Nordwest-Zeitung

Soziologe hält E-Sport für zu kommerziel­l

|ldenburger Professor Alkemeyer erklärt, warum Gaming für ihn keine richtige Sportart ist

- VON LARS BLANCKE

Der DOSB wehrt sich gegen die Aufnahme des E-Sports als Sportart. Thomas Alkemeyer äußert sich zu den Gründen – und nennt seine Kritikpunk­te.

FRAGE: Derr Alkemeyer, haben Sie selbst schon einmal Fifa an der Konsole gezockt? THOMAS ALKEMEYER (62): Nein, habe ich nicht. Das ist sicher auch eine Generation­enfrage. Meine Söhne haben gezockt, sodass ich mich ein bisschen auskenne.

FRAGE: Dann wissen Sie nicht, ob man dabei tatsächlic­h richtig ins Schwitzen kommt . . . ALKEMEYER: Doch. Es gibt sportwisse­nschaftlic­he Untersuchu­ngen, die zeigen, dass auch E-Sport nicht nur mit einer erhebliche­n nervlichen, sondern auch körperlich­en Belastung einhergeht, die durchaus mit traditione­llem Sporttreib­en zu vergleiche­n ist. Insofern zieht das vom DOSB und einigen Sportwisse­nschaftler­innen vorgebrach­te Argument, E-Sport könne nicht Sport sein, weil Sport den Einsatz der Kräfte des eigenen Körpers erfordere, nicht. Auch E-Sport verlangt körperlich­e Aktivität und Fitness.

FRAGE: Der Deutsche Olympische Sportbund, der darüber entscheide­t, was als Sport gilt, wehrt sich gegen die Aufnahme des E-Sports. Warum? ALKEMEYER: Das Argument, beim Sport müsse es sich um körperlich­e Aktivität handeln und Schweiß vergossen werden, ist für mich nicht entscheide­nd. Es ist extrem schwierig, Sport über Wesensmerk­male zu definieren. Sport beziehungs­weise das, was eine Gesellscha­ft unter Sport versteht, wandelt sich historisch. Das, was wir unter Sport verstehen, zeichnet sich nicht durch allgemeine, unveränder­liche Merkmale, sondern durch „Familienäh­nlichkeit“aus, ein Begriff des Philosophe­n Ludwig Wittgenste­in.

FRAGE: Was meint er damit? ALKEMEYER: Dass man nicht exakt definieren kann, was ein Spiel ist. Und dennoch wissen wir, was gemeint ist, wenn wir von Spiel sprechen, weil sich Spiele ähnlich sind, ohne über allgemeine Merkmale zu verfügen. Ebenso verhält es sich mit dem Sport. Wir bekommen ein großes Problem, wenn wir Sport über fixe Merkmale zu definieren versuchen, etwa, dass Sport nur ist, was der körperlich­en Ertüchtigu­ng dient. Dann müsste man sich auch beispielsw­eise über Sportschüt­zen streiten, ganz abgesehen von Schachspie­lern.

FRAGE: Beides war oder ist vom DOSB anerkannt. ALKEMEYER: Deswegen scheinen mir körperlich­e Eigenaktiv­ität und Ertüchtigu­ng als Argumente dafür, Sport zu sein, nicht tragfähig. FRAGE: Ein anderes Argument des DOSB ist, dass der Sport für Werte wie Fairplay steht. Zum E-Sport gehören aber auch sogenannte Ballerspie­le wie „Counter-Strike“, die als gewaltverh­errlichend gelten. ALKEMEYER: Ich habe eine gewisse Sympathie für dieses Argument, aber auch in diesem Fall kommt man in Argumentat­ionsproble­me. Denn vollkommen unabhängig vom Inhalt eines Spiels können die Spieler unter Bedingunge­n der Fairness und der Gleichheit im Wettkampf gegeneinan­der antreten, auch bei „Ballerspie­len“. Außerdem: Auch Sport kann gewaltförm­ig sein, und zwar nicht nur das Boxen, in dem Verletzung­en des Gegners durchaus in Kauf genommen werden; gleichwohl gibt es Regeln des Fairplay, des anständige­n Verhaltens. Und auch der moderne Fünfkampf kann seine Herkunft aus dem militärisc­hen Mehrkampf schwerlich verbergen. Es gibt also anerkannte olympische Sportarten, über die man diskutiere­n müsste, wenn die Frage der Gewalt entscheide­t.

FRAGE: Was ist für Sie dann der entscheide­nde Punkt, ob ESport nun ein Sport ist? ALKEMEYER: Die Frage danach, was eine Gesellscha­ft als Sport anerkennen möchte und was nicht. Mein Standpunkt, auch wenn er antiquiert klingen mag: Spiele, die hauptsächl­ich privatwirt­schaftlich aus kommerziel­lem Interesse heraus organisier­t werden, sollten das nicht hinter dem Titel „Sport“verstecken dürfen. Und sie sollten schon gar nicht in einen Sportverba­nd aufgenomme­n werden, in dem sie dann auch staatliche Leistungen in Anspruch nehmen und den Status der Gemeinnütz­igkeit erlangen können.

FRAGE: Aber im Profisport spielt der Kommerz doch auch eine entscheide­nde Rolle? ALKEMEYER: Das ist für mich kein Gegenargum­ent. Auch von Profiabtei­lungen, etwa im Fußball, wird unter anderem von Gerichten gefordert, sie sollten aus dem Verein ausgeglied­ert werden, weil sie wirtschaft­lich und nicht gemeinnütz­ig handeln.

FRAGE: Gibt es noch weitere Gründe?

ALKEMEYER: Ich finde zudem hochproble­matisch, dass auch im E-Gaming enorme Datenmenge­n als Profitress­ource produziert werden. Kommerziel­le Spiele-Hersteller sammeln diese Daten, können mit ihnen Nutzerprof­ile erstellen, personenbe­zogene Werbung betreiben, sie in die Entwicklun­g neuer Spiele einfließen lassen. Das sind rein kommerziel­le Verwertung­szusammenh­änge, die durch die Rubrizieru­ng als „Sport“verschleie­rt werden. FRAGE: Fußball-Bundesligi­sten wie Werder Bremen oder Schalke 34 haben sich dem ESport geöffnet, die EWE Baskets Oldenburg sind ebenfalls aufgesprun­gen. Geht es nur ums 5arketing und das Generieren von noch mehr Geld? ALKEMEYER: Ich will nicht ausschließ­en, dass auch sportliche Gesichtspu­nkte eine Rolle spielen. Die Vermischun­g zwischen realen und

virtuellen Spiel- und Sportprakt­iken ist durchaus interessan­t, verändert womöglich auch Spielverst­ändnisse. Aber es geht eben auch darum, Jugendkult­uren als neue Nutzermili­eus zu erschließe­n, die Geld in die Kassen fließen lassen. Neue Spielbedür­fnisse werden eingespann­t zur Erschließu­ng von Märkten. FRAGE: 6n Frankreich ist ESport bereits als Sport anerkannt, in Skandinavi­en ein Schulfach, in Asien ein 5illiarden­geschäft. Warum tut sich Deutschlan­d so schwer? ALKEMEYER: Es ist schwierig, das auf kulturelle Differenze­n zurückzufü­hren. Das traditione­lle Sportverst­ändnis in Deutschlan­d ist stark gekoppelt an Werte der Bildung, der Anständigk­eit, der Gemeinscha­ftlichkeit und des Gemeinwohl­s. Auch das macht es deutschen Sportverbä­nden schwer, E-Sport einfach mal so anzuerkenn­en. Ich bin selten einig mit der Politik des DOSB, aber in diesem Falle finde ich es nachvollzi­ehbar, dass man skeptisch ist gegenüber der Aufnahme von ESports – auch wenn mich nicht alle der in diesem Zusammenha­ng vorgebrach­ten Argumente überzeugen, etwa die Betonung körperlich­er Leistung und Ertüchtigu­ng. FRAGE: 6st dieser 7rend denn überhaupt noch aufzuhalte­n? ALKEMEYER: Nein. Deswegen ist meine Position, das gestehe ich ein, recht schwach, vielleicht hilflos. Dennoch möchte ich an ihr festhalten und davor warnen, dass der Sport kommerziel­len Interessen ohne Widerstand Tür und Tor öffnet.

 ?? DPA-BILD: HOSKINS ?? Mohammed „MoAuba“Harkous jubelt im Trikot von Werder Bremen bei der Fifa-E-Sports-WM in London.
DPA-BILD: HOSKINS Mohammed „MoAuba“Harkous jubelt im Trikot von Werder Bremen bei der Fifa-E-Sports-WM in London.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany