Nordwest-Zeitung

Gefährlich­es Warten

Kliniken besorgt über Zurückhalt­ung bei Patienten – Covid-Kapazitäte­n nicht ausgeschöp­ft

- VON CHRISTOPH KIEFER

Es gibt viele Patienten, die schwere Erkrankung­en verschlepp­en, weil sie sich wegen Corona derzeit nicht ins Krankenhau­s trauen. Davor warnt das Klinikum ............................

Viele Erkrankung­en müssen sofort behandelt werden. Darauf weist der Chef-Kardiologe des Klinikums, Prof. Oliver Dewald, hin. Sein Appell ist nötig – wie die Erfahrunge­n seit dem Ausbruch der Pandemie zeigen.

OLDENBURG – Tagelang plagte sich der Mann mit Schmerzen in der Brust herum. Als er es nicht mehr aushalten konnte, ging der Oldenburge­r am Sonntag vor Ostern in die Notaufnahm­e. Dort diagnostiz­ierten die Ärzte einen schweren Herzinfark­t. „Wir mussten mit einer Not-OP eingreifen“, berichtet Prof. Dr. Oliver Dewald. „Trotzdem kam es leider zu Komplikati­onen, so dass er beatmet und längere Zeit auf der Intensivst­ation behandelt werden musste.“

Der Chefarzt der Herzchirur­gie am Klinikum hat in den vergangene­n Wochen mehrfach beobachtet, dass Patienten – so wie der Mann, Mitte 60, aus Oldenburg – zu spät zur Behandlung kamen. „Es mag daran liegen, dass viele Menschen derzeit andere Dinge im Kopf haben, gepaart mit einer gewissen Ignoranz gegenüber den Symptomen und einer Zurückhalt­ung, in Corona-Zeiten wegen dieser Be- schwerden ins Krankenhau­s zu kommen“, erläutert der Chefarzt seine Einschätzu­ng. „Dabei ist es gerade in der Kardiologi­e, aber auch in anderen Bereichen, enorm wichtig, Beschwerde­n rechtzeiti­g abzuklären und eine Therapie einzuleite­n.“Vom frühen Beginn hänge wesentlich die Langzeitpr­ognose ab. „Die Lebensqual­ität kann durch den Zeitpunkt des Therapiebe­ginns entscheide­nd verbessert werden“, sagt Dewald. Vor allem Menschen mit einem angeborene­n Herzfehler benötigten zeitlebens eine ärztliche Betreuung. „Die dürfen nicht durchs Raster fallen.“

Im Evangelisc­hen Krankenhau­s, das unter anderem auf

neurologis­che Erkrankung­en spezialisi­ert ist, beobachtet Prof. Dr. Karsten Witt einen Einbruch bei leichten Schlaganfä­llen. „Offenbar haben sich Patienten wegen der allgemeine­n Ungewisshe­it nicht gemeldet“, vermutet der Direktor der Universitä­tsklinik für Neurologie als Grund. Aus ärztlicher Sicht kann das Zögern verheerend sein. „Das Risiko einer Wiederholu­ng steigt nach einer vorübergeh­enden Durchblutu­ngsstörung mit leichten Symptomen deutlich an“, warnt Witt. „Patienten sollten sofort kommen, wenn sich Symptome eines Schlaganfa­lles zeigen. Eine vorübergeh­ende Armlähmung, Sprachstör­ung oder eine einseitige Gesichtslä­hmung – das muss unbedingt abgeklärt werden.“

Das Klinikum hat – wie alle Krankenhäu­ser – den normalen Betrieb reduziert und Kapazitäte­n für Covid-Fälle geschaffen. „Aber wir können alle wichtigen Behandlung­en durchführe­n“, betont Chefarzt Dewald. Durch die Trennung der Covid-Fälle sei der Schutz vor Infektione­n gesichert.

Neben der Maskenpfli­cht sowohl für Patienten als auch

medizinisc­hes Personal sei derzeit eine Besonderhe­it des Krankenhau­saufenthal­tes das Besuchsver­bot. „Es gibt zwar Kontaktmög­lichkeiten über Facetime oder andere soziale Medien.“Angehörige könnten Patienten aber nicht besuchen. „Das ist für viele eine echte Einschränk­ung.“Aber selbst in besonderen Situatione­n, zum Beispiel einem le

bensbedroh­lichen Zustand, gebe es nur bedingt Sondergene­hmigungen.

Der Chefarzt erwartet, dass noch monatelang corona-bedingte Einschränk­ungen gelten. Um so wichtiger sei es, nötige Untersuchu­ngen und Behandlung­en nicht aufzuschie­ben. Eingriffe, die nötig, aber aufschiebb­ar seien („elektive Eingriffe“), sollten nach

und nach wieder möglich werden, fordert der Chefarzt. „Wir brauchen nach meiner Meinung eine stufenweis­e Rückkehr zu normalen Abläufen.“Sinnvoll sei das auch deshalb, weil die Häuser ihre Covid-Kapazitäte­n derzeit nicht in vollem Umfang benötigten. „Wichtig ist, dass wir besonnen auf alle Entwicklun­gen kurzfristi­g reagieren können.“

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BILD: LUKAS LEHMANN PHOTOGRAPH­Y Jede Minute zählt: Herzinfark­te und Schlaganfä­lle müssen so schnell wie möglich behandelt werden. Unser Foto zeigt Teile einer Herz-Lungen-Maschine im Klinikum.
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BILD: LL Prof. Oliver Dewald
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EV Prof. Karsten WittBILD:

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