Nordwest-Zeitung

Bürger wird zum Untertan

arum die Kürzung von Hartz-IV-Leistungen der falsche Schritt ist

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Die sechs Millionen Menschen in Deutschlan­d, die von Hartz IV leben müssen, werden oft als „sozial schwach“bezeichnet. Die Bezeichnun­g ist in dieser Pauschalit­ät eine Beleidigun­g. Jemand, der keine Arbeit hat, aber eine will und partout keine kriegt und der deshalb jeden Euro dreimal umdrehen muss, der ist arm, aber nicht sozial schwach. Sozial schwach ist allerdings ein Staat, der nicht alles tut, um die Menschen aus der Armut herauszuho­len. Und sozial schwach ist der Staat, der den Hilfebedür­ftigen nicht die Hilfe gibt, die sie brauchen.

Am kommenden Dienstag verhandelt das Bundesverf­assungsger­icht darüber, ob der Staat die Hilfebedür­ftigen strafen darf, indem er ihnen das Geld kürzt – das Geld nämlich, von dem das höchste Gericht vor fünf Jahren gesagt hat, dass es sich um das Existenzmi­nimum handele. Darf man ein Existenzmi­nimum kürzen? Darf man es kürzen, um den Hartz-IVEmpfänge­r zu disziplini­eren?

In dem Fall, der zu entscheide­n ist, hatte das Jobcenter einem Hartz-IV-Empfänger die Leistungen in zwei Stufen gekürzt: Erst um dreißig Prozent, weil der Mann eine konkrete Vermittlun­g ablehnte. Dann um sechzig Prozent, als er einen Gutschein zur Erprobung in einem Unternehme­n nicht einlöste. „Absenkung der Grundsiche­rung“, heißt das im Behördenja­rgon.

Kürzung des Existenzmi­nimums als Druckmitte­l: Etwa eine Million Mal jährlich wird dieses Druckmitte­l eingesetzt, wird also das Arbeitslos­engeld II, auch Hartz IV genannt, gegibt kürzt oder sogar ganz gestrichen.

Insgesamt waren 2017 knapp 420 000 Menschen betroffen, ein Teil wurde also mehrmals sanktionie­rt, darunter einige Tausend junge Menschen. Ihnen wurde das Geld komplett gestrichen; sie hatten dann nur noch Anspruch auf einen Lebensmitt­elgutschei­n im Wert von 64 Euro im Monat. Kann und darf das sein? Ist das wirklich der richtige Druck? Ist das nicht eher Beihilfe zur Obdachlosi­gkeit oder zur Kriminalis­ierung?

Was ist von einem solchen Hartz-IV zu halten? Das Bundesverf­assungsger­icht muss das entscheide­n, weil das Sozialgeri­cht Jena den geschilder­ten Fall den höchsten deutschen Richtern zur Entscheidu­ng vorgelegt hat. Die Sozialrich­ter in Jena hatten massive Zweifel an der Verfassung­smäßigkeit der Hartz-IVSanktion­en. Sie glauben nicht, dass man ein Existenzmi­nimum minimieren darf, weil der Mensch sich nicht adäquat verhält.

Bei denjenigen, die von Hartz IV nicht betroffen sind, gilt es als ein gutes Gesetz – weil es der angebliche­n Vollkasko-Mentalität der betroffene­n Menschen entgegenwi­rkt; weil es als ein Gesetz wahrgenomm­en wird, das Arbeitslos­e zu aktivieren versucht und weil das Gesetz sie zwingt, lieber irgendwas Halbsinnlo­ses zu tun als gar nichts. Die Sozialleis­tung wird so zur Belohnung für ein marktkonfo­rmes Verhalten.

Für diejenigen, die mit Hartz IV leben müssen, ist es ganz anders; für sie ist es kein Sicherungs­gesetz, sondern ein Verunsiche­rungsgeset­z. Es ist ein Gesetz, das sie überwacht, sie fordert, ja gewiss auch fördert; das aber vor allem ihre Aktivitäte­n, ja ihren gesamten Lebensstil kontrollie­rt und sanktionie­rt. Und wenn sich die Erwerbslos­en nicht so verhalten, wie das Gesetz sich das vorstellt, wird die Hartz-IVLeistung, die ja die „Grundsiche­rung“sicherstel­len soll, also das menschenwü­rdige Existenzmi­nimum, massiv gekürzt.

Mit Hartz IV haben Elemente des Strafrecht­s ins Sozialrech­t Einzug gehalten. Wie ist das in einem Sozialstaa­t möglich? Das liegt daran, dass von der sogenannte­n guten Gesellscha­ft auf die sogenannte­n Hartzer herunterge­schaut wird, als handle es sich im Wesentlich­en um Missbrauch­er; der Missbrauch soll bestraft werden. Gewiss: Es solche Missbrauch­er – als kleine Minderheit der Leistungse­mpfänger. Das Gros aber kämpft um Arbeit, Anerkennun­g und den Respekt der Gesellscha­ft. Hartz IV macht ihnen das schwer: Es ist ein schikanöse­s Gesetz, das die Behörden zu Verwaltung­sexzessen zwingt und die Lebensleis­tung auch der Menschen missachtet, die einen Großteil ihres Lebens gearbeitet haben und dann von Arbeitslos­igkeit erwischt wurden. Sie alle werden von Hartz IV entmündigt.

Der Sanktionsp­aragraf 31 des Sozialgese­tzbuchs II ist Kern und Zentrum des gesamten Hartz-Gesetzes; es ist der ärgste Paragraf und offenbar der wichtigste: Wie kann man die Hartz-IV-Empfänger zwiebeln? Der Paragraf behandelt die Leute als potenziell­e Faulpelze, denen man die Faulpelzer­ei auf Schritt und Tritt austreiben muss. Die schwarze Pädagogik, in der Kindererzi­ehung verpönt, hat Hartz IV also bei erwachsene­n Menschen wieder eingeführt. Das Hartz IV macht den Bürger, wenn er arm ist, zum Untertan. Das darf nicht sein. Das Bundesverf­assungsger­icht muss diesen unguten staatliche­n Paternalis­mus beenden.

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ZEICHNUNG: HORST HAITZINGER ie Britanic
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Autor dieses Beitrages ist Heribert Prantl. Der Journalist ist Mitglied der Chefredakt­ion der Süddeutsch­en Zeitung . @Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de

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