Zweifel an Geschichten
Pole ruft während der Verhandlung 30 000 Euro Belohnung für Hinweise auf vermisste Danuta Lysien aus
Im Mordprozess um die vermisste Danuta Lysien gerät der Angeklagte immer mehr unter Druck. Nicht nur Zeugen, sondern auch eine Internetsuchmaschine und eine Hotelkette sprechen gegen dessen Geschichten . . . .
Das fragile Lügengebilde bröckelt immer weiter: Gegen Marek Glinski sprechen nicht nur Zeugen, sondern auch Google und eine Hotelkette.
OLDENBURG – Wissen Sie noch, was Sie am 23. und 24. Juni 2017 gemacht haben? Würden Sie sich beispielsweise erinnern, wenn Sie nachts zehn Stunden lang von Ihrem Vater in Polen zur Übergabe eines gefälschten Passes und gegen Zahlung einer immensen Summe nach Oldenburg gefahren wären? Und könnten Sie sich erklären, weshalb und wie Sie es dann noch geschafft haben, in dieser Zeit für ein paar Stunden ein Einzelzimmer in einem Dortmunder Hotel für zwei Personen zu buchen – und zu belegen?
Nun, genau diese Fragen wird sich Marek Glinski in den nächsten drei Wochen durch den Kopf gehen lassen und eine halbwegs logische Erklärung dafür finden müssen. Denn der 57-jährige Pole hat nicht erst seit Dienstagnachmittag ein erhebliches Glaubwürdigkeitsproblem, jetzt aber zerfällt sein fragiles Lügengebilde Stunde um Stunde in seine Einzelteile.
Es ist der gerade einmal zweite von zwölf Verhandlungstagen im Prozess um die seit eineinhalb Jahren vermisste Krusenbuscherin Danuta Lysien – und trotzdem sind die Zuschauerbänke in Saal 1 des Landgerichts pickepackevoll. Das dürfte einer„zum seits mit der insgesamt völlig abstrusen Vorgeschichte in diesem Kriminalfall zusammenhängen, andererseits aber auch mit den „Entertainerqualitäten“des Protagonisten, wie hier so überrascht wie gleichsam ungläubig gemunkelt wird: Marek Glinski, 57, gilt als Hauptverdächtiger bei diesem Mord ohne Leiche, saß bereits in seiner Heimat 20 lange Jahre wegen Mordes im Gefängnis, nun seit einem halben Jahr wie berichtet in der JVA Kreyenbrück – gleicher Vorwurf, anderes „Opfer“. Wenn es denn tatsächlich eines gibt.
„Ich biete der Person 30 000 Euro, die hilft, die aktuelle Adresse von Danuta Lysien zu ermitteln!“, ruft er plötzlich während der Verhandlung aus.
Ist’s ein Verzweiflungsakt oder doch die echte Überzeugung des Angeklagten? Mindestens Staatsanwaltschaft und Ermittler dürften es als eine weitere von unzähligen Geschichten und seltsamen Aktionen des 57-Jährigen bewerten. Denn auch an diesem Prozesstag verstrickt sich Glinski mehr und mehr. Daten, Beziehungen, Namen – dies alles scheint ohne Wert. Obwohl der Angeklagte „Definitives“in den buntesten Farben und Details ausschmückt. Sebastian Bührmann, Vorsitzender Richter der Schwurgerichtskammer, seziert ihm diese aber Stück für Stück auseinander, bis am Ende meist nur ein Schulterzucken Glinskis übrig bleibt.
Um da auf die Ausgangsfragen zurück zu kommen: Die auf dem Handy des Angeklagten installierte Internetsuchmaschine Google und auch das Ibis-Hotel in Dortmund kennen offenbar die Antwort. Beide wussten Glinski am Morgen des 24. Juni
2017 eben in der RuhrpottMetropole. Zu einem Zeitpunkt, als dieser nach eigener Verteidigungsrede mit einem angeblich aus Polen abgeholten gefälschten Pass auf dem Weg in die Huntestadt war, um ihn hier – vorgeblich – Danuta Lysien zu übergeben und ihr so die Fernflucht aus Deutschland zu ermöglichen.
Nur wollte die laut ihrer Bekannten und Angehörigen gar nicht weg ...
Die Stieftochter und zwei Freundinnen (eine davon die Exfrau des 2015 verstorbenen Gatten Lysiens) sagten am Dienstag aus, beschrieben Danuta als eher einfach gestrickt, aber sehr materiell bedacht. Rund 800 000 Euro Bargeld sollten sich (neben reichlich Schmuck und den drei Häusern am Dießelweg) im Besitz des Paares befunden haben. Geld, das im Wohnhaus aufbewahrt worden war. Geld, das nach dem Tod des Mannes mit beiden Händen Fenster raus“geworfen wurde, heißt es. Geld, von dem nach Verschwinden Lysiens nichts mehr im Haus zu finden war. Stattdessen Chaos. Zumindest für eine so reinliche Frau wie Lysien: Klebriger Boden, Essensreste in der Pfanne, eine eingeschaltete Lampe, eine offene Tür, halb heruntergelassene Jalousien, Schnee auf dem TV. „Total ungewöhnlich“, bestätigten alle Zeugen. Ganz so, als ob jemand Hals über Kopf das Haus verlassen hätte. Und auch das passte wohl so gar nicht zu Lysien.
Glinski konnte sich all dies nicht erklären. Er vermochte allerdings auch eigene Aussagen nicht zu bestätigen. Stattdessen hatte er nach einem für ihn durchaus desaströsen Prozessauftakt vor zwei Wochen gleich mehrere Briefe an Bührmann geschickt, darin etwaige logische Fehler seiner Aussagen zu erläutern versucht. Doch auch die wurden in einer beeindruckenden Aufbereitung der hiesigen Ermittlungsführerin noch am Dienstagnachmittag auseinander genommen. Nahezu in Gänze. Funkzellendaten unterstrichen dies und ließen Glinski ratlos zurück: „Vielleicht technische Fehler?“.
Was außerdem klar wurde: Danuta Lysien hatte Angst vor Glinski, so wurde hinreichend bestätigt. Allerdings wusste der wiederum auch jede Menge von den Vermögensverhältnissen Lysiens berichtete von „Kissen voller 500 Euro Scheine“, die sie nach Polen gebracht haben soll.
Fortsetzung folgt – am 8. Januar 2019 mit Prozesstag 3.