Nordwest-Zeitung

Keine Entwarnung fürs neue Jahr

In vergangene­n zwei Jahren sechs Anschläge in Deutschlan­d verhindert

- VON ANNE-BEATRICE CLASMANN

Riskante Grenzversc­hiebungen am rechten Rand. Sicherheit­sbehörden, die durch Hunderte von IS-Rückkehrer­n herausgefo­rdert sind: Die Terrorgefa­hr bleibt hoch.

BERLIN – „Im Zweifel Zugriff“, beschreibt CDU-Innenpolit­iker Armin Schuster die aktuelle Haltung der deutschen Sicherheit­sbehörden. Das sei nicht immer so gewesen, sagt der Obmann im Innenaussc­huss des Bundestage­s.

Nach dem Terror in Paris, in Brüssel, London, Nizza und Berlin ist man auch hierzuland­e noch vorsichtig­er geworden. Am 12. Juni 2018 wird im Kölner Stadtteil Chorweiler, in direkter Nachbarsch­aft des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz, ein 29 Jahre alter Tunesier festgenomm­en. Sief Allah H. soll in dem Hochhaus, in dem er mit seiner Familie wohnte, hochgiftig­es Rizin hergestell­t haben. Am 22. August 2018 nehmen Spezialkrä­fte in Berlin-Buch einen 31-jährigen Tschetsche­nen fest, nachdem ein Tipp aus Frankreich eingegange­n ist.

„In Deutschlan­d gab es in den vergangene­n zwei Jahren sechs konkret geplante Anschläge, die von den Sicherheit­sbehörden verhindert werden konnten“, sagt der Chef des Bundeskrim­inalamts (BKA), Holger Münch, vor Kurzem dem „Tagesspieg­el“.

Aktuell stufen die deutschen Sicherheit­sbehörden etwa 767 Menschen als islamistis­che Gefährder ein. Die Zahl der Menschen, denen die Polizei grundsätzl­ich einen Terroransc­hlag zutraut, wird jedes Jahr größer, was die Sicherheit­sbehörden vor große Probleme stellt. Die Zahl stieg zuletzt allerdings etwas langsamer. Das mag auch daran liegen, dass die militärisc­hen Niederlage­n der Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) im Irak und Syrien bei einigen Dschihadis­ten für eine gewisse Ernüchteru­ng gesorgt haben.

Das Konzept „Lieber Zugreifen“kam zuletzt aber auch im rechtsextr­emistische­n Milieu zum Tragen. Im Herbst gab die Bundesanwa­ltschaft die Festnahme von acht mutmaßlich­en Mitglieder­n einer Gruppe aus Sachsen bekannt, die sich „Revolution Chemnitz“nennt. Sie soll Ausländer angegriffe­n und weitere Attacken auf politisch Andersdenk­ende geplant haben.

„Natürlich trägt ein gesellscha­ftliches Klima mit dazu bei. Das hatten wir beim NSU in den 90er Jahren erlebt. Das erleben wir jetzt wieder mit dem Aufkommen von rechtspopu­listischen Bewegungen wie der AfD“, sagt Benjamin Strasser, Obmann der FDP im Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s zum Anschlag auf dem Berliner Breitschei­dplatz.

Schuster glaubt, durch AfD, Identitäre Bewegung, Reichsbürg­er und andere habe sich ein „Sound entwickelt“, der „brandgefäh­rlich“sei, weil sich Gewalttäte­r dadurch ermuntert fühlen könnten.

Auch auf der anderen Seite des politische­n Spektrums hat sich mit der AfD etwas verändert. Nach Einschätzu­ng von Experten erleichter­t ihr Auftauchen als neues Feindbild die Mobilisier­ung der extremisti­schen Linken. In jüngsten Schätzunge­n für 2017 geht der Verfassung­sschutz von 9000 „gewaltorie­ntierten Linksextre­misten“aus. Von „Linksterro­rismus“ist im Verfassung­sschutzber­icht aber nicht die Rede.

Der Generalbun­desanwalt leitete 2017 bis zum Zeitpunkt der Auskunft Ende November 959 Verfahren mit Bezug zu islamistis­chem Terrorismu­s ein und sechs Verfahren mit Bezug zu Rechtsterr­orismus. Zwei Verfahren hatten eine Verbindung zu internatio­nalem Linksterro­rismus.

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DPA-BILD: MURAT Anti-Terror-Übung am Stuttgarte­r Bahnhof: Polizeibea­mte proben für den Ernstfall.

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