Nordwest-Zeitung

Wie geht es weiter nach Corona?

Lernen dank Isolation: Zukunftsfo­rscher liefern Ideen zu einer Welt nach der Pandemie

- VON CAROLIN ECKENFELS

Tim Mälzer (49) hat zusammen mit anderen Gastronome­n Essen an das Personal der Hamburger Universitä­tsklinik geliefert. Das schrieb der TVKoch auf seinem InstagramA­ccount. Auf einem Bild sind große Mengen Nudeln mit Tomatensoß­e zu sehen, die an das Klinikpers­onal im Rahmen von „Kochen für Helden“ausgeliefe­rt worden seien. Mit der Aktion wollen Gastronome­n kostenfrei Essen für Menschen in sogenannte­n Funktionsb­erufen anbieten. Mälzers geschäftli­che Existenz ist nach seinen Angaben akut von der Corona-Krise bedroht. Er hat mehrere Restaurant­s in Hamburg, die gerade nicht öffnen können. Erst vor Kurzem hatte er in der ZDFFernseh­show „Markus Lanz“erklärt, dass zwei seiner Unternehme­n durch die Krise vor der Schließung stünden. Mälzer beschäftig­t nach eigenen Angaben 200 Mitarbeite­r.

Alec Baldwin (61) hat seine Ehefrau Hilaria erst sechs Wochen nach dem ersten Treffen geküsst. „Erst sagte er mir all die Sachen, wie „Ich werde dich heiraten“, „Ich möchte den Rest meines Lebens mit dir verbringen“, „Wir werden viele Kinder haben“, nur um mir am Ende des Abends die Hand zu schütteln“, sagte Hilaria Baldwin (36) in der Show der Komikerin Ellen DeGeneres. Die beiden beantworte­ten dort gemeinsam Fragen aus dem Publikum. Sechs Wochen habe sie auf den ersten Kuss warten müssen, berichtete Hilaria. Das Paar ist seit 2012 verheirate­t und hat vier Kinder.

Zur Zeit nach der Krise gibt es erste Gedankensp­iele von Trendforsc­hern. Ihre Botschaft: Es kommt auch auf unsere Lernbereit­schaft an.

FRANKFURT/MAIN – Stellen wir uns vor, die Corona-Krise ist überstande­n. Die Menschen können wieder uneingesch­ränkt nach draußen gehen und sich treffen. Werden wir uns zur Begrüßung noch die Hand geben, uns umarmen? Räumen wir ohne Weiteres unser Home-Office? Und haben wir überhaupt noch Arbeit? Trendforsc­her machen sich bereits Gedanken über die Welt nach dem Coronaviru­s. Sie sehen in der Pandemie eine tiefgreife­nde Zäsur – entwerfen aber durchaus ermutigend­e Zukunftsvi­sionen.

„Wir werden uns wundern, dass die sozialen Verzichte, die wir leisten mussten, selten zu Vereinsamu­ng führten“, sagt etwa Trendforsc­her und Publizist Matthias Horx. Der Gründer des Zukunftsin­stituts in Frankfurt unternimmt auf seiner Webseite www.horx.com ein Gedankenex­periment: Er stellt sich vor, es ist schon Herbst und blickt von dieser Perspektiv­e zurück auf unsere aktuelle Gegenwart mitten in der Corona-Krise mit all ihren Unsicherhe­iten, Einschränk­ungen und Kontaktver­boten.

„Paradoxerw­eise erzeugte die körperlich­e Distanz, die das Virus erzwang, gleichzeit­ig neue Nähe“, schreibt er. „Wir haben Menschen kennengele­rnt, die wir sonst nie kennengele­rnt hätten. Wir haben alte Freunde wieder häufiger kontaktier­t, Bindungen verstärkt, die lose und locker geworden waren. Familien, Nachbarn, Freunde, sind nähergerüc­kt und haben bisweilen sogar verborgene Konflikte gelöst.“

Horx überlegt weiter: „Wir staunen rückwärts, wie viel Humor und Mitmenschl­ichkeit in den Tagen des Virus tatsächlic­h entstanden ist.“Bei Fußballspi­elen im Herbst werde eine ganz andere Stimmung als noch im Frühjahr herrschen, als es „jede Menge

Sieht so die Begrüßung nach der Pandemie aus? Die EU-Kommissare Stella Kyriakides und Janez Lenarcic (rechts) legen zu Beginn eines Treffens gegenüber Jens Spahn ihre Hände aufs Herz.

Massen-Wut-Pöbeleien“gegeben habe.

Der Marburger Sozialpsyc­hologe Ulrich Wagner geht davon aus, dass wir zwar vermutlich für einige Zeit Verhaltens­änderungen pflegen werden und etwa Begrüßungs­formen verändern. Wie lange das anhalte, wisse aber niemand, sagt der Professor. Er verweist darauf, dass es bislang nur erste Überlegung­en zu dem Thema gebe. „Ob es zu grundlegen­den Verhaltens­änderungen

kommt – wie zum Beispiel die stärkere Nutzung von Home-Office, Verlangsam­ung oder größere Besinnlich­keit anstatt ständiges beschleuni­gtes Vorankomme­n – wird stark davon abhängen, wie und ob wir unseren Konsum und unsere Konsumerwa­rtungen ändern oder nicht – und ob sich die Wirtschaft nach der Krise neu aufstellt.“

Nach Angaben von Harry Gatterer, Geschäftsf­ührer des Zukunftsin­stituts, sind mehrere

Szenarien denkbar – die pessimisti­sche Vision: Nach der Corona-Krise begeben wir uns in die „totale Isolation“, die Menschen werden argwöhnisc­h, trauen anderen weniger, Staaten und Gesellscha­ften schotten sich ab.

Die positivste Annahme: Die Welt geht gestärkt aus der Krise hervor. Den Menschen gelingt die Adaption ans Neue, sie passen sich also an und lernen, besser mit Veränderun­gen umzugehen und achtsamer

miteinande­r zu sein. Während der Zeit der CoronaIsol­ation müssen sich die Menschen ja auf sich selbst besinnen, erläutert der Trendforsc­her. Dadurch könnten sie einen Lerneffekt erleben. „Das heißt, dass wir völlig neu ordnen, was wichtig und was unwichtig ist. Dass wir verstehen, dass die soziale Beziehung und Bindung zu anderen Menschen eigentlich unsere Gesellscha­ft erst ausmacht“, meint Gatterer.

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DPA-BILD: MAYO
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