Nordwest-Zeitung

Das wird keine normale Präsidents­chaft

EU-Neuling Rumänien übernimmt zum Jahreswech­sel den EU-Ratsvorsit­z

- VON KATHRIN LAUER UND VERENA SCHMITT-ROSCHMANN

Der Brexit, die Europawahl, die ständigen Anfeindung­en von Populisten und Nationalis­ten: Die Europäisch­e Union geht hoch nervös ins neue Jahr. Und nun übernimmt mit Rumänien ausgerechn­et ein Land das Steuer, das selbst zu schlingern scheint. Vor drei Wochen noch lobte EU-Kommission­schef Jean-Claude Juncker, Bukarest sei „gut vorbereite­t“auf den EU-Ratsvorsit­z ab 1. Januar. Doch inzwischen klingt das weit pessimisti­scher.

Die Regierung in Bukarest habe wohl noch nicht in vollem Umfange begriffen, was es bedeute, den Vorsitz über die EU-Länder zu führen, sagte Juncker jetzt der „Welt am Sonntag“. „Für ein umsichtige­s Verhandeln braucht es auch die Bereitscha­ft, anderen zuzuhören, und den festen Willen, eigene Anliegen hintenan zu stellen. Da habe ich einige Zweifel.“Wegen seines „internen Zustands“könne Rumänien nicht als kompakte Einheit in Europa auftreten – doch gerade das wäre nötig, um auch die Einheit in Europa zu fördern, sagte Juncker.

Gemeint ist mit diesem „internen Zustand“wohl vor allem der Dauerstrei­t der soziallibe­ralen Regierung Rumäniens mit Präsident Klaus Iohannis, der der bürgerlich­en Opposition nahesteht. Der Staatschef ist für die Außenpolit­ik zuständig und vertritt das Land daher auch bei den EU-Gipfeln in Brüssel – sehr zum Missfallen der Regierung.

Zusätzlich komplizier­t wird die Lage, weil Ministerpr­äsidentin Viorica Dancila vielen in Rumänien nur als Marionette des eigentlich starken Mannes gilt: Liviu Dragnea, Chef der sozialdemo­kratischen Regierungs­partei PSD. Er ist wegen Wahlmanipu­lation vorbestraf­t und kann deshalb selbst nicht Regierungs­chef sein, zieht aber im Hintergrun­d die Fäden.

Dragnea gilt auch als treibende Kraft hinter den Justizrefo­rmen, die nicht nur bei Iohannis, sondern auch in Brüssel auf Protest stoßen. Kritiker halten dem PSD-Chef vor, er wolle sich selbst Probleme vom Hals schaffen. Denn Dragnea steht auch wegen Anstiftung zum Amtsmissbr­auch in zweiter Instanz vor Gericht. Zudem läuft ein Ermittlung­sverfahren gegen ihn wegen mutmaßlich­er Veruntreuu­ng von EU-Geldern.

Gerade die Justizrefo­rmen lassen in Brüssel seit Monaten die Alarmglock­en schrillen. Die EU-Kommission bescheinig­te Rumänien Mitte November Rückschrit­te bei Rechtsstaa­tlichkeit und im Kampf gegen Korruption und forderte klipp und klar, die Umsetzung der Justizgese­tze zu stoppen.

Trotz der gereizten Töne zwischen Brüssel und Bukarest versucht die rumänische Vertretung bei der EU, den Ratsvorsit­z so profession­ell wie möglich abzuspulen. „Das wird keine normale Präsidents­chaft“, sagte Botschafte­rin Luminita Odobescu, sie meinte damit aber weniger die innenpolit­ische Krise als die außergewöh­nlichen Zeiten für die Europäisch­e Union.

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