„Der Tod kommt nicht als Feind“
O9denburger Ralf Jürgens-Tatje spendet Angehörigen Kraft und Trost
Dber die Unfälle auf der Umgehungsstraße in Oldenburg berichtete die Ð vor genau 60 Jahren, am 14. November 1958. Die Straße, auf ihr verläuft heute die Autobahn 28 beziehungsweise A293, war ein Unfallschwerpunkt in Oldenburg. Die Verkehrsbelastung wurde mit 6000 bis 8000 Fahrzeugen pro Tag angegeben (zwischen den
Schon früh setzte sich der heute 53-Jährige mit dem Tod auseinander, spricht seit 35 Jahren auf Trauerfeiern. Auch seine eigene Beerdigung hat der frühere Kran;enpfleger bereits lange geplant.
OLDENBURG – „Mir war immer klar, dass ich als Trauerredner in extreme und sehr intime Situationen komme“, sagt Ralf Jürgens-Tatje und hält kurz inne. „Die Menschen weinen, halten sich an mir fest, brechen zusammen.“Manchmal sitzt er bis tief in die Nacht bei den Angehörigen, weil niemand sonst da ist.
Der 53-Jährige ist da. Und das bereits seit seiner Jugend. Mit 15 Jahren wird Ralf Jürgens-Tatje, der aus OsterholzScharmbeck stammt, Jugendgottesdiensthelfer. Ein Jahr später folgt das Amt des Lektors in seiner Heimat-Kirchengemeinde Gnarrenburg. „Die damalige Pastorin hat mich entdeckt und mich mit 17 Jahren für ein dreijähriges Seminar in der Trauerbegleitung angemeldet.“Parallel folgte seine Ausbildung zum Krankenpfleger.
Ralf Jürgens-Tatje redet mit ruhiger, einfühlsamer Stimme. Wählt seine Worte sorgsam. Er ist gut gekleidet mit marineblauem Dreiteiler, dezentem Hemd, silberner Krawatte, braunen Schuhen und einer Anstecknadel am Revers.
Immer auf Augenhöhe
Im zweiten Seminarjahr wurde dann der Bogen weiter zur Trauerrede gezogen. „Damals gab es 33 Bewerber – ich war einer der 13, die ausgewählt wurden“, sagt Ralf Jürgens-Tatje, der seit 1999 in Oldenburg lebt. „Trauerredner werden kann man nicht lernen – das muss man in sich haben. Man muss standhaft genug sein, mit den Sterbenden und Trauernden zu arbeiten“, sagt er. „Das habe ich im Pflegedienst gelernt – der Beruf war ein guter Helfer.“
Zudem müsse man mit jeder Gesellschaftsschicht klar kommen, sich überall zurecht finden. „Rhetorik und Sprachgewandtheit sind wichtige Punkte. Man muss immer auf Augenhöhe sein – egal mit wem.“Ein weiteres Handwerkzeug: „Still sein, zuhören und Räumlichkeiten aufnehmen können“, sagt Ralf Jürgens-Tatje.
Seit 35 Jahren arbeitet der Oldenburger als Trauerredner. Neben seiner Arbeit als Krankenpfleger und seinem Ehrenamt als Notfallseelsorger und Trauerbegleiter. „Eine Zeit lang habe ich meine Großmutter gepflegt – da habe ich keine Trauerreden gehalten.“Der Umzug von seinem damaligen Wohnort Liletzte Auf- und Abfahrten Haarentor und Eversten beträgt die Fahrzeugfrequenz aktuell circa lienthal nach Oldenburg folgte – und mit ihm auch eine berufliche Veränderung: „Aus gesundheitlichen Gründen musste ich mich schweren Herzens vom Pflegedienst verabschieden.“Ralf JürgensTatje absolvierte eine Ausbildung zur Bestattungsfachkraft. „Da war die Sache für mich rund“, sagt er. Er arbeitete mit halber Stelle in einem Bestattungsinstitut im Ammerland – und zudem wieder weiter als Trauerredner.
Doch wie kommt der Trauerredner zu den Trauernden und was genau macht er? „Entweder werde ich von Angehörigen angerufen oder über ein Bestattungshaus beauftragt. Wichtig ist dabei: „Ich kann einen Auftrag annehmen, muss jedoch nicht.“Aber: „Wenn ich einen Auftrag annehme, führe ich ihn auch aus – auch wenn es bei mir selbst einen Trauerfall gibt“, sagt Ralf JürgensTatje mit fester Stimme. „Ich habe selbst an dem Tag, an dem einer meiner Angehörigen gestorben ist, eine Traueransprache gehalten.“
Sehr viele Aufträge kämen aus Vorsorgeverträgen zustande und seien teilweise schon vor zwölf Jahren festgelegt worden, sagt er. Manche Menschen kennen den Oldenburger mit der ruhigen, tiefen Stimme von anderen Trauerfeiern.
Nach einem ersten Telefongespräch wird ein erstes Treffen vereinbart. „Ich besuche die Familie oder sie kommt zu mir nach Hause“, sagt der 53-Jährige. „Ich habe 75 000 Fahrzeuge am Tag). Die Polizei schlug 1958 vor, einige der 34 Kreuzungen und zwei Hunde, dadurch ist die Stimmung meist sofort aufgemuntert, weil die Menschen sprechen müssen und die Hunde streicheln.“Anfangs erzählt Ralf Jürgens-Tatje über sich: „Ich frage viele intime Dinge – da ist es für die Menschen schön, auch etwas über mich zu wissen.“
Er versuche, sich einzufühlen und lasse den Angehörigen Zeit, Worte zu finden. Immer griffbereit: Wasser und Bonbons. „Viele haben in dieser Ausnahmesituation einen trockenen Hals oder unterzuckern schnell.“Er bespreche die Vita und schreibe ein Skript über das Leben des Verstorbenen. Auch die Form wird besprochen – weltlich oder klerikal. „70 Prozent meiner Kunden sind Kirchenmitglieder“, sagt er. „Das einzige, was die Menschen nicht wollen, ist die Predigt“, sucht er eine Erklärung für die Abkehr von kirchlichen Trauerfeiern.
„Die Traueransprache soll kein Trauerverstärker sein, sondern soll trösten, Kraft spenden und aufrichten. Viele Menschen erfahren während der Trauerfeier Dinge, die sie bislang gar nicht wussten“, sagt er. Generell beginne er die Feier mit einem Musikstück. „Musik erleichtert es den Menschen, die Stille besser zu ertragen – sie sollen mit Taschentüchern oder Bonbonpapier knistern dürfen.“Schließlich begrüße er die Trauergemeinde und beginne mit einem humanistischen oder philosophischen Zitat – nach 30 bis 40 Minuten ist die Ansprache vorbei.
„Die Trauerfeier ist die RALF JÜRGENS-TATJE Überwegungen im Zuge der Umgehungsstraße zu beseitigen. Der Bericht verrät auch, wie viele Kraftfahrzeuge am 1. Juli 1958 in Oldenburg zugelassen waren: 12251 (ohne Mopeds). Heute sind mehr als 86 000 Kraftfahrzeuge zugelassen. Die Polizei kontrollierte im Herbst 1958 in Oldenburg 11334 Kraftfahrzeuge, 4859 wurden beanstande. große Lebensfeier, die wir begehen“, sagt Ralf Jürgens-Tatje, der mittlerweile bis zu zwei Feiern im Monat begleitet. „Der Todesmoment ist so klein und das Leben ist groß – mit der Feier ehren und würdigen wir das Lebenswerk des Verstorbenen.“Er erzähle den Lebenslauf – chronologisch, damit die Gäste folgen können. „Dabei hebe ich hervor, was der Verstorbene für ein Mensch war – ohne ihn auf einen Sockel zu stellen. Es ist nichts Besonderes, wenn wir sterben, denn wir sterben alle. Das gehört zum Leben dazu. Ich halte eher eine Laudatio für den Verstorbenen“, sagt er. „Wichtig ist, dass der Tod nicht als Feind kommt.“Kein Verstorbener wolle, dass die Angehörigen zusammenbrechen und ihren Lebensmut verlieren. „All das muss ich in die Rede einbringen und in Energie verwandeln, um Mut zu machen.“
Doch was, wenn die Angehörigen wenig sagen, nur wenige Daten liefern? „Dann erzähle ich Geschichtliches aus der Zeit, führe beispielsweise aus, wie und wo der Verstorbene aufgewachsen ist“, sagt Ralf Jürgens-Tatje. „Jeder Mensch ist es wert, dass man über ihn spricht, auch wenn man nur wenige Worte geredet hat.“Ein Mensch sei auch nicht einfach weg, wenn er stirbt. „Wir begegnen überall den Spuren, die der Verstorbene hinterlässt. Ich bezeichne sie als leuchtenden Strahl, der uns in unserer Trauer scheint.“
Und die eigene Trauerfeier? „Seit meinem 30. Geburtstag ist alles geregelt“, sagt Ralf Jürgens-Tatje, der bereits mit 18 Jahren sein Testament schrieb und damals bereits für sich eine Erdbestattung als Form festlegte. „Ich möchte eine christliche Bestattungsfeier mit Pastor und mein engster und ältester Freund hält die Ansprache – umgekehrt haben wir das auch so vereinbart, falls er zuerst stirbt.“
Pau en einlegen
Klingt nüchtern. Stößt man auch mal an seine Grenzen? „Ja. Und ein Trauerredner sollte das erkennen und Pausen einlegen“, sagt der Oldenburger und macht eine kurze Pause. „Man kann nicht funktionieren, wenn das Umfeld nicht funktioniert.“Man brauche ein enges, gepflegtes Verhältnis und dürfe Familie und Freunde dennoch nicht zu Co-Trauerbegleitern machen. „Das meiste mache ich mit mir selbst aus – während langer Spaziergänge mit meinen Hunden oder wenn ich im Garten arbeite. Das erdet mich – sprichwörtlich.“Außerdem müsse man sich klar machen: „Eine Trauerfeier ist einmalig und kann nicht wiederholt werden – sie darf nicht misslingen.“
Auch er sei einmal an seine Grenzen gestoßen, habe vor vier Jahren mit einer Ausnahmegenehmigung in der Lambertikirche in Oldenburg die Traueransprache für den Sohn von Freunden gehalten. „Da war ich selbst betroffen und habe alle Kraft mobilisiert. Ich habe ihn aufwachsen sehen – das war ein unendlicher Kummer“, sagt Ralf Jürgens-Tatje. Danach habe er drei Wochen Auszeit genommen, um neue Kraft zu tanken. Und um wieder da zu sein, für Trauernde, die seine Stärke brauchen.
Die Trauerfeier ist die letzte große Lebensfeier, die wir begehen