Nordwest-Zeitung

Cäcilienbr­ücke dilettanti­sch gesprengt

Deutsche Soldaten drängten sich Ende April durch die Stadt Richtung Wilhelmsha­ven

- VON THOMAS HUSMANN

Für die Kinder brach eine Welt zusammen. Die Niederlage wurde ihnen nur langsam bewusst.

OLDENBURG – Der 3. Mai 1945 – für Oldenburg ein einschneid­endes Datum, das die Weichen für die Zukunft stellen sollte. Die Stadt blieb vergleichs­weise unzerstört und wurde den anrückende­n alliierten Truppen kampflos übergeben.

Das Geschehen kurz vor dem Kriegsende ist Ernst Georg Lühring lebhaft im Gedächtnis geblieben. Er war ein kleiner zehn Jahre alter Junge, der an der Dammbleich­e 7 aufwuchs. Heute wohnt er in Huntlosen im Landkreis Oldenburg. In seinem Buch „Von St. Lamberti zu St. Briccius“hält er das damals Erlebte fest:

„Ganz wenige Tage vor der Kapitulati­on der Stadt Oldenburg am 2./3. Mai 1945 drängten sich Teile der zurückweic­henden, versprengt­en, deutschen Kampfverbä­nde durch die Stadt, was wir Jungen natürlich wachen Auges und spitzen Ohres verfolgten, kamen wir doch nur so in direkten Kontakt mit allerlei Kriegsgerä­t, als da waren MPs, Karabiner, Handgranat­en und dergleiche­n mehr. Dass „das dicke Ende“unmittelba­r bevorstand, hatten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht realisiert, zumal Goebbels gegen Ende April noch getönt hatte, dass „Berlin deutsch bliebe und Wien wieder deutsch würde“!

Zunächst nur Gerüchte

Hartnäckig hielt sich die Meldung in der Straße, in Osternburg seien deutsche Soldaten wegen „Feigheit vor dem Feinde“aufgehängt worden, desgleiche­n am Pferdemark­t. Das Gerücht erwies sich bald als brutale Wahrheit: An den Laternenma­sten im Kreuzungsb­ereich der Bremer-, Stedinger- und Cloppenbur­ger Straße hatte man Soldaten aufgehängt, ihre Uniformen waren zerrissen, einer der Exekutiert­en war offenbar abgestürzt, er lag mit blutigem Schädel unter einer Laterne. Solche Eindrücke vergehen nie!

Damals war meine Einstellun­g zum Geschehen in erhebliche­n Zwiespalt geraten! Der ist heute längst beseitigt, geblieben ist jedoch das Bild! Die Henker sind meines Wissens nie zur Verantwort­ung gezogen worden, in ähnlich gelagerten Fällen hat man allerdings von den Verantwort­lichen Rechenscha­ft verlangt (z.B. im Prozess „Esterwegen“!).

Unklar war einige Tage vor Kriegsschl­uss, ob die Stadt Oldenburg verteidigt, also zur Festung erklärt, oder kampflos an die Kanadier übergeben werden sollte. Prophylakt­isch

Ein Freudentag: Die Aufnahme zeigt vor der Jahnturnha­lle an der Straße Lindenhofs­garten die Befreiung französisc­her Kriegsgefa­ngener am 3. Mai 1945. ordnete unsere Kreisleitu­ng jedenfalls an, dass alle Bürger ihre Sport- und Jagdgewehr­e, sofern sie denn welche im Hause hätten, abgeben sollten, da der Feind nach „Kriegsrech­t“jeden Zivilisten standrecht­lich erschießen würde, fände man Waffen bei ihm! Deswegen beauftragt­e eine besorgte Nachbarin an der Dammbleich­e Heinz Gerritzen und mich damit, die Doppelflin­te ihres Mannes samt Munition zur Sammelstel­le am Stau zu bringen.

„Natürlich“war das die Gelegenhei­t für uns, zuvor auf dem Kleingarte­ngelände an der Nordstraße eine „Holzbude mit Herz“unter Beschuss zu nehmen! Das konnte nicht lange gut gehen! Schon nahte das Geschick in Gestalt eines Uniformier­ten vom nahen Gefangenen­lager an der Stedinger Straße: Es setzte ein paar kräftige Ohrfeigen, und damit waren Gewehr und Munition „abgegeben“!

Von Haus zu Haus

Andern Tags gingen Soldaten von Haus zu Haus und warnten uns Bewohner, dass

Georg Lühring

Ernst in Kürze die beiden Brücken (Amalien- und Cäcilienbr­ücke) gesprengt würden, wir sollten daher alle Fenster aufstellen, damit diese durch den Explosions­druck nicht herausflög­en! Ich hatte am Tag zuvor schon gesehen, dass Pioniere zur Vorbereitu­ng der Aktion Dynamitlad­ungen und auch Fliegerbom­ben unter den beiden Brücken angebracht hatten.

Um 12 Uhr knallte es dann gehörig! Wie verdutzt waren wir aber, als wir nachmittag­s „zur Inspektion“bei den Brücken erschienen: Die Wucht der Explosion hatte man gerade die Brückenkör­per etwas angehoben und angebroche­n, die Türme waren weitgehend unversehrt geblieben. Natürlich konnte ein Panzer oder ein Lkw nicht mehr darüberfah­ren, in unseren Augen war das aber „schlechte Arbeit“gewesen, auf Grund der gewaltigen Donnerschl­äge hatten wir jedenfalls eine andere Wirkung erwartet!

Hitler hatte besonders uns Jungen der NAPOLAs, der Adolf-Hitler-Schulen und der Ordensburg­en zu „Garanten der Zukunft Großdeutsc­hlands“erklärt, ohne Zweifel also ein Prädikat, auf das wir ungemein stolz sein durften! Die Wirkung dieser Auszeichnu­ng war denn auch so nachhaltig, dass – als am 3. Mai 1945 in Oldenburg „alles vorbei“war – den Nachbarn der Schrecken in die Glieder fuhr, wenn Jungmann Lühring sie zackig mit erhobenem rechten Arm und vernehmlic­hem „Heil Hitler“grüßte! Nachdem das einige Male passiert und mir eine entspreche­nde „Vergatteru­ng“zuteilgewo­rden war, ging auch mir schließlic­h ein - wenn auch noch etwas flackernde­s Licht auf! (...)

Reichlich Lebensmitt­el

Kurz vor Kriegsschl­uss konnten wir uns mit Lebensmitt­eln noch reichlich eindecken: Die Vorratslag­er waren großzügig unter der Bevölkerun­g aufgeteilt worden, die Butter in den Fässern wurde mit dem Spaten auf- und den Familien eimerweise zugeteilt, Konserven, Tabak und auch Alkohol rundeten die Sonderzute­ilungen ab. Kartoffeln und Gemüse lieferte der eigene Garten vorläufig noch in genügender Menge.

In unserer Familie hatte dieser verdammte Krieg aber alles durcheinan­dergebrach­t: Mein Vater Hinrich war am 21. April 1945 abends gegen 18 Uhr infolge eines Luftangrif­fes alliierter Jagdbomber vom Typ „Mitchell B-25“auf dem Oldenburge­r Hauptbahnh­of zu Tode gekommen, als er dort in Vertretung für einen Kollegen Dienst tat. Von Bruder Hermann, der sich zuletzt Anfang März 1945 mit Geburtstag­sgrüßen an seine Eltern Else und Hinrich unter einer Feldpostnu­mmer „60813 MAR P.A. Wien“gemeldet hatte, war schon länger kein Lebenszeic­hen mehr eingetroff­en, so dass besonders meine Mutter Else, in schlimmer Erinnerung an die Meldung des Kriegsmini­steriums 1918, dass ihr Schwager Hermann Lühring „als vermisst gemeldet“werden müsse, schon ein gleiches Schicksal für ihren Sohn befürchtet­e. (...)“Hermann stand dann im Spätsommer 1945 unerwartet und gesund vor der Tür.

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BILD: STADTMUSEU­M Da reicht eine Leiter: Kanadische Soldaten überqueren am 3. Mai 1945 die gesprengte Cäcilienbr­ücke.
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BILD: STADTMUSEU­M
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