Gefährliches Warten
Kliniken besorgt über Zurückhaltung bei Patienten – Covid-Kapazitäten nicht ausgeschöpft
Es gibt viele Patienten, die schwere Erkrankungen verschleppen, weil sie sich wegen Corona derzeit nicht ins Krankenhaus trauen. Davor warnt das Klinikum ............................
Viele Erkrankungen müssen sofort behandelt werden. Darauf weist der Chef-Kardiologe des Klinikums, Prof. Oliver Dewald, hin. Sein Appell ist nötig – wie die Erfahrungen seit dem Ausbruch der Pandemie zeigen.
OLDENBURG – Tagelang plagte sich der Mann mit Schmerzen in der Brust herum. Als er es nicht mehr aushalten konnte, ging der Oldenburger am Sonntag vor Ostern in die Notaufnahme. Dort diagnostizierten die Ärzte einen schweren Herzinfarkt. „Wir mussten mit einer Not-OP eingreifen“, berichtet Prof. Dr. Oliver Dewald. „Trotzdem kam es leider zu Komplikationen, so dass er beatmet und längere Zeit auf der Intensivstation behandelt werden musste.“
Der Chefarzt der Herzchirurgie am Klinikum hat in den vergangenen Wochen mehrfach beobachtet, dass Patienten – so wie der Mann, Mitte 60, aus Oldenburg – zu spät zur Behandlung kamen. „Es mag daran liegen, dass viele Menschen derzeit andere Dinge im Kopf haben, gepaart mit einer gewissen Ignoranz gegenüber den Symptomen und einer Zurückhaltung, in Corona-Zeiten wegen dieser Be- schwerden ins Krankenhaus zu kommen“, erläutert der Chefarzt seine Einschätzung. „Dabei ist es gerade in der Kardiologie, aber auch in anderen Bereichen, enorm wichtig, Beschwerden rechtzeitig abzuklären und eine Therapie einzuleiten.“Vom frühen Beginn hänge wesentlich die Langzeitprognose ab. „Die Lebensqualität kann durch den Zeitpunkt des Therapiebeginns entscheidend verbessert werden“, sagt Dewald. Vor allem Menschen mit einem angeborenen Herzfehler benötigten zeitlebens eine ärztliche Betreuung. „Die dürfen nicht durchs Raster fallen.“
Im Evangelischen Krankenhaus, das unter anderem auf
neurologische Erkrankungen spezialisiert ist, beobachtet Prof. Dr. Karsten Witt einen Einbruch bei leichten Schlaganfällen. „Offenbar haben sich Patienten wegen der allgemeinen Ungewissheit nicht gemeldet“, vermutet der Direktor der Universitätsklinik für Neurologie als Grund. Aus ärztlicher Sicht kann das Zögern verheerend sein. „Das Risiko einer Wiederholung steigt nach einer vorübergehenden Durchblutungsstörung mit leichten Symptomen deutlich an“, warnt Witt. „Patienten sollten sofort kommen, wenn sich Symptome eines Schlaganfalles zeigen. Eine vorübergehende Armlähmung, Sprachstörung oder eine einseitige Gesichtslähmung – das muss unbedingt abgeklärt werden.“
Das Klinikum hat – wie alle Krankenhäuser – den normalen Betrieb reduziert und Kapazitäten für Covid-Fälle geschaffen. „Aber wir können alle wichtigen Behandlungen durchführen“, betont Chefarzt Dewald. Durch die Trennung der Covid-Fälle sei der Schutz vor Infektionen gesichert.
Neben der Maskenpflicht sowohl für Patienten als auch
medizinisches Personal sei derzeit eine Besonderheit des Krankenhausaufenthaltes das Besuchsverbot. „Es gibt zwar Kontaktmöglichkeiten über Facetime oder andere soziale Medien.“Angehörige könnten Patienten aber nicht besuchen. „Das ist für viele eine echte Einschränkung.“Aber selbst in besonderen Situationen, zum Beispiel einem le
bensbedrohlichen Zustand, gebe es nur bedingt Sondergenehmigungen.
Der Chefarzt erwartet, dass noch monatelang corona-bedingte Einschränkungen gelten. Um so wichtiger sei es, nötige Untersuchungen und Behandlungen nicht aufzuschieben. Eingriffe, die nötig, aber aufschiebbar seien („elektive Eingriffe“), sollten nach
und nach wieder möglich werden, fordert der Chefarzt. „Wir brauchen nach meiner Meinung eine stufenweise Rückkehr zu normalen Abläufen.“Sinnvoll sei das auch deshalb, weil die Häuser ihre Covid-Kapazitäten derzeit nicht in vollem Umfang benötigten. „Wichtig ist, dass wir besonnen auf alle Entwicklungen kurzfristig reagieren können.“