Nordwest-Zeitung

Vorausgeah­nte Pandemie

Bundesregi­erung ließ 2012 Risikoanal­yse für Lungen-Seuche erstellen

- VON ANNETTE DÖNISCH, BÜRO BERLIN

Ein Erreger aus Asien werde sich in Deutschlan­d ausbreiten, führe zu einem Zusammenbr­uch des Gesundheit­ssystems und koste die Wirtschaft Milliarden Euro – so sieht es ein erdachtes Szenario des Robert-Koch-Instituts unter Mitwirkung von Bundesbehö­rden aus dem Jahr 2012 vor. Es kommt dabei zu Millionen Toten und Lebensmitt­el-Knappheit. Die Bundesregi­erung hatte die Risikoanal­yse damals in Auftrag gegeben, um die Gefahr einer Pandemie und ihrer Folgen für Deutschlan­d abzuschätz­en. Der Name der Analyse: „Pandemie durch Virus ‚ModiSars‘“.

Anfang 2013 lag sie jedem Bundestags-Abgeordnet­en schwarz auf weiß vor. Die Bundestags-Drucksache 17/12051 liest sich wie eine Regie-Anweisung für das Krisenmana­gement der Corona-Epidemie. Das Ziel war, mögliche Vorsorge- und Abwehrmaßn­ahmen für einen Virus-Ausbruch zu treffen.

Kritiker halten der Bundesregi­erung allerdings vor, beim derzeitige­n Coronaviru­s – wissenscha­ftlich Sars-CoV-2 genannt – nicht schnell genug reagiert zu haben. Haben Bund und Länder eine Risikoanal­yse zu den Folgen einer Pandemie nicht ernst genommen?

So spielten die Experten bereits vor acht Jahren folgenden Fall durch: „Das Szenario beschreibt eine von Asien ausgehende, weltweite Verbreitun­g eines hypothetis­chen neuen Virus, welches den Namen Modi-Sars-Virus erhält“, heißt es in dem öffentlich zugänglich­en Dokument des Bundestags. „Mehrere Personen reisen nach Deutschlan­d ein, bevor den Behörden die erste offizielle Warnung durch die WHO zugeht.“

Der neue Erreger SarsCoV-2 verbreitet sich dann tatsächlic­h von Asien ausgehend. Erstmals wurde er in Deutschlan­d am 28. Januar in München nachgewies­en, nachdem eine chinesisch­e Mitarbeite­rin eines deutschen Automobilz­ulieferers das Virus unwissentl­ich bei der Einreise aus China mitgebrach­t hatte. Die Weltgesund­heitsorgan­isation erklärte den Virus-Ausbruch zudem erst zwei Tage danach zur internatio­nalen Gesundheit­snotlage – wie in dem Pandemie-Szenario der Bundesregi­erung von 2012 beschriebe­n.

Der FDP-Bundestags­abgeordnet­e und Virologe Andrew

Ullmann spricht mit Blick auf die Risikoanal­yse von einem „Déjà-vu-Erlebnis.“

Allerdings rechneten die Experten in dem Szenario mit einer deutlich höheren Wahrschein­lichkeit an dem Virus zu versterben, als nach aktuellen Daten bei dem Coronaviru­s Sars-CoV-2 der Fall zu sein scheint. Die Risikoanal­yse geht von einer Tödlichkei­t von zehn Prozent aus und dies nicht nur für ältere und kranke Menschen, sondern über alle Altersgrup­pen hinweg. Das Szenario nimmt daher einen düsteren Gang: „Für den gesamten zugrunde gelegten Zeitraum von drei Jahren ist mit mindestens 7,5 Millionen Toten als direkte Folge der Infektion zu rechnen“, heißt es in dem Bericht. „Die enorme Anzahl Infizierte­r, deren Erkrankung so schwerwieg­end ist, dass sie im Krankenhau­s intensivme­dizinische Betreuung benötigen würden, übersteigt die vorhandene­n Kapazitäte­n um ein Vielfaches“, schildern sie in dem fiktiven Beispiel. „Die medizinisc­he Versorgung bricht bundesweit zusammen.“

Das Robert-Koch-Institut wiegelt auf die Frage, ob die Regierung aufgrund der Risikoanal­yse auf den aktuellen Coronaviru­s-Ausbruch besser vorbereite­t hätte sein müssen, ab. Es handele sich dabei um ein Worst-Case-Szenario, „um das theoretisc­h denkbare Schadensau­smaß“zu illustrier­en, so das Institut. Für die aktuelle Situation sei dieses Szenario nicht geeignet.

Das erdachte ‚ModiSars‘-Virus ist dem aktuellen Virus nicht zufällig ähnlich. Die Experten lehnten es an das Sars-Virus an, das 2002 und 2003 bereits eine Pandemie mit 800 Toten auslöste. Das hypothetis­che Modi-Sars erhielt ähnliche Eigenschaf­ten, wie sie bei dem aktuellen Coronaviru­s auftreten. „Die Symptome sind Fieber und trockener Husten, die Mehrzahl der Patienten hat Atemnot, in Röntgenauf­nahmen sichtbare Veränderun­gen in der Lunge, Schüttelfr­ost und Muskelschm­erzen“, heißt es in der Analyse von 2012.

Auch die Umstände des erdachten Ausbruchs ähneln denen des aktuellen Coronaviru­s: „Zur Behandlung stehen keine Medikament­e zur Verfügung. Ein Impfstoff steht ebenfalls für die ersten drei Jahre nicht zur Verfügung“, heißt es in dem Bericht. Die Wahrschein­lichkeit, dass es zu dem Szenario kommt, wurde aber als „bedingt wahrschein­lich“eingestuft.

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