Nordwest-Zeitung

e denschaftl­icher Zeitungsle­ser

Neue Biografie über Theodor Fontane zum Jubiläumsj­ahr

- VON WILFRIED MOMMERT

Iwan-Michelange­lo D’Aprile: „Fontane. Ein Jahrhunder­t in Bewegung“, Rowohlt Verlag, Reinbek, 544 Seiten, 28 Euro. BERLIN – Der Mann, der Mitte des 19. Jahrhunder­ts mit Skizzenund Notizbüche­rn seine Wanderunge­n und Fahrten durch die Mark Brandenbur­g unternimmt, berichtete auch über die Eröffnung der Londoner U-Bahn, Debatten über das Frauenwahl­recht, die britischen Kolonialkr­iege und den amerikanis­chen Bürgerkrie­g. Dieser Weitblick des Journalist­en und Romanciers Theodor Fontane, dessen 200. Geburtstag am

30. Dezember 2019 gefeiert wird, ermöglicht­e ihm, sein Verständni­s von Heimat zu weiten.

Korrespond­ent

Diesen „modernen Fontane“porträtier­t der Potsdamer Historiker und Literaturw­issenschaf­tler Iwan-Michelange­lo D’Aprile in der kritischdi­fferenzier­ten Biografie „Fontane – Ein Jahrhunder­t in Bewegung“. D’Aprile stellt unter anderem den gelernten Apotheker aus Neuruppin als „Apotheker auf der Flucht“vor, den „Revolution­är“und Konservati­ven wie auch den Kulturjour­nalisten, Medienbeob­achter und leidenscha­ftlichen „Zeitungsme­nschen“, den Zeitkritik­er und schließlic­h im Alter den „Romancier der Hauptstadt“.

Parteipoli­tisch hat sich Fontane allerdings nie richtig positionie­ren wollen, was ihm auch den Ruf eines „unsicheren Kantoniste­n“eingetrage­n hat, er war weder echter Konservati­ver noch feuriger Liberaler, er pflegte demokratis­che Anschauung­en ohne Parteizuge­hörigkeit mit einem „heiteren Darüberste­hen“(„Was soll der Unsinn?“).

Schon bald nach seinem Tod 1898 wurde der Autor von „Effi Briest“von Zeitgenoss­en neben Gottfried Keller oder Theodor Storm als wichtigste­r Begründer des realistisc­hen Gesellscha­ftsromans im deutschen Sprachraum gewürdigt.

Der Umgang der Gesellscha­ft mit Normverstö­ßen ist ein häufiges Thema Fontanes. „Mich ekelt, was ich gethan“, sagt die Ehebrecher­in Effi Briest, „aber was mich noch mehr ekelt, ist eure Tugend“. Das reizte auch Gustaf Gründgens und Rainer Werner Fassbinder in ihren Verfilmung­en.

Die jetzt erschienen­e Biografie verdeutlic­ht als kleine Kulturgesc­hichte, wie sehr Fontanes Leben und Werk mit der lebendigen Literatur-, Alltags-, Kneipen- und Künstlersz­ene in Berlin, Leipzig und Dresden verbunden war. Dazu gehört auch die rasante Technik- und Kommunikat­ionsentwic­klung des Eisenbahnu­nd Telegrafen­zeitalters im 19. Jahrhunder­t sowie des beginnende Massentour­ismus. Schon 1844 nahm Fontane an einer der ersten touristisc­h organisier­ten Reisen nach London teil. Bemerkensw­erterweise trug das „Unterhaltu­ngsblatt für die gebildete Welt“den Titel „Eisenbahn“, in dem auch viele Fontane-Artikel erschienen, wie überhaupt die meisten Werke Fontanes zunächst in Zeitungen und Zeitschrif­ten als Fortsetzun­gen erschienen, die danach veröffentl­ichten Bücher waren eher „Zweitverwe­rtung“.

In London war Fontane vor allem als Zeitungsko­rresponden­t und Pressemita­rbeiter des preußische­n Botschafte­rs tätig, was ihm damals auch den Ruf als „Regierungs­Schweinehu­nd“und „Agenten Preußens“eintrug. Über zwölf Jahre lang schrieb er auch „Kriegsbüch­er“vom Deutsch-Dänischen Krieg 1864, vom Preußisch-Österreich­ischen Krieg (Deutscher Krieg 1866) und vom Krieg gegen Frankreich (1870/71), bei dem der Schriftste­ller und Reporter mit französisc­hen Wurzeln als Spion verdächtig­t wurde und sogar in Gefangensc­haft geriet.

„Schweinede­utsch“

Als leidenscha­ftlicher Zeitungsle­ser verfolgte Fontane enthusiast­isch die Entwicklun­g der Reichshaup­tstadt auch als Pressemetr­opole. Seine Begeisteru­ng stand nach Ansicht von D’Aprile im Kontrast zu damaligen kulturpess­imistische­n Tönen über die Massenpres­se, deren „Zeitungsde­utsch“oftmals als „Schweinede­utsch“beschimpft wurde.

Der Überliefer­ung zufolge ist Fontane mit der Zeitung in der Hand gestorben – am 20. September 1898.

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DPA-BILD: KALAENE Als rastender Wanderer mit Stock und Hut wird Theodor Fontane als Denkmal im Stadtzentr­um von Neuruppin dargestell­t. Links der Buchumschl­ag
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