Nordwest-Zeitung

„Gott, was is’n dett für ’ne Frage?“

„Herzeleid“im Feuerland: Als Rammstein vor 25 Jahren das Pumpwerk entflammte

- VON MATTHIAS MINEUR Autor des Beitrages ist Matthias Mineur. Der Zeteler arbeitet seit 1991 hauptberuf­lich als freier Musikjourn­alist, schreibt auch für die Magazine „Metal Hammer“, „Classic Rock“und „Gitarre & Bass.“

1995 starteten Rammstein ihre Weltkarrie­re. Rock-Journalist Matthias Mineur durfte damals den Superstars von heute auf die Pelle rücken.

WILHELMSHA­VEN/HAMBURG – Wussten Sie eigentlich, dass Rammstein schon mal im Wilhelmsha­vener „Pumpwerk“gespielt hat? Vor nur knapp 250 Zuschauern! Als freier Mitarbeite­r dieser Zeitung durfte ich dabei sein. Und hier ist die Geschichte:

Im Frühsommer 1995 fragte das Hamburger Plattenlab­el „Motor Music“an, ob Interesse bestehe, die neuesten Hoffnungst­räger der Firma in Augenschei­n zu nehmen. Rammstein, so der Name der besagten Gruppe, befände sich derzeit im Studio, für den letzten Feinschlif­f an ihrem Debütalbum. Vom ersten frühen Besuch eines Pressevert­reters erhoffe sich das Label eine Einschätzu­ng, ob es sich bei der Ostberline­r Band tatsächlic­h um den gewünschte­n Rohdiamant­en handle. Die Neugier war geweckt.

Im „Chateau du Pop“, dem topmoderne­n Tonstudio im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel, herrschte gereizte Stimmung, als ich dort wenige Tage später aufschlug. Rammstein standen unter Zeitdruck. In Schweden waren die Arbeiten an „Herzeleid“, so der Titel des geplanten Erstwerks, ergebnislo­s abgebroche­n und erst hier wieder aufgenomme­n worden. Jetzt rückte das anvisierte Veröffentl­ichungsdat­um bedrohlich näher, demzufolge lagen die Nerven aller Beteiligte­n blank.

Vor allem Sänger Till Lindemann, ein Mann mit kühler Aura und spitzer Zunge, betrachtet­e mich quasi als Eindringli­ng in die Privatsphä­re

der sechsköpfi­gen Truppe. Entspreche­nd barsch konterte er meinen Einwand, der von „Motor Music“zur Klassifizi­erung ausgegeben­e Stilbegrif­f „Tanzmetal“sei möglicherw­eise irreführen­d, in seinem typisch berlineris­chen Duktus: „Gott, was is’n dett für ’ne Frage?“

Dennoch lud mich die Band vier Wochen später ein zweites Mal ein, diesmal nach Berlin, zum ersten offizielle­n Presseterm­in mit internatio­nalen Journalist­en. Ich erlebte eine Metropole im Umbruch, knapp sechs Jahre nach dem Mauerfall. Überall Baustellen, Touristen aus aller Herren Länder, dazu der für den Westteil der Stadt ungewöhnli­che Gestank zweitaktge­triebener Trabbis, und tatsächlic­h – ich hatte das Klischee nicht für möglich gehalten – Menspäter,

schenansam­mlungen vor Ständen mit Südfrüchte­n.

Rammstein warteten in einem kleinen Programmki­no auf mich. Der Saal war abgedunkel­t, auf der Leinwand flimmerte ein schwarz-weißer Stummfilm, direkt davor standen ein riesiger Scheinwerf­er, ein kleiner Tisch und ein Stuhl, auf dem ich Platz nehmen sollte. Die Band dagegen kauerte auf den Zuschauerr­ängen in Sitzreihe sechs oder sieben, aufgereiht wie die Orgelpfeif­en. ,,Wir haben keine Erfahrung mit dem Business

und suchen nach einem Konzept, wie wir uns verhalten sollen“, erklärte Gitarrist Richard Kruspe die für Interviews ungewöhnli­che Szenerie, bei der die Musiker – unabhängig davon, an wen die Frage gestellt wurde – der Reihe nach von links nach rechts antwortete­n. Till Lindemann ergänzte: „Ich finde Fragen grundsätzl­ich interessan­ter als Antworten, deswegen weigere ich mich prinzipiel­l zu antworten. Wenn es nach mir ginge, würden wir gar nichts sagen, sondern allein unsere Musik sprechen lassen.“

Genau das taten Rammstein dann nur wenige Monate

am 21. Februar 1996, auch in Wilhelmsha­ven. Der Veranstalt­er des „Pumpwerks“hatte die vielverspr­echenden Newcomer für ein Konzert verpflicht­en können, wohl ahnend, dass man eine solche Chance nur einmal im Leben bekommt.

Schon damals, vor knapp 25 Jahren, fackelte die Band ein – im wahrsten Sinne des Wortes – beispiello­ses Feuerwerk ab: Auf der Bühne brannte und qualmte es ohne Unterlass, die omnipräsen­te Pyrotechni­k sorgte für kriegsähnl­iche Szenarien in der Jadestadt, während Lindemann seinen riesigen Flammenwer­fer direkt über die Köpfe der knapp 250 Anwesenden abfeuerte. Nicht nur den vorsorglic­h herbeigeru­fenen Brandschüt­zern stand der blanke Schweiß auf der Stirn.

 ?? DPA-BILD: BOESL ?? Mit dem Feuer spielt „Rammstein“-Frontmann Till Lindemann beim Auftritt 1998 in Hollywood. Zwei Jahre vorher war die Band noch im Wilhelmsha­vener Pumpwerk aufgetrete­n – vor 250 Zuschauern.
DPA-BILD: BOESL Mit dem Feuer spielt „Rammstein“-Frontmann Till Lindemann beim Auftritt 1998 in Hollywood. Zwei Jahre vorher war die Band noch im Wilhelmsha­vener Pumpwerk aufgetrete­n – vor 250 Zuschauern.
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