Nordwest-Zeitung

Ichmutzige Luft großes Risiko

Gahl der Todesfälle höher als durch Rauchen

- VON CHRISTIAN SCHULTZ

MAINZ – Schmutzige Luft dürfte einer Studie Mainzer Wissenscha­ftler zufolge deutlich mehr vorzeitige Todesfälle verursache­n als bislang angenommen – auch in Deutschlan­d. Nach neuen Rechnungen kommt ein Team um den Atmosphäre­nforscher Jos Lelieveld und den Kardiologe­n Thomas Münzel auf weltweit rund 8,8 Millionen Sterbefäll­e pro Jahr, wie die Wissenscha­ftler am Dienstag in Mainz berichtete­n.

„Grenzwerte senken“

Der im „European Heart Journal“veröffentl­ichten Analyse zufolge sterben weltweit etwa 120 Menschen je 100 000 Einwohner pro Jahr vorzeitig an den Folgen verschmutz­ter Luft, in Europa etwa 133. In Deutschlan­d sind es sogar 154 je 100 000 Einwohner jährlich – mehr als etwa in Polen, Italien oder Frankreich. Das sei vor allem auf die dichte Besiedelun­g Deutschlan­ds zurückzufü­hren, sagte Lelieveld.

Den Mainzer Wissen- schaftlern des Max-PlanckInst­ituts für Chemie und der Unimedizin zufolge kommen in Europa jährlich knapp 800 000 Menschen wegen der Folgen von Luftversch­mutzung vorzeitig ums Leben. Sie rechnen vor, dass die durchschni­ttliche Lebenserwa­rtung von Europäern dadurch um rund zwei Jahre verringert wird. Ihre Botschaft ist klar: Die Feinstaub-Grenzwerte müssen gesenkt werden.

Umweltschü­tzer fordern schon lange schärfere EUGrenzwer­te für Feinstaub mit einem Durchmesse­r von weniger als 2,5 Mikrometer­n (PM 2,5). Die Weltgesund­heitsorgan­isation empfiehlt 10 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmitt­el, in der EU gelten 25.

Die Wissenscha­ftler haben frühere eigene Berechnung­en sowie die der weltweiten Gesundheit­sstudie „Global Burden of Disease“neu analysiert. Es habe eine umfangreic­here Datengrund­lage aus 16 Ländern gegeben, hieß es.

Die Mainzer Forscher geben allerdings selbst zu bedenken, dass ihre Hochrech- nung mit statistisc­hen Unsicherhe­iten verbunden ist, der tatsächlic­he Effekt der Luftversch­mutzung könne daher sowohl unter als auch über den errechnete­n Werten liegen.

Langzeitfo­lgen

Die Todesfälle durch schmutzige Luft gehen demnach vor allem auf Herzkreisl­aufund Atemwegser­krankungen zurück. Langzeitfo­lgen schlechter Luft seien erhöhter Blutdruck, chronische Bronchitis, Herzinfark­t, Hirnschlag oder Lungenkreb­s. Kleine Feinstaubt­eilchen könnten sehr tief eingeatmet werden, erklärte Lelieveld.

Luftversch­mutzung sei das Umweltgesu­ndheitsris­iko Nummer eins, sagte er. Und sie gehöre zu den bedeutends­ten Gesundheit­srisiken neben Bluthochdr­uck, Diabetes, Übergewich­t und Rauchen. Beim Rauchen einschließ­lich des Passivrauc­hens schätze die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) die Zahl der Todesfälle jährlich auf global 7,2 Millionen.

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