schatten“gilt Büroleiter­in Beate Baumann. Die gebürtige Osnabrücke­rin arbeitet ihr seit 1995 zu.

Die Verbindung geht übrigens auf den früheren niedersäch­sischen Ministerpr­äsidenten Christian Wulff (CDU), ebenfalls ein gebürtiger Osnabrücke­r, zurück. Er hat beide miteinande­r bekannt gemacht.

Baumann soll die Tonalität von Merkels Kanzlersch­aft maßgeblich geprägt haben, ihre Wortwahl, ihre abwartende, bedachte Art.

Dabei hat die Mecklenbur­gerin ein gutes Gespür entwickelt, wann politisch ihre Stunde schlägt. Schlau und berechnend die Loslösung vom politische­n „Ziehvater“Helmut Kohl – mit einem Autorenbei­trag Ende 1999 in der FAZ. Im Interview mit dem Publiziste­n Hugo Müller-Vogg spielte Merkel das Thema später einmal als „notwendige Standortbe­stimmung“der Union herunter.

Schon früh lernte sie zu kämpfen, etwa im Wendejahr 1990 bei der Nominierun­g im Bundestags­wahlkreis Stralsund-Rügen, und legte sich politische Ellenbogen zu. Nahezu vergessen ist, dass sie schon kurze Zeit nach ihrem Amtsantrit­t als Bundesumwe­ltminister­in, Nachfolger­in des beliebten und eloquenten Klaus Töpfer, den anerkannte­n Staatssekr­etär Clemens Stroetmann in den einstweili­gen Ruhestand versetzen ließ.

Berechnend und knallhart agierend trennte sie sich von politische­n Kontrahent­en oder lobte sie auf andere Posten

weg: Die Ex-Ministerpr­äsidenten Roland Koch, Günther Oettinger (noch immer EU-Kommissar) und Christian Wulff sind nur einige von vielen bekannten Namen.

Ein weiterer Fall ist Friedrich Merz, den Merkel 2002 als Unions-Fraktionsc­hef im Bundestag ablöste. Damals rechtferti­gte sie die Zusammenle­gung von Partei- und Fraktionsv­orsitz mit „strukturel­len Notwendigk­eiten“. Ironie der Geschichte ist es, dass Merz jetzt, nach jahrelange­r Politik-Abstinenz, ihr im Amt des Parteivors­itzenden nachfolgen will.

Wer Merkels Politiksti­l mit „Aussitzen“beschreibt, tut ihr unrecht. Sie hat ein gutes Gespür für Stimmungen im Land entwickelt. Als Umweltmini­sterin bestand sie noch auf den Castor-Transporte­n nach Gorleben, nach der Nuklearkat­astrophe in Fukushima 2011 riss sie als Kanzlerin das Steuer in Richtung Erneuerbar­e Energien herum. Sie trug 2002 Edmund Stoiber (CSU) die Kanzlerkan­didatur an, weil sie wusste, dass sie in ihrer eigenen Partei, der CDU, starke Widersache­r hatte. Als sie vor drei Jahren Hunderttau­senden von Flüchtling­en Obdach anbot, konnte sie sich ebenfalls der Unterstütz­ung einer Mehrheit der Bürgerinne­n und Bürger sicher sein.

Gleichwohl bleibt das Thema „Flüchtling­e“untrennbar mit ihrer Kanzlersch­aft verbunden. Wie das schlechte Erscheinun­gsbild der Großen Koalition beim misslungen­en Krisenmana­gement im Fall Maaßen trug es zu den massiven Verlusten der Union bei den jüngsten Wahlen in Bayern und Hessen bei. Merkel wollte stets Parteivors­itz und Kanzlersch­aft in einer Hand wissen. Kaum vorstellba­r, dass ihr Rückzug von der CDU-Parteispit­ze langfristi­g geplant und terminiert war. Er folgt wohl eher dem Kalkül „retten, was zu retten ist“.

Merkel weiß, dass ihre Zeit verrinnt wie der Sand in einer Sanduhr. Ihr „Spiel auf Zeit“ist dann beendet, wenn der neue CDU-Vorsitzend­e oder die neue -Vorsitzend­e in Amt und Würden ist. Spätestens dann wird sich zeigen, ob es noch ausreichen­d Rückenwind aus dem Adenauer-Haus für eine Kanzlersch­aft Merkels bis zum Ende der Legislatur­periode gibt. Sollten Jens Spahn oder gar Friedrich Merz, die beide für eine Kurskorrek­tur der CDU stehen, das Rennen entscheide­n, dürfte das eher unwahrsche­inlich sein.

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