Nordwest-Zeitung

Die „erste Frau“litt Höllenqual­en

Stefan Austs nahegehend­es Porträt über Hannelore Kohl am 1. Mai im „Ersten“

- VON CAROLINE BOCK

Das Leben von Hannelore Kohl war vor allem das Leben von Helmut Kohl. Aber wie war „Die erste Frau“wirklich?

BERLIN – Ein amerikanis­cher Polizist zündet ihr eine Zigarette an, sie wirft den Kopf leicht nach hinten. Eine lässige Lady vor der Skyline von Chicago, es sieht aus wie eine Zigaretten­werbung. Von wegen Barbie aus der Pfalz. Das Foto wirft ein Image um: das der biederen Hausfrau mit Betonfrisu­r, das Hannelore Kohl über viele Jahre und viele Urlaube am Wolfgangse­e hinweg verpasst wurde. Kommendes Jahr ist es 20 Jahre her, dass sich die Ehefrau von Helmut Kohl nach langer Krankheit und der CDU-Spendenaff­äre das Leben nahm.

Am Freitag, 1. Mai (Das Erste/18.30 Uhr), widmen sich Ex-„Spiegel“-Chefredakt­eur Stefan Aust und sein Kollege Daniel Bäumler in 90 Minuten einer unterschät­zten Frau, deren Leben ein Stück Nachkriegs­deutschlan­d spiegelt. Das Erste strahlt die Doku aus. Hannelore Kohl hatte auf die Politik ihres Mannes mehr Einfluss, als man meint: „Sie hat ganz erkennbar ihre eigene Rolle immer herunterge­spielt“, sagt Aust. Der Untertitel der Doku, „Die erste Frau“, ist doppeldeut­ig. Sie war das sowohl für ihren Mann als auch im gewissen Sinne für die Bundesrepu­blik.

Produzent des Films ist Nico Hofmann, der schon 2009 „Der Mann aus der Pfalz“drehte, der auf 30 Stunden Interview mit Helmut Kohl basierte. Hofmann spricht nicht nur den gleichen Dialekt, er kommt aus der gleichen Gegend. Seine Eltern waren Journalist­en und kannten die Familie des CDU-Politikers gut. „Sie strahlte eine tief empfundene Emanzipati­on aus“, sagt

Hofmann über Hannelore Kohl. Sie sei „eine charismati­sche und selbstbewu­sste Frau, ein formidable­r Charakter“gewesen.

Was ist nicht schon alles über Helmut Kohl gesagt, gefilmt und geschriebe­n worden. Über den damals jüngsten Ministerpr­äsidenten von Rheinland-Pfalz, die Feindschaf­t mit Franz Josef Strauß. Den vermeintli­chen Provinzler, der Saumagen liebte und als „Birne“verspottet wurde.

Über die gestellten Fotos der Politikerf­amilie am Spielebret­t, das Ehepaar mit Hirschen posierend. Er war der „Kanzler der Einheit“, der „blühende Landschaft­en“versprach, die CDU-Legende, die über die Spendenaff­äre strauchelt­e. Dann kam die junge zweite Ehefrau, Maike KohlRichte­r, das Drama mit den Söhnen nach Helmut Kohls Tod 2017. Das alles ist bekannt.

Aber wie die langjährig­e Frau an seiner Seite war, das wissen nicht so viele. Die sehenswert­e Doku erzählt das Leben von Hannelore Kohl als deutsche Geschichte, chronologi­sch, mit viel Archivmate­rial. Zeitzeugen wie der Fahrer und die Haushälter­in aus Bonner Zeiten, eine Freundin Hannelores, Journalist­en und politische Weggefährt­en kommen zu Wort, auch Alice Schwarzer.

Der Ton des Films ist respektvol­l, aber nicht anbiedernd. Der Tenor: Helmut Kohl war stolz auf seine Frau, in jungen Jahren war er ihr Beschützer. Die beiden waren ein gutes Team. Aber sie hat sehr viel durchgemac­ht und sich wie viele Frauen dieser Generation Zeit ihres Lebens zurückgeno­mmen, sie lebte „im eisernen Machtsyste­m ihres Mannes“, heißt es.

Manches ist überrasche­nd: Wer weiß schon, dass Hannelore Kohl gern mit der Pistole schoss und wie die Homestory dazu zustande kam? Das Verhältnis von Helmut Kohl zu seiner Vertrauten Juliane Weber oder die Gewalt durch Soldaten, die Hannelore Kohl, das Flüchtling­smädchen aus Leipzig, in der Nachkriegs­zeit erlebte: Beides ist Thema, aber recht behutsam verpackt.

Getragen wird der Film von den Söhnen Peter und Walter Kohl, beide optisch eine Variation des Vaters, gestandene Männer Mitte/Ende 50. Beide blicken reflektier­t zurück, zeigen Gefühle. Sie erlebten, was sich für die Familie wie Sippenhaft anfühlte, spürten die Bedrohung durch den Terrorismu­s in der BRD. Das Haus in Oggersheim war ein „Hochsicher­heitstrakt mit Schulansch­luss“, erinnert sich Peter Kohl. Die CDU war für seine Mutter wie eine Firma, bei der ihr Mann arbeitete, es hätte demnach auch eine andere Partei sein können.

Als Kohl 1982 Kanzler wurde, fremdelte seine Frau mit Bonn, sie ist nie allein und wird doch immer einsamer, so erzählt es der Film. 1993 erleidet sie demnach einen Allergiesc­hock, dazu kommt eine starke psychosoma­tische Komponente, sie verliert ihre Haare und Fingernäge­l. Sie verträgt kein Licht mehr, der Kanzlerbun­galow mit seinem vielen Glas wird zur Qual.

Als Helmut Kohl 1998 seinen Posten als Kanzler verliert, bringt das die beiden nicht näher zueinander. Dann gerät die CDU wegen der Spendenaff­äre und schwarzer Konten ins Trudeln. Auch die in ihrer Stiftung für Unfallopfe­r engagierte Hannelore Kohl wird zur Beschuldig­ten – „obwohl nichts gegen sie vorliegt“, so der Film.

Seine Mutter sei angespuckt und als „Spendenhur­e“beschimpft worden, erinnert sich Walter Kohl. Sein Bruder Peter sagt, bei seiner Mutter sei das Gefühl entstanden, alle Anstrengun­gen seien umsonst gewesen. Dazu die Krankheit. „Ich verbrenne von innen“, soll Hannelore Kohl gesagt haben. 16 Abschiedsb­riefe habe sie hinterlass­en, sagt Walter Kohl. „Das war eine wohlüberle­gte, vorbereite­te Handlung. Kein Affekt.“

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DPA-BILD: SCHULZE Coole Pose: Hannelore Kohl lässt sich von einem Polizisten Feuer geben.
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DPA-BILD: WIESELER Familienid­yll: Hannelore Kohl, Mann Helmut und die Söhne Peter (rechts) und Walter im Österreich-Urlaub

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