99,99 Prozent arbeiten sauber
Ist die Medienbranche nach der Spiegel-Affäre in der Krise? Ein Gespräch mit Frank Überall, dem Vorsitzenden des deutschen Journalistenverbandes (DJV).
FRAGE: Ein Spiegel-Journalist hat jahrelang Reportagen gefälscht oder sogar frei erfunden. Was sagt das über die Glaubwürdigkeit der Medien aus?
ÜBERALL: Ich war geschockt, als ich davon erfahren habe. Aber wenn jemand vorsätzlich betrügt, ist es kaum möglich, sich dagegen zu wehren. Über die Branche sagt dieser Fall daher wenig aus. Die intensive öffentliche Debatte zeigt, dass dieser Fall abweicht von der Regel. 99,99 Prozent der Kolleginnen und Kollegen arbeiten absolut sauber. FRAGE: Der Spiegel gilt ja branchenweit als Vorbild mit seiner intensiven 'ontrolle der Fakten durch eine große Dokumentationsabteilung. Ist nicht doch zu befürchten, dass solche Fälle deutlich verbreiteter sind als bekannt? ÜBERALL: Das sehe ich nicht. Hier hat jemand die Dokumentationsabteilung vorsätzlich getäuscht, wie der Spiegel selber berichtet. Es handelt sich hier um kriminelles Verhalten. Das hat mit Berufsethos nichts mehr zu tun. Eine anständige Journalistin, ein anständiger Journalist macht so etwas nicht. Auf den Anstand muss man sich in den Redaktionen und der gesamten Gesellschaft ein Stück weit verlassen. Ich muss mich auch auf den Arzt verlassen können und auf den Koch im Restaurant.
FRAGE: Der Spiegel--utor .laas Relotius, dem die Fälschungen zu /ast gelegt werden, verspürte einen starken Druck, wie die Spiegel-.hefredaktion schreibt. Ist Relotius auch ein 0pfer überzogener Erwartungen?
ÜBERALL: Wir müssen wachsam sein und dafür sorgen, dass Journalisten und Journalistinnen nicht prekär beschäftigt werden. Dann steigt tatsächlich der Druck, irgendetwas zu verkaufen und Geschichten zu erzählen, die nichts mit der Realität zu tun haben. In dem konkreten Fall war der Spiegel-Reporter aber eher Opfer seines eigenen Erfolges und der eigenen Ansprüche.
FRAGE: Der Spiegel hat die Manipulationen selbst offengelegt. Ist das der richtige Weg, um Glaubwürdigkeit zurück zu gewinnen?
ÜBERALL: Das ist der einzig mögliche Weg. Wir werden mit Lügenpresse-Vorwürfen und Ähnlichem immer wieder konfrontiert. Daher ist es wichtig, deutlich zu machen, dass solche Manipulationen das abweichende und nicht das übliche Verhalten sind. Und wenn sie vorkommen, werden sie streng geahndet. Noch strenger als selbst alles offenzulegen und sich selbst an den Pranger zu stellen, kann man nicht aufklären.