Sinfoniekonzert zwischen An- und Entspannung
Staatsorchester und Dirigent Vestmann pr sentieren drei spannungsreiche Kompositionen
OLDENBURG – Der programmatische Titel „Spannungsreich“des 4. Sinfoniekonzertes der Saison im Großen Haus lenkte die Aufmerksamkeit unmissverständlich auf die polaren Spannungen und Brüche der drei Kompositionen, die das Oldenburgische Staatsorchester unter der Leitung von Hendrik Vestmann überaus gelungen vor Ohren stellte.
Flirrender Klangteppich
Dabei manifestierte sich Spannung und Spannungsreiches auf unterschiedliche Art. Die Komposition „Mechanics of Flying“der zeitgenössischen estnischen Komponistin Liisa Hirsch entwickelt Spannung aus ununterbrochenen Transformationsprozessen. Ein flirrender Klangteppich ist in Mikroschritten ständigen Veränderungen unterworfen. Die einzigen uantitativ stärkeren Veränderungen, die Taktwechsel von acht-, sechs- und vierteiligen Takten, sind so fein eingebunden, dass auch sie eher wie Mikroschritte wirken. Da sich aber alles kontinuierlich ändert und die gleichen Akkorde scheinbar nie mehr wiederkehren, besteht das Spannungsreiche in der Anspannung des genauen Horchens, das sich nicht auf erwartbare Tonfolgen und Melodiebögen verlassen kann.
Die Spannungen in Sergei Prokofjews 3. Klavierkonzert sind rezeptionsunabhängiger: Sie springen gleichsam ins Ohr. Klassisches steht gegen Modernes, und die zeittypischen neoklassizistischen motorischen Blöcke können manchmal bruchlos in zarte Lyrismen übergehen, die aussingen und ausschwingen, während die motorischen Blöcke von einer Art mechanischem berwältigungswillen geprägt zu sein scheinen.
Dem jungen Pianisten Alexej Gorlatch gelang es in einer technisch beeindruckenden Leistung, beiden konträren Momenten gerecht zu werden. Seine Solo-Zugabe, die Etüde in C-Dur von Chopin, nahm die Spannung für einen durch und durch entspannten Augenblick heraus und wurde vom Publikum gefeiert.
Souverän aufgespielt
Nach der Pause stand mit Peter Tschaikowskys 5. Sinfonie ein Großwerk auf dem Programm, das seelische Spannungen und Anspannungen, hier die des melancholischen Komponisten, verallgemeinert hin zu einer formal klassisch gebundenen Auseinandersetzung mit Schicksal und Schicksalhaftem in metaphysischen Dimensionen. Der musikalische Grundgedanke wird als Schicksalsmotiv vorangestellt und durchzieht, leicht abgewandelt, alle vier Sätze.
Wie im wirklichen Leben auch bleibt das Schicksal als solches immer präsent, aber es wandelt sich. Am Ende triumphiert nicht das Individuum, sondern das Schicksal. Das war – als Einheit zwischen Bläsern, Streichern und Schlagwerk ausbalanciert, das Rhythmisch-Tänzerische betonend – das musikalische ITüpfelchen eines aufwühlenden Sinfoniekonzertes. Vestmann dirigierte entschlackt, duftig-luftig und immer die beiden Pole berücksichtigend ein ganz souverän aufspielendes Staatsorchester. Wirklich spannungsreich!