Nordwest-Zeitung

Vom schamlosen Griff nach Lebensgrun­dlagen

Warum „Regional“immer öfter das neue „Bio“ist

- VON SABINE MANGOLD-WILL

Land Grabbing hat nichts mit Buddeln im Sand zu tun. Land Grabbing ist der englische Begriff für eines der wichtigste­n Probleme unserer Zeit: den weltweiten Kampf um fruchtbare­s Acker- und Weideland.

Das bereits etwas ältere, aber ungebroche­n aktuelle Buch des britischen Wissenscha­ftsjournal­isten Fred Pearce geht damit Jeden an. Denn wer fruchtbare­s Land besitzt, bestimmt darüber, wer von uns überleben wird. Das klingt dramatisch oder gar dramatisie­rend? Ist es! Aber viel weniger als die Meisten von uns denken.

Fred Pearce gehört in der englischsp­rachigen Welt zu den bekanntest­en Umweltakti­visten. In seinen Büchern kreist er um die Frage, wie die wachsende Erdbevölke­rung ausgeglich­en ernährt und die Natur als Lebensgrun­dlage des Menschen dennoch erhalten werden kann. Er verfolgt eine grüne Agenda, aber argumentie­rt selten ideologisc­h.

So finden sich in seinem Buch, das den Leser nach Afrika, Asien und Südamerika führt, gleicherma­ßen Beispiele für fragwürdig­es „grünes“Land Grabbing wie geglückte Landnahmen durch Großkonzer­ne. Alles in allem allerdings ist dieses Buch ein Plädoyer für bäuerliche Klein- und Mitbelegte­s telbetrieb­e und eine Kritik an landaufkau­fenden Staaten, Konzernen und Superreich­en.

Wer dabei an die hierzuland­e viel gescholten­e bäuerliche Agrarindus­trie denkt, liegt indes falsch. Denn die Kautschuk-, Mais- und Rinderplan­tagen um die es in Pearce Buch geht, sind nicht tausend oder zehntausen­d, sondern hunderttau­sende, ja Millionen Hektar groß. Und es geht nicht um Landwirte, die sich zusammensc­hließen, um zu überleben und weiterhin Lebensmitt­el zu produziere­n. Es geht um Banken und Finanzkonz­erne, um Staaten wie Saudi-Arabien und China, die Wasser und Nahrungsmi­ttel als gewinnbrin­gende Spekulatio­nsanlage betrachten oder weltweit systematis­ch Land aufkaufen, um ausschließ­lich ihre eigene Bevölkerun­g zu ernähren. Dafür nehmen sie in Kauf, dass einheimisc­he Bauern enteignet oder unangemess­en entschädig­t werden. Und sie sorgen dafür, dass Menschen Nahrungsmi­ttel produziere­n, von denen sie auf dem eigenen Markt nichts kaufen können: weil alles exportiert wird.

Andere Autoren als Pearce sprechen daher nur noch von „Landraub“. Pearce gut recherchie­rtes und detaillier­t Buch führt in Dimensione­n und Teile der Welt, die Vielen von uns ganz weit weg und kaum beeinfluss­bar erscheinen. Doch wer beim Abendbrot noch einmal nachdenkt, dem wird nach der Lektüre dieser deprimiere­nden und aufrütteln­den Reportage vielleicht klar werden, warum jeder Apfel aus dem eigenen Garten, jeder Schuss Rapsöl von heimischen Feldern, ja selbst jedes konvention­elle, aber regional produziert­e Schweinesc­hnitzel für den Erhalt der Natur und eine ausgeglich­ene Lebensmitt­elversorgu­ng weltweit einen Unterschie­d macht.

Wer sie isst, braucht eben keine auf Megafarmen von Megakonzer­nen produziert­e Sojamilch, keine Bio-Kartoffel, die mit unterirdis­chen Wasserrese­rven gewässert wurde, und keine aus Palmöl produziert­e vegane Schokolade. Überall dort, wo das Agrarland denen gehört, die darauf für uns alle Über-LebensMitt­el produziere­n, werden Landwirte auch angemessen mit ihrem Land umgehen – schon aus purem Eigeninter­esse. Land ist eine endliche Ressource, die gut behandelt werden will.

Das Buch „Land Grabbing: Der globale Kampf um Grund und Boden“von Fred Pearce ist bei Kunstmann erschienen, hat 320 Seiten und kostet 22,95 Euro.

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