Nordwest-Zeitung

Weniger Straftaten – mehr Unsicherhe­it

Was Bundesinne­nminister Seehofer zur Polizeilic­hen Kriminalst­atistik sagt

- VON ANDREAS HERHOLZ, BÜRO BERLIN

Die Polizeilic­he Kriminalst­atistik bildet immer nur das sogenannte Hellfeld ab. Das sollte man vor allem nicht vergessen, wenn man auf Verbrechen wie sexuellen Missbrauch schaut. Denn der wird oft nicht zur Anzeige gebracht.

BERLIN – Es ist ein Widerspruc­h, den Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) auflösen will. Zwar wächst die Angst der Menschen, Opfer von Gewalt und Verbrechen zu werden. Jeder fünfte Deutsche fühlt sich laut einer Studie in seiner Wohngegend nachts unsicher

Tatsächlic­h sieht es aber ganz anders aus: Die Zahl der Straftaten ist in Deutschlan­d weiter zurückgega­ngen. Das geht aus der Polizeilic­he Kriminalst­atistik (PKS) für 2019 hervor. „Deutschlan­d ist wieder ein Stück sicherer geworden“, verkündet der Bundesinne­nminister in Berlin die gute Nachricht in schwierige­n Zeiten – per Pressemitt­eilung. Die ursprüngli­ch geplante Pressekonf­erenz musste wegen der Corona-Gefahr abgesagt werden.

Von Jahr zu Jahr verzeichne die Polizei weniger Straftaten. Zum dritten Mal in Folge gingen diese auch 2019 zurück. Waren es 2009 noch fast 6 Millionen Straftaten, wurden im vergangene­n Jahr kaum mehr als 5,4 Millionen gezählt – und dies, obwohl die Bevölkerun­g gewachsen ist.

■ Überblick über die Straftaten: Die Polizei hat im vergangene­n Jahr bundesweit exakt 5435401 Straftaten aufgenomme­n. Ohne die Berücksich­tigung von ausländerr­echtlichen Verstößen waren es weniger als 5,3 Millionen.

Das entspricht einem Rückgang zum Vorjahr um 2,3 Prozent. Laut Bundesinne­nministeri­um liegt die Aufklärung­squote bei 56,2 Prozent und damit nur knapp unter dem bisherigen Höchstwert von 56,5 Prozent im Jahr 2018. Drei von vier der 1,8 Millionen Tatverdäch­tigen sind männlich. Etwa 30 Prozent sind Ausländer.

Hier ging die Zahl der mutmaßlich­en Täter von 589200 auf 577 241 zurück.

■ Weniger Mord und Totschlag: Die Zahl der Morde und Totschlags­delikte lag bei 2315 und ging um 156 (minus 6,3 Prozent) gegenüber 2018 zurück. Allerdings sind in der Statistik nicht die politisch motivierte­n Straftaten wie der

Mord am Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke und dem Attentat von Halle enthalten. Diese werden in einem eigenen Bericht behandelt. Auch die Gewaltkrim­inalität hat abgenommen, ist um 2,3 Prozent auf 185 377 gesunken. Alarmieren­d: Die Zahl der Angriffe auf Polizisten, die sich um 27,5 Prozent dramatisch erhöht hat. Das sei „Ausdruck der stetigen Aggressivi­tät gegen die Polizei“, beklagte Jörg Radek, Vizechef der Gewerkscha­ft der Polizei. Die Große Koalition hatte die Strafen für Angriffe auf Polizei und Rettungskr­äfte verschärft, die erhoffte Wirkung blieb allerdings bislang aus.

■ Niedriger Stand an Diebstahls­delikten: Die Zahl der Diebstähle in Deutschlan­d ist im vergangene­n Jahr auf 1,82 Millionen zurückgega­ngen. Das ist ein Rückgang um 5,9 Prozent und damit der der niedrigste Stand seit 33 Jahren. Auffällig: Vor allem die Zahl der Wohnungsei­nbrüche ist erneut deutlich zurückgega­ngen von 167 000 auf 87 000. Hier sei die Prävention deutlich verstärkt worden, viele Wohnungen auch besser gesichert, begründete der Bundesinne­nminister.

■ Deutlicher Anstieg im Bereich der Kinderporn­ografie: Dort ist die Zahl der registrier­ten Delikte um mehr als 60 Prozent auf 13 670 angestiege­n. Laut Polizeista­tistik gab es hier im vergangene­n Jahr 11 700 Tatverdäch­tige, 2018 waren es 6500. „Das ist dramatisch“, erklärte Seehofer. Durch die verstärkte­n Ermittlung­en seien hier mehr Straftaten im Dunkelfeld aufgedeckt worden. Dabei hat sich die Zahl der Fälle von sexuellem Kindesmiss­brauch um knapp elf Prozent erhöht. Inzwischen würden mehr Hinweise eingehen, die konsequent verfolgt würden, so der Bundesinne­nminister. Kinder und Jugendlich­e müssten deutlich besser geschützt und mehr für die Aufklärung getan werden.

Der Bundesinne­nminister beklagte zudem „die zunehmende Verrohung in unserer Gesellscha­ft“, die sich zwar nicht in der Kriminalst­atistik widerspieg­ele, aber zwingend dazugehöre. „Es beginnt mit der Verrohung der Sprache und endet in konkreten Straftaten“, sagte Seehofer.

 ?? DPA-BILD:ARCHIV ?? Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) bei einer Pressekonf­erenz im vergangene­n Jahr: Die Polizeilic­he Kriminalst­atistik präsentier­te er diesmal nur per Pressemitt­elung.
DPA-BILD:ARCHIV Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) bei einer Pressekonf­erenz im vergangene­n Jahr: Die Polizeilic­he Kriminalst­atistik präsentier­te er diesmal nur per Pressemitt­elung.

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