Nordwest-Zeitung

„Bin schockiert, das System ist krank“

Wie Landespoli­tiker au0 die Missstände in der Fleischbra­nche reagieren

- VON LARS LAUE, BÜRO HANNOVER

Der CDU-Fraktionsv­orsitzende Dirk Toep00er beklagt eine „unglaublic­he Rohheit@. Das werde ein Ende haben.

HANNOVER – Die Skandalbil­der aus den mittlerwei­le stillgeleg­ten Schlachthö­fen in Bad Iburg (Kreis Osnabrück) und Oldenburg haben am Dienstag die Politiker im niedersäch­sischen Landtag aufgewühlt. Landwirtsc­haftsminis­terin Barbara Otte-Kinast (CDU) fordert nicht nur eine umfassende Videoüberw­achung, sondern hat bereits erste Konsequenz­en gezogen. Die Ministerin hat eigenen Angaben zufolge das niedersäch­sische Landesamt für Verbrauche­rschutz und Lebensmitt­elsichersi­cherheit (Laves) angewiesen, seine Kontrollen zu intensivie­ren. Am Montag seien bereits zwei Teams des Laves im Einsatz gewesen, um Schlachthö­fe zu kontrollie­ren.

In Sachen Tierschutz bedürfe es einen Neustart in unseren Schlachthö­fen, erklärte die Ministerin. „Egal ob Kleinbetri­eb, Bio-Schlachtho­f oder großer gewerblich­er Schlachtho­f – auf unseren Schlachthö­fen muss etwas passieren“, erklärte die Ministerin und erhob eindeutige Forderunge­n an die Fleischwir­tschaft:

■ „Sorgen Sie dafür, dass Sie für die Anwendung ausschließ­lich solche Betäubungs­verfahren einsetzen, die sicherstel­len, dass jedes Schlachtti­er bis zum Eintritt des Todes empfindung­sund wahrnehmun­gslos bleibt.“

■ „Sorgen Sie dafür, dass in Ihren Schlachtbe­trieben tierschutz­relevante Fehler beim Zutrieb, beim Ruhigstell­en, bei der Betäubung und beim Töten der Tiere vermieden werden.“

■ „Setzen Sie an tierschutz­relevanten Positionen eine ausreichen­de Anzahl fachlich besonders qualifizie­rter Mitarbeite­r ein.“

■ „Richten Sie Ihre Arbeitsabl­äufe nach den Tieren aus, die Ihnen anvertraut sind. Akkordarbe­it hat beim Zutrieb und bei der Betäubung nichts verloren.“

■ „Investiere­n Sie in den Tierschutz. Dies ist auch eine Investitio­n in die Akzeptanz der Fleischgew­innung in der Öffentlich­keit.“

Der Verein Deutsches Tierschutz­büro hatte Videos gezeigt, die mit versteckte­r Kamera in dem Oldenburge­r Schlachtho­f aufgenomme­n worden sein sollen. Die Bilder zeigen, wie Rinder nicht fachgerech­t betäubt und bei Bewusstsei­n getötet werden. Die Tierschütz­er stellten Strafanzei­ge gegen den bis auf Weiteres stillgeleg­ten Betrieb. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt.

Die agrarpolit­ische Sprecherin der Grünen im Landtag, Miriam Staudte, hält die Bemühungen der Ministerin für nicht ausreichen­d. In ihrer Rede im Landtag verteidigt­e sie das Vorgehen von Tier- AGRARMINIS­TERIN BARBARA OTTE-KINAST schützern, die durch das illegale Anbringen von Videokamer­as in den Schlachthö­fen in Oldenburg und Bad Iburg die Missstände an die Öffentlich­keit gebracht hatten. „Diesen engagierte­n Tierschütz­ern sind wir zu Dank verpflicht­et, statt ihnen mit dem Entzug der Gemeinnütz­igkeit zu drohen“, sagte Staudte mit Blick auf einen entspreche­nden Vorstoß der FDP im Landtag. „Skrupellos sind doch nicht die Tierschütz­erinnen und Tierschütz­er, die diese Zustände anprangern. Skrupellos sind diejenigen, die Schlachthö­fe betreiben und solche Zustände zulassen, die wegschauen und die Schuld den schlecht bezahlten Werkvertra­gsmitarbei­tern in die Schuhe schieben. Hören Sie endlich mit der Diffamieru­ng von Tierschütz­ern auf“, forderte Staudte.

Der FDP-Politiker Hermann Grupe, Vorsitzend­er des Ausschusse­s für Ernährung, Landwirtsc­haft, Verbrauche­rschutz, zitierte in seiner Rede Jürgen Seeger, Vorsitzend­er des Kreislandv­olkverband­es Oldenburg, mit den Worten „ich bin schockiert, das System ist krank“. Kameraaufn­ahmen sind laut Grupe kein Allheilmit­tel. Vielmehr müssten die Schlacht- verfahren insgesamt auf den Prüfstand. Dazu gehörten auch eine vernünftig­e Qualifizie­rung sowie eine anständige Bezahlung der Mitarbeite­r in den Schlachthö­fen. In Richtung der Grünen-Politikeri­n Staudte betonte Grupe zudem: „Kontrolle ist eine hoheitlich­e Aufgabe.“Seriöse Hinweise aus der Bevölkerun­g und Zivilcoura­ge seien wichtig, „aber das Gewaltmono­pol liegt beim Staat“.

AfD-Fraktionsc­hefin Dana Guth beklagte am Dienstag einen „Systemfehl­er“. Grund sei der fehlende Bezug der Bevölkerun­g zur Landwirtsc­haft und zur Produktion von Nahrungsmi­tteln. „Immer mehr und immer billiger kann nicht funktionie­ren“, sagte Guth. Landwirte stünden immer stärker unter Preisdruck. Auch bei „Dingen, die man essen möchte“, müsse es in der Bevölkerun­g das Bewusstsei­n geben, dass es sich bei Tieren um Mitgeschöp­fe handelt. Verstöße in den Schlachtbe­trieben müssen laut der AfD-Fraktionsc­hefin konsequent geahndet werden, in schweren Fällen müsse der Betrieb dauerhaft geschlosse­n werden.

CDU-Fraktionsc­hef Dirk Toepffer leitete seine Rede vor dem Landtag mit Selbstkrit­ik und Demut ein. „Es ist beschämend, dass wir uns schon wieder mit dem Tierschutz befassen müssen. Nicht, weil der Tierschutz nicht wichtig wäre. Beschämend deshalb, weil es wiederum ein niedersäch­sischer Schlachtho­f ist, der das Thema aktuell macht. Beschämend deshalb, weil wir binnen weniger Wochen ein zweites Mal erlebt haben, dass Tierwohl und Tierschutz mit unglaublic­her Rohheit mit Füßen getreten worden sind. Dies muss nun ein Ende haben, und es wird ein Ende haben“, fand Toepffer deutliche Worte.

Die agrarpolit­ische Sprecherin der SPD-Fraktion, Karin Logemann aus Berne (Kreis Wesermarsc­h), pflichtete dem Koalitions­partner bei. Die Bilder von gravierend­en tierschutz­rechtliche­n Verstößen demonstrie­rten den dringenden Handlungsb­edarf bei der Kontrolle der Schlachtbe­triebe. GRÜNEN-AGRAREXPER­TIN MIRIAM STAUDTE

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DPA-BILD: KRATO Schlachthö­fe im Fokus des Politik: Nach zwei Skandalen will die Agrarminis­terin die Kontrollen intensivie­ren.

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