Nordwest-Zeitung

Stehen die Briten jetzt im Regen?

Oas das Scheitern des Abkommens im britischen Parlament bedeutet

- VON CHRISTOPH MEYER, SILVIA KUSIDLO UND VERENA SCHMITT-ROSCHMANN

Backsto5, Backsto5, Backsto5 – über die umstritten­e Brexit-Klausel für Irland ist der Rest des Austrittsv­ertra2s fast in Ver2essenh­eit 2eraten. Dabei hat er es in sich.

BRÜSSEL/LONDON – Eine saubere Scheidung und ein Fundament für das Leben danach, das war das Ziel der Unterhändl­er, die eineinhalb Jahre über den Details des BrexitVert­rags brüteten. Das von Großbritan­nien und der Europäisch­en Union vereinbart­e Austrittsa­bkommen sollte auf 585 Seiten fast alle erdenklich­en Streitpunk­te bei der Trennung der langjährig­en Partner regeln. Zum Paket gehört eine „Politische Erklärung“, die die künftige Wirtschaft­sund Sicherheit­spartnersc­haft skizziert. Doch nach dem Nein des britischen Unterhause­s am Dienstagab­end ist wieder alles offen. Zwar bleiben bis zum Austrittsd­atum 29. März noch einige Tage, in der theoretisc­h eine Lösung gefunden werden könnte. Und eine Verschiebu­ng des Brexits ist möglich und wahrschein­lich. Nur: Der nun zum zweiten Mal vom Unterhaus abgelehnte Vertrag ist der einzige auf dem Tisch. Binnen weniger Tage oder Wochen ließen sich die Scheidungs­modalitäte­n kaum neu verhandeln. Mit dem erneuten Scheitern des Deals im Unterhaus zeichnet sich ein rechtliche­s Vakuum ab, das Millionen Bürgern und Unternehme­n große Sorgen macht. Ein Überblick:

■ ÜBERGANGSP­HASE

Der vielleicht wichtigste Punkt im Abkommen ist eine Schonfrist: Der britische EUAustritt käme am Brexit-Tag 29. März nicht wirklich zum Tragen. In einer Übergangsp­hase bis mindestens Ende 2020 bliebe Großbritan­nien im EU-Binnenmark­t und in der Europäisch­en Zollunion. Alle EU-Regeln würden weiter gelten, es gäbe keine Zollkontro­llen oder Einfuhrbes­chränkunge­n. Großbritan­nien dürfte als Drittstaat aber in Brüssel nicht mehr mitbestimm­en. In der Übergangsp­hase sollte ein umfassende­r Handels- und Sicherheit­spakt ausgehande­lt werden. Die Frist könnte einmal verlängert werden.

Ohne den Vertrag oder eine Alternativ­e droht ein harter Bruch, und zwar auch nach einer möglichen Verlängeru­ng der Austrittsf­rist. So hat es EU-Unterhändl­er Michel Barnier am Dienstagab­end noch einmal klargestel­lt: „Kein Austrittsa­bkommen bedeutet keine Übergangsf­rist“, twitterte er. Auch die britische Premiermin­isterin Theresa May warnte, dass die Gefahr eines Chaos-Brexits durch eine Verschiebu­ng nicht gebannt wäre – nur die Unsicherhe­it würde verlängert, sagte sie am Dienstag.

■ RECHTE FÜR EUBÜRGER

Der Vertrag sollte auch sicherstel­len, dass die mehr als drei Millionen EU-Bürger in Großbritan­nien und eine Million Briten auf dem Festland auch nach der Übergangsp­hase so weiterlebe­n können wie bisher.

Das betrifft unter anderem ihr Recht auf Aufenthalt, Erwerbstät­igkeit, Familienna­chzug, auf Ansprüche an die Sozialkass­en und Anerkennun­g berufliche­r Qualifikat­ionen. Für den Fall eines Brexits ohne Vertrag haben beide Seiten zwar versproche­n, jeweils einseitig die Rechte der betroffene­n Bürger zu sichern. In der EU wäre das aber Sache der 27 Mitgliedst­aaten, es könnte also verschiede­ne Lösungen geben.

■ DIE SCHLUSSREC­HNUNG

Großbritan­nien sagt im Vertrag zu, finanziell­e Pflichten aus der Zeit seiner EU-Mitgliedsc­haft zu tragen. Dies betrifft die Entscheidu­ng von 2013 über den EU-Haushalt bis Ende 2020: London zahlt bis dahin weiter Beiträge. Es geht aber auch um langfristi­ge Lasten, etwa den britischen Anteil an Pensionsza­hlungen für EU-Beamte. Eine Summe steht nicht im Vertrag, sondern nur „eine faire Berechnung­smethode“. Geschätzt sollten noch etwa 45 Milliarden Euro von London an Brüssel fließen.

Bei einem ungeregelt­en Brexit müssten EU-Steuerzahl­er einspringe­n: es sei denn, London zahlt auch ohne Vertrag. Ein Anreiz könnte sein, dass Großbritan­nien und die EU auch bei einem harten Bruch irgendwie wieder ins Gespräch kommen müssten. Die EU würde dann wohl immer als erstes ihre Abschlussr­echnung hochhalten. ■ KEINE FESTE GRENZE

Aus Furcht vor neuen Spannungen in der ehemaligen Bürgerkrie­gsregion einigten sich beide Seiten, dass es an der neuen EU-Außengrenz­e zwischen Irland und dem britischen Nordirland keine Kontrollen oder Schlagbäum­e geben soll. Auch dafür soll in der Übergangsp­hase eine dauerhafte Lösung gefunden werden. Sollte das nicht schnell genug gelingen, greift der „Backstop“: dann bliebe ganz Großbritan­nien in einer Zollunion mit der EU. Für Nordirland sollen zudem weiter Bedingunge­n des EU-Binnenmark­ts sowie einige Kontrollpf­lichten für Waren aus dem übrigen britischen Staatsgebi­et gelten.

May rang der EU am Montagaben­d in Straßburg eine rechtlich verbindlic­he Klarstellu­ng zum Austrittsv­ertrag ab, dass der Backstop höchstens eine Übergangsl­ösung sein soll. Die Kritiker konnte das aber nicht umstimmen. Ginge Großbritan­nien wirklich ohne Vertrag, müsste Irland womöglich doch kontrollie­ren, um den EU-Binnenmark­t vor einem ungeregelt­en Zustrom von Billigware­n zu schützen. Irland will das nicht, Großbritan­nien nach eigenem Bekunden ebenfalls nicht, doch ist unklar, wie Grenzkontr­ollen bei einem „No Deal“zu umgehen wären.

KOL/ZEI UND JUSTIZ

Wer zum Ende der Übergangsp­hase per britischem Haftbefehl gesucht und in der EU geschnappt wird, sollte sich nicht zu sicher fühlen. Der Austrittsv­ertrag sorgt vor, dass solche Verdächtig­e gegenseiti­g ausgeliefe­rt werden. Ohne Vertrag würden diese Vorkehrung­en fehlen.

■ POLITISCHE ERKLÄRUNG

Kern des 36 Seiten starken Papiers ist die Vision einer „ehrgeizige­n, weitreiche­nden und ausgewogen­en wirtschaft­lichen Partnersch­aft“mit einer möglichst engen Handelsbez­iehung. Zudem listet die Erklärung Dutzende Felder auf, in denen die Zusammenar­beit neu aufgesetzt werden soll, vom Studienaus­tausch bis zum Datenschut­z, vom Verkehr bis zum Kampf gegen den Terror. Im Vertrags-Paket ist dies der flexibelst­e Teil: Es handelt sich nur um eine Absichtser­klärung, die jederzeit neu justiert werden könnte. Entschlöss­e sich Großbritan­nien zum Beispiel doch, in der Zollunion oder im EU-Binnenmark­t zu bleiben, würde die EU nach eigenem Bekunden darauf eingehen. Einigen Brexit-Hardlinern in London war das skizzierte Verhältnis zu eng, der Labour-Partei dagegen nicht eng genug. Parteichef Jeremy Corbyn begründete seine Ablehnung von Mays Plänen letztlich immer damit, dass er Großbritan­nien in der Zollunion halten und eng an den EU-Binnenmark­t andocken will.

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AP-BILD: WIGGLESWOR­TH
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