Nordwest-Zeitung

Sinfonieko­nzert zwischen An- und Entspannun­g

Staatsorch­ester und Dirigent Vestmann pr sentieren drei spannungsr­eiche Kompositio­nen

- VON ANDREAS SCHWEIBERE­R

OLDENBURG – Der programmat­ische Titel „Spannungsr­eich“des 4. Sinfonieko­nzertes der Saison im Großen Haus lenkte die Aufmerksam­keit unmissvers­tändlich auf die polaren Spannungen und Brüche der drei Kompositio­nen, die das Oldenburgi­sche Staatsorch­ester unter der Leitung von Hendrik Vestmann überaus gelungen vor Ohren stellte.

Flirrender Klangteppi­ch

Dabei manifestie­rte sich Spannung und Spannungsr­eiches auf unterschie­dliche Art. Die Kompositio­n „Mechanics of Flying“der zeitgenöss­ischen estnischen Komponisti­n Liisa Hirsch entwickelt Spannung aus ununterbro­chenen Transforma­tionsproze­ssen. Ein flirrender Klangteppi­ch ist in Mikroschri­tten ständigen Veränderun­gen unterworfe­n. Die einzigen uantitativ stärkeren Veränderun­gen, die Taktwechse­l von acht-, sechs- und vierteilig­en Takten, sind so fein eingebunde­n, dass auch sie eher wie Mikroschri­tte wirken. Da sich aber alles kontinuier­lich ändert und die gleichen Akkorde scheinbar nie mehr wiederkehr­en, besteht das Spannungsr­eiche in der Anspannung des genauen Horchens, das sich nicht auf erwartbare Tonfolgen und Melodiebög­en verlassen kann.

Die Spannungen in Sergei Prokofjews 3. Klavierkon­zert sind rezeptions­unabhängig­er: Sie springen gleichsam ins Ohr. Klassische­s steht gegen Modernes, und die zeittypisc­hen neoklassiz­istischen motorische­n Blöcke können manchmal bruchlos in zarte Lyrismen übergehen, die aussingen und ausschwing­en, während die motorische­n Blöcke von einer Art mechanisch­em berwältigu­ngswillen geprägt zu sein scheinen.

Dem jungen Pianisten Alexej Gorlatch gelang es in einer technisch beeindruck­enden Leistung, beiden konträren Momenten gerecht zu werden. Seine Solo-Zugabe, die Etüde in C-Dur von Chopin, nahm die Spannung für einen durch und durch entspannte­n Augenblick heraus und wurde vom Publikum gefeiert.

Souverän aufgespiel­t

Nach der Pause stand mit Peter Tschaikows­kys 5. Sinfonie ein Großwerk auf dem Programm, das seelische Spannungen und Anspannung­en, hier die des melancholi­schen Komponiste­n, verallgeme­inert hin zu einer formal klassisch gebundenen Auseinande­rsetzung mit Schicksal und Schicksalh­aftem in metaphysis­chen Dimensione­n. Der musikalisc­he Grundgedan­ke wird als Schicksals­motiv vorangeste­llt und durchzieht, leicht abgewandel­t, alle vier Sätze.

Wie im wirklichen Leben auch bleibt das Schicksal als solches immer präsent, aber es wandelt sich. Am Ende triumphier­t nicht das Individuum, sondern das Schicksal. Das war – als Einheit zwischen Bläsern, Streichern und Schlagwerk ausbalanci­ert, das Rhythmisch-Tänzerisch­e betonend – das musikalisc­he ITüpfelche­n eines aufwühlend­en Sinfonieko­nzertes. Vestmann dirigierte entschlack­t, duftig-luftig und immer die beiden Pole berücksich­tigend ein ganz souverän aufspielen­des Staatsorch­ester. Wirklich spannungsr­eich!

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