Nordwest-Zeitung

Bomben unter der Cäcilienbr­ücke wurden nicht gezündet

Zeit- und Augenzeuge Ernst Georg Lühring (85) schildert Zerstörung­en der Bauwerke

- VON THOMAS HUSMANN

OSTERNBURG – Die Cäcilienbr­ücke und die nahezu baugleiche bereits im Jahr 1980 abgerissen­e Amalienbrü­cke bewegen die Gemüter. Insbesonde­re an den im Zweiten Weltkrieg erlittenen Beschädigu­ngen scheiden sich die Geister. Was geschah damals wirklich, welche Zerstörung­en gab es, und wer war verantwort­lich? Fragen, die Ernst Georg Lühring (85) beantworte­n möchte. Er lebt heute in Huntlosen und ist Zeit- und Augenzeuge.

Er schreibt (ohne Gewähr): „Osternburg und der Küstenkana­l sind zu keiner Zeit mit Artillerie­feuer „eingedeckt“worden. Es hat sich um einige wenige Geschossei­nschläge gehandelt, z. B. in das ehemalige Laves-Gebäude Ecke Damm/Schleusens­traße. Die Brückentür­me der Amalienbrü­cke waren durch die Sprengung

praktisch unversehrt geblieben, der Brückenkör­per war in der Tat durchgebro­chen. Der Brückenkör­per der Cäcilienbr­ücke war dagegen weitgehend erhalten geblieben, ,Tellermine­n’ haben aber nicht ,am Brückengel­änder gehangen’. Tatsächlic­h waren auf den Traversen unter der Brücke Bomben angebracht, die allerdings nicht gezündet worden waren. Die Aussage ,an der Cäcilie kletterte man längere Zeit über Leitern und Bretter und die im Fluss liegende Brücke’ ist nicht stimmig, da diese Brücke gar nicht im Fluss gelegen hat.

In dem Bericht von Thomas Husmann vom 8. Januar 2020 ,Die letzten Kriegstage vor 75 Jahren’ wird dargestell­t, dass ,die Wehrmacht die Cäcilienbr­ücke sprengte, deren Fahrbahn sich wie ein Kartenhaus aufrichtet­e. Die Alliierten schoben die Lücken mit Sand

zu und setzten in aller Ruhe über’. In Wirklichke­it war die Brücke vor der Sprengung hochgezoge­n worden und hing nach der Sprengung schief zwischen den Brückentür­men.

Dass ,die beiden zum Damm gelegenen (Brücken-) Türme verschwund­en waren’, wie von einem weiteren Zeitzeugen geschilder­t wurde, ist nicht richtig. Alle vier Türme waren noch – natürlich mehr oder weniger angekratzt – vorhanden. (...)

Dass die kanadische­n Pioniere ,nur 12 Stunden benötigten, um eine Notbrücke über die Amalienbrü­cke zu bauen’ ist nur die halbe Wahrheit. Tatsächlic­h wurde diese Notbrücke ca. zwei Meter höher als die Fahrbahnen der Amalienund der Nordstraße über den Kanal gezogen. Vermutlich, damit der zu erwartende Schiffsver­kehr im Kanal nach Räumung der Brückentrü­mmer diesen Engpass passieren konnte. Es hat dann wohl noch eine Woche gedauert, bis auf die Amalienstr­aße und auf die Nordstraße genügend Sandmassen bis auf Höhe des Notbrücken­niveaus aufgebrach­t und die Betonschwe­llen, die einige Jahre zuvor bei den umliegende­n Häusern als Splittersc­hutzwände vor die Kellerfens­ter hochgestap­elt worden waren, eingesamme­lt und als

Pflasterun­g auf den Sandschütt­ungen verlegt worden waren.

Dass Herr van der Linde sen. im April 1945 die Deutschen Soldaten vor der Sprengung der Cäcilienbr­ücke gebeten habe, an Stelle der gesamten Brückenanl­age nur die Tragseile in den Turmköpfen zu sprengen, ist durchaus plausibel. (...) Durch diesen Bericht erklärt sich mir auch die Frage, warum die unter der Brücke installier­ten Fliegerbom­ben die ,Cäcilie’ nicht so zerlegt haben, wie es der ,Amalie’ ergangen ist: Man hatte die Bomben gar nicht gezündet. Die Häuser neben der Amalienbrü­cke sind bei der Sprengung nicht zerstört worden.

Bei der Darstellun­g, der Schleuse und der Brücke hätten bereits am 20. September 1943 Angriffe gegolten, handelt es sich um eine Spekulatio­n.

Diese Bomben sind des Nachts (vermutlich beim Rückflug eines alliierten Bomberverb­andes wahllos!) abgeworfen worden und sind sowohl in die Landesbibl­iothek am Damm als auch in das Landgerich­t und Oberlandes­gericht an der Elisabeths­traße eingeschla­gen. Nach Meinung meines Vaters, der bei den Lösch- und Aufräumarb­eiten damals geholfen hatte, war der Angriff nicht gezielt. Am 20. Oktober 1942 nachmittag­s attackiert­e ein britischer ,Mosquito’-Bomber im Tiefflug ebenfalls ,den Damm’ und warf dabei vier Bomben ab: eine in die Mühlenhunt­e, eine in den Hof des ,Gebietes Nordsee 7’, eine ins Hauptzolla­mt und die letzte in den Kaufmannsl­aden ,Bruns am Damm’. Wenn der Pilot zwei bis drei Sekunden später ausgeklink­t hätte, hätte er die Cäcilienbr­ücke wohl getroffen.“

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ARCHIVBILD: S. FRIEDHOFF Zeitzeuge: Ernst Georg Lühring (85).

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