„Kurzum: Sie sind ein schlechter Mensch“
Weder 4taatsanwaltschaft, noch Richter und Verteidiger glauben dem 57-j7hrigen Polen
Cas Gericht stützte sich bei der 4chuldfrage auf einen Rollwagen voller Akten. Das dichte Lügennetz wurde Marek Glinski zum Verh7ngnis.
OLDENBURG – Mal war Danuta Lysien tot, dann wieder quicklebendig. Mal war sie auf Weltreise unter fremdem Namen, mal von ihrem Nachbarn erschlagen und im Wald vergraben worden. Die Erklärungen Marek Glinskis für das spurlose Verschwinden der Polin waren mannigfaltig, ausschweifend und höchst lebendig. Von Danuta Lysien aber fehlte tatsächlich jedes Lebenszeichen.
Es gab keine Videoaufzeichnungen in den Bahnhöfen, die die Witwe laut Glinski für ihre angeblich anonyme Flucht genutzt haben soll. Keine Funkdaten zu ihrem Handy, keine Spuren im Haus, im Auto oder an sonstigen wegweisenden Orten. Im Gegensatz zu Marek Glinski. Überwachungskameras in Deutschland und Polen hatten den Mann verewigt, als dieser maskiert mit der ECKarte von Danuta Lysien Geld von ihrem Konto abhob. Sein Autokennzeichen wurde an Grenzübergängen erfasst, SMS und Anrufe mit seiner Nummer im Tatzeitraum detailliert aufgeschlüsselt. Da waren Hotelbuchungen, Zeugenaussagen und nicht zuletzt „Aktivitäten“in der rund ein Jahr später vollzogenen Untersuchungshaft, die ihn allesamt der Lüge überführten. Mehrfach hatte der Vorsitzende Richter Sebastian Bührmann (auch federführend im Högel-Prozess) dem Angeklagten während des viermonatigen Prozesses verdeutlicht, dass er ihm nur schwerlich glauben kann. Chancen zur Klarstellung gab er ihm jedoch mehr als genug. Allein: Glinski vermochte keine von ihnen zu nutzen.
Er verhedderte sich in Widersprüchen, nannte sich selbst einen Kopf-Chaoten, dementierte jeglichen LügenVorwurf um diesen sogleich wieder ad absurdum zu führen, indem er sagte: „Ich wurde doch zum Lügen gezwungen“– weil er von Polizei und Gericht angeblich unmenschlich behandelt worden sei. Diese Aussage wiederholte er auch in seinem Schlusswort am Dienstagvormittag. Und hatte Glinski noch in der letzten Verhandlung der Beweisaufnahme erklärt, dass Danuta Lysien tot sei, er aber nichts damit zu tun habe, sagte er nach den Plädoyers nun dies: „Es gab und es gibt keine Beweise, die bezeugen, dass Danuta Lysien nicht lebt – weil es keinen Mord gab.“
So nachhaltig beeindruckend wie gleichsam überraschend kam auch das Plädoyer seines Pflichtverteidigers Torsten Rückoldt aus Brake daher. Dieser hatte im Prozessverlauf auffällig geschwiegen, eher Formalitäten denn inhaltliche Aspekte moniert. Der Grund für all das – und auch jene beachtliche erste wie letzte Direktansprache gen Glinski: „Der Großteil unserer Verteidigungsstrategie war ja schon nach dem ersten Prozesstag Makulatur“, sagte Rückoldt, „weil es hier ganz anders gelaufen war, als ich es gedacht habe.“Glinski hatte wie berichtet aus dem Prozess eine Ein-Mann-Show gemacht – obwohl er laut Ab- sprache schweigen sollte. Ja, jeder Mensch habe ein Recht, verteidigt zu werden, deshalb hätte Rückoldt das Pflichtmandat übernommen – während sich der Wahlverteidiger plötzlich von dannen gemacht hatte, Glinskis Unterlagen unkommentiert hinterlassen hätte. Was dann folgte, sei „abenteuerlich“gewesen. Ob jeder neue Vortrag seines Mandanten denn eine neue „Episode aus Glinskis Märchen“sei, habe er sich gefragt. Und: „Was ist das für ein Unsinn und wie soll man das jemals wieder gerade biegen?“
Glinski lauschte, würdigte Rückoldt aber keines Blickes. Und auch im Zuschauerbereich gab es irritierte Gesichter. Ein Verteidiger, der gleich noch lebenslang für seinen Mandanten fordert? Von wegen: „Ich beantrage Freispruch.“Denn: „Ich will das Schlaglicht auf einen Aspekt legen: Dass wir hier unheimlich viel gehört haben an Dingen, die wir nicht glauben. Aber Herr Glinski glaubt sie.“Die psychiatrischen Gutachten, die allesamt eine Schuldfähigkeit des Angeklagten auswiesen, wolle er indes nicht infrage stellen.
So eindeutig, wie dies alles zurückblickend gegen Glinski klingen und auch sprechen mag, war es tatsächlich nicht. Bauchgefühle sind zwar in vielen Lebenslagen ein guter Ratgeber – vor Gericht aber braucht es Fakten. Und die lagen nun also in einem Rollwagen voller Akten aus Indizien für einen Mord vor. Kleinstarbeit, detailliert und überzeugend zugleich. Richter Bührmann bezeichnete dies im Urteil als „exzellente Polizeiarbeit unter Führung von Lena Bohlken“. Zu Recht.
Die alles entscheidende Punktlandung aber war nicht geglückt: Danuta Lysiens Leichnam ist bis heute nicht gefunden worden. Und auch Marek Glinski hatte seine wohl letzte große Auftrittsmöglichkeit in diesem Prozess nicht zur Offenlegung des besagten Ablageortes genutzt. Ob Danuta Lysien überhaupt Danuta Lysien jemals gefunden wird, die letzten Angehörigen ihre Trauer beschließen können, ist ungewiss.
Einen „Mord ohne Leiche“– so wie es nun auch das Urteil in diesem Fall besagt – hat es oft in der Geschichte der Rechtssprechung gegeben. Jüngstes und regionalstes Beispiel ist das Verschwinden von Jutta Fuchs. Sie sollte 1993 in Bremen von ihrem Lebensgefährten ermordet worden sein, so der Verdacht. Im vergangenen Jahr wurde nun also in einer spektakulären Ermittlungsaktion der Tietjensee zur Leichensuche leergepumpt. Ohne Erfolg. Der heute 58-Jährige wurde kürzlich freigesprochen. In ähnlichen Fällen gab es aber auch schon Verurteilungen, manchmal zu Unrecht, wie sich erst Jahre später herausstellte.
„Vieles in Ihrem Leben sieht einfach nicht echt aus und wirkt auch nicht echt. Einmal kann Zufall sein, zweimal auch. Sieben, acht, neun Zufälle sind dann aber kaum erklärlich. Sie waren nicht der gute Freund von Frau Lysien“, so Bührmann in seiner Urteilsbegründung.
Drei Häuser am Dießelweg gehörten Danuta Lysien hier im Ortsteil Krusenbusch nach dem Tod ihres Mannes allein. Die Polin galt in der Nachbarschaft als wohlhabend, hatte sich ohne ihren voluminösen Goldschmuck kaum aus dem Hause gewagt. Rund 800000 Euro Schwarzgeld in Bar habe der verstorbene Gatte im Haus gesichert, so hieß es aus gut unterrichteten Kreisen. Gleiche besagen, dass Danuta Lysien nach der Beerdigung nach und nach das Geld in Kissen eingenäht über die Grenze nach Polen gebracht Marek Glinski Wir haben ein Spezial mit allen Hintergründen von der Vermisstenmeldung Lysiens bis zum letzten Verhandlungstag gegen Glinski eingerichtet:
@ nwzonline.de/danuta-lysien haben soll. Ob zur raffgierigen Verwandtschaft, wie es hieß, oder doch zur Sicherung des eigenen späteren Lebens – das blieb und bleibt wohl ungeklärt. Indes: Im Haus wurde nach ihrem Verschwinden weder Bargeld noch wertvoller Schmuck gefunden. Dafür aber eine Quittung von Rossmann und einige Hygieneartikel, die Danuta Lysien Stunden vor ihrem Verschwinden noch im Kaufpark Kreyenbrück erworben hatte und damit eine rhetorische Frage unbeantwortet lässt: Wenn ein Mensch über Wochen den Ausstieg plant, sich absetzen und ein neues Leben beginnen möchte – lässt er dann seine gerade erworbenen Artikel zurück und die Kontoauszüge offen herumliegen? Gleich mehrfach wurden die drei Häuser „unter Einsatz technischer Mittel“, wie es damals hieß, nach Spuren durchsucht. Kampfspuren. Blutspuren. Jeglichen noch so kleinsten Hinweis auf den möglichen Verbleib von Danuta Lysien. Wonach immer wieder gesucht wurde, was schon bei den ersten Durchsuchungen im Frühsommer 2017 nicht ins Auge sprang oder als mögliches Beweismittel in Betracht hätte kommen können? „Es gab einen vagen Hinweis darauf, dass dort die Leiche versteckt sein könnte“, so hatte Oberstaatsanwalt Thomas Sander damals auf Ð-Nachfrage geantwortet. Das bestätigte sich aber offensichtlich nicht.
Gut ein halbes Jahr später steht Sander im Landgericht, fordert dennoch eine lebenslängliche Haftstrafe wegen Mordes an Danuta Lysien. „Der Angeklagte hat uns so oft angelogen, wie ich im ganzen Leben noch nicht angelogen worden bin“, sagte er, „unfassbar, ein Netz aus Lügen.“
Der Pole wusste und weiß die Klaviatur der Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache durchaus gut zu spielen, hatte gleich zu Prozessbeginn am 4. Dezember 2018 einen Schwung an Kopien von Presseartikeln, die ihn als guten Lena Bohlken