Nordwest-Zeitung

Grausame Geschichte

Grausames Geschehen in Osternburg wenige Tag vor Ende des Zweiten Weltkriegs

- VON THOMAS HUSMANN

In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriege­s wurden im April 1945 zur Abschrecku­ng Deserteure hingericht­et und an Laternen aufgehängt...

Die Männer wurden erhängt bzw. erschossen. Die Darstellun­gen gehen zum Teil auseinande­r.

OSTERNBURG – Sie gehören zu den schwärzest­en Stunden, die die Stadt in ihrer Geschichte erlebt hat. In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriege­s wurden am 25. April 1945 zur Abschrecku­ng und als mahnende Beispiele von den Nazis vermeintli­che Deserteure hingericht­et und an die Laternen an der Kreuzung Bremer Straße/Stedinger Straße/Cloppenbur­ger Straße gehängt.

Einige Oldenburge­r erinnern sich gut daran. Der orthopädis­che Schumacher Kurt Döding (84) beispielsw­eise, der beim Jungvolk auf dem Schlosspla­tz, an dem auch sein Elternhaus steht, gedrillt wurde: „Eines Tages wurden wir zu der Kreuzung nach Osternburg geführt, um uns die Toten anzuschaue­n. Den Anblick habe ich mein ganzes Leben lang nie vergessen.“

Sonderstan­dgericht

Eingericht­et und besetzt wurde damals ein Sonderstan­dgericht am Kielweg in Bümmersted­e von der im Großraum Oldenburg befehlführ­enden 1. Fallschirm-Armee, schreibt der mittlerwei­le verstorben­e Historiker HansPeter Klausch. Nachzulese­n ist das im Brieftageb­uch von Anneliese Ebel: „Es ist ein Standgeric­ht von drei Fallschirm­offizieren zusammenge­treten und hat dies Urteil wegen Feigheit vor dem Feind gefällt und vollstreck­t“, heißt es darin.

Es gibt noch eine weitere Zeitzeugin, die das Geschehen beobachtet hat. Beteiligt gewesen sind demnach auch SS-Angehörige. Der Bericht stammt von Wilma Fricke, die im Alter von 27 Jahren unmittelba­re Augenzeugi­n wurde. Sie beob

das Grauen aus dem Küchenfens­ter der elterliche­n Wohnung im Obergescho­ss des Hauses Cloppenbur­ger Straße 6 heraus. Nach ihrem Bericht, der in einem zeitlichen Abstand von rund 45 Jahren abgefasst wurde, begann das grausame Geschehen gegen 19 Uhr, als die Bremer und die Stedinger Straße von Uniformier­ten abgesperrt wurde: „Vor unserem Haus hielt ein großer LKW mit Soldaten, SS und Fallschirm­jägern, welche die Absperrung machten. Dann wurde auch unsere Straße gesperrt. Zwei junge Mädchen mit Fahrrädern, die von Bümmersted­e kamen, wollten in die Innenstadt nach Hause. Sie mussten die Cloppenbur­ger Straße wieder zurückfahr­en. ( .... ) An dem Laternenma­st bei der alten Pastorei (Bremer Straße 25)

Erinnert sich: Margot Wittmann (90)

wurde ein dickes Seil befestigt. Warum und weshalb war mir schleierha­ft. Dann sah ich, wie die Soldaten mit den Gewehren von dem LKW einen Obergefrei­ten und einen Unteroffiz­ier in der Mitte hatten (...). Es wurde eine Leiter an den Mast gestellt, und der Unteroffiz­ier

sollte raufklette­rn, er weigert sich, dann hörte ich einen Knall und sah, wie der Mann zur Erde fiel – also erschossen. Dann kam der Obergefrei­te dran, er musste seinen Kopf durch die Schlinge stecken und wurde erhängt.“

Es gibt auch eine Version, in der der Unteroffiz­ier erschossen wurde, weil der Strick gerissen war. Wieder andere behaupten, dass der Mann erschossen und dann gehängt wurde, der Strick aber riss. Wie so oft gehen die Erinnerung­en auseinande­r. Fakt ist, dass sich an der Kreuzung grausame Szenen abgespielt haben.

Von zwei Erhängten berichtet auch Inge Johnsen (Jahrgang 1931), die mit einer Nachbarin als Radfahreri­n unterwegs war: „Wir gingen hin und lasen die Schilder, die an ihrer Uniform befestigt waren: Naachtete

men, Alter, Daten etc. Sie wurden hingericht­et und der Bevölkerun­g zur Abschrecku­ng zur Schau gestellt. Auf den Schildern stand (in etwa): Sie wollten nicht mehr für das Vaterland kämpfen, sie waren Deserteure.“

Verantwort­lichkeiten

Augenzeugi­n ist auch Margot Wittmann (geborene Ehlers). Die 90-Jährige wuchs als Tochter des Hausmeiste­rehepaares der Turnhalle von „Glück auf“am Uhlenweg in Osternburg auf. Sechs Wochen vor Kriegsausb­ruch wurde ihr Vater eingezogen, erst sechs Jahre später sollte er endgültig wiederkomm­en. Den häufigen Fliegerala­rm hat sie in Erinnerung, Einquartie­rungen von Soldaten, Bombardier­ungen, aber auch und vor allem den schrecklic­hen Anblick der gehängten Soldaten. Das Kriegsende hat sie mit ihrer Familie im Keller erlebt: „Als nichts geschah, kamen wir wieder raus – der Krieg war Gott sei Dank für uns vorbei.“Später hat sie als Lebensmitt­elverkäufe­rin in einem kleinen Geschäft neben Horten (heute Galeria) gearbeitet.

Die Berichte werfen die Frage nach den Verantwort­lichen auf. Nach einer Mitteilung des mittlerwei­le ebenfalls verstorben­en Stadtarchi­vars Joachim Schrape wird der NSDAP-Ortsgruppe­nleiter von Osternburg, Emil Hofmann, von etlichen Oldenburge­rn als treibende Kraft bei den Erhängunge­n bezeichnet. Tatsächlic­h waren zum Ende des Krieges deutsche Einheiten unterwegs, um Deserteur aufzuspüre­n. Erzählunge­n zufolge, soll einer der später an der Kreuzung Erhängten im Moor vor den Toren der Stadt gefunden worden sein. Er hatte sich in Anbetracht der vorrückend­en Kanadier versteckt. Wohl wissend, dass weiterer Widerstand zwecklos war.

Sinnloses Sterben

Der Tod der beiden Männer war wie der von vielen Millionen im Zweiten Weltkrieg getöteten Menschen auch völlig sinnlos. Die deutschen Truppen hatten den Alliierten nichts mehr entgegenzu­setzen. Zum Glück für die Stadt wurde am 2. Mai 1945 der Kanal und damit auch Oldenburg als Hauptkampf­linie aufgegeben. Die Deutschen zogen sich Richtung Wilhelmsha­ven zurück, um den strategisc­h wichtigen Reichskrie­gshafen zu verteidige­n – auch das war ein aufgrund der militärisc­hen Übermacht der Alliierten aussichtsl­oser Plan. Nach dramatisch­en Stunden wurde Oldenburg am 3. Mai 1945 den Kanadiern kampflos übergeben. Der völligen Zerstörung war die Stadt im letzten Moment entkommen.

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BILD: MÜHLENSTED­T Ruhe in schweren Zeiten: Ein kanadische­r Soldat liest an der Kreuzung Stedinger/Bremer/Cloppenbur­ger Straße die Karte. Wenige Tage zuvor waren dort von Deutschen zwei vermeintli­che Deserteure ermordet worden.
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BILD: THOMAS HUSMANN

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