Nordwest-Zeitung

99,99 Prozent arbeiten sauber

- VON MARKUS SIEVERS, BÜRO BERLIN

Ist die Medienbran­che nach der Spiegel-Affäre in der Krise? Ein Gespräch mit Frank Überall, dem Vorsitzend­en des deutschen Journalist­enverbande­s (DJV).

FRAGE: Ein Spiegel-Journalist hat jahrelang Reportagen gefälscht oder sogar frei erfunden. Was sagt das über die Glaubwürdi­gkeit der Medien aus?

ÜBERALL: Ich war geschockt, als ich davon erfahren habe. Aber wenn jemand vorsätzlic­h betrügt, ist es kaum möglich, sich dagegen zu wehren. Über die Branche sagt dieser Fall daher wenig aus. Die intensive öffentlich­e Debatte zeigt, dass dieser Fall abweicht von der Regel. 99,99 Prozent der Kolleginne­n und Kollegen arbeiten absolut sauber. FRAGE: Der Spiegel gilt ja branchenwe­it als Vorbild mit seiner intensiven 'ontrolle der Fakten durch eine große Dokumentat­ionsabteil­ung. Ist nicht doch zu befürchten, dass solche Fälle deutlich verbreitet­er sind als bekannt? ÜBERALL: Das sehe ich nicht. Hier hat jemand die Dokumentat­ionsabteil­ung vorsätzlic­h getäuscht, wie der Spiegel selber berichtet. Es handelt sich hier um kriminelle­s Verhalten. Das hat mit Berufsetho­s nichts mehr zu tun. Eine anständige Journalist­in, ein anständige­r Journalist macht so etwas nicht. Auf den Anstand muss man sich in den Redaktione­n und der gesamten Gesellscha­ft ein Stück weit verlassen. Ich muss mich auch auf den Arzt verlassen können und auf den Koch im Restaurant.

FRAGE: Der Spiegel--utor .laas Relotius, dem die Fälschunge­n zu /ast gelegt werden, verspürte einen starken Druck, wie die Spiegel-.hefredakti­on schreibt. Ist Relotius auch ein 0pfer überzogene­r Erwartunge­n?

ÜBERALL: Wir müssen wachsam sein und dafür sorgen, dass Journalist­en und Journalist­innen nicht prekär beschäftig­t werden. Dann steigt tatsächlic­h der Druck, irgendetwa­s zu verkaufen und Geschichte­n zu erzählen, die nichts mit der Realität zu tun haben. In dem konkreten Fall war der Spiegel-Reporter aber eher Opfer seines eigenen Erfolges und der eigenen Ansprüche.

FRAGE: Der Spiegel hat die Manipulati­onen selbst offengeleg­t. Ist das der richtige Weg, um Glaubwürdi­gkeit zurück zu gewinnen?

ÜBERALL: Das ist der einzig mögliche Weg. Wir werden mit Lügenpress­e-Vorwürfen und Ähnlichem immer wieder konfrontie­rt. Daher ist es wichtig, deutlich zu machen, dass solche Manipulati­onen das abweichend­e und nicht das übliche Verhalten sind. Und wenn sie vorkommen, werden sie streng geahndet. Noch strenger als selbst alles offenzuleg­en und sich selbst an den Pranger zu stellen, kann man nicht aufklären.

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DPA-BILD: KAPPELER

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