Das sagt ein Soziologe zum Einkaufsverhalten in Corona-Zeiten
Interview zum Konsumverhalten mit dem Oldenburger Soziologen Marcel Schütz
Keine Hefe, kein Mehl, keine Einweghandschuhe: Was ist in deutschen Supermärkten passiert? Fragen an den Soziologen Marcel Schütz von der Uni Oldenburg.
Kaum jemand, der in den vergangenen Wochen nicht leere Regale und überfüllte Einkaufswagen gesehen hat. Was ist in den Supermärkten passiert? Schütz: Vor allem sind die Supermärkte krisenfest „aufgerüstet“worden. Das dürfte in ihrer Geschichte ziemlich einmalig sein: Sorgsam beklebte Fußböden mit Bewegungsund Abstandshinweisen, Plexiglas-Wände in der Kassenzone, Einteilung der Stehflächen in der Warteschlange. Vor Ostern sogar Schokohasen vor geschlossener Fleischtheke. Man macht selbst in der Not das Beste
draus. Der Witz ist aber: Trotz aller Maßnahmen ist der Supermarkt der letzte Ort unserer Konsum-Normalität. Wenn vieles still steht, hier muss weiter gehandelt werden. Und die Leute kaufen rege.
Was ist der Grund für diese Sorge der Konsumenten? Schütz: Darüber wird viel spekuliert. In meinen Augen bevorraten sich die Kunden nicht deshalb mit all den Konserven, weil sie Heißhunger auf Dosenbohnen, Tomatensoße und Thunfisch haben, sondern weil Einlagerung eine Form ist, eigene hauswirtschaftliche Möglichkeiten zu sichern. Die Lagerung selbst ist unkompliziert und kostet nichts. Unsere Haushalte sind heute wie dafür geschaffen, einen Supermarkt „im Kleinen“zu bieten. Denken Sie an den Kühlschrank und immer größere Küchen. Man weiß gar nicht mehr genau, ob der Haushalt der Kunde des Marktes ist oder der Markt Kunde des Haushalts.
Neben den Apotheken durften in Zeiten der Kontaktbeschränkungen nur noch Supermärkte öffnen...
Schütz: Wir sind in Deutschland mit einer sehr hohen Dichte an Supermärkten versorgt. Wenn man so will, ist es ein Land der „Kauftempel“für die breite Bevölkerung. Einkaufen ist etwas für jedermann. Anders als Feinkostläden oder Wochenmärkte ist es auch eigentlich keine große Milieu- oder Statusfrage. Vor den Regalen und Truhen sind wir alle gleich. Und das Angebot ist überragend. Hierzulande wandert man die Märkte ja oft regelmäßig ab. Was man in dem einen Markt nicht kriegt, besorgt man sich in dem nebenan.
Abgesehen von gesundheitspolitischen Aspekten: Halten Sie Einkaufen für seinsprägend für unsere Gesellschaft? Schütz: Ich würde zumindest sagen, dass Einkäufe zur Grundversorgung eine beachtliche kulturelle Bedeutung haben. Bei vielen wirtschaftlichen Dingen denkt man ja nicht gleich an soziale Effekte. Aber hier kann man sehen, dass Haushalt, Lebensstil, Freiheitsempfinden und Supermärkte über die Jahrzehnte eine enge Koppelung entwickelt haben. So sehr, dass man sich gar nicht vorstellen kann, wie es ohne diese Versorgungsstruktur aussehen würde. Gerade deshalb rücken die Märkte ja jetzt ins Bewusstsein. Für viele sind es die vorläufig letzten echten Termine. Buchstäblich könnte man also sagen: Diese Form des Einkaufens stellt einen „Lebensmittel“-Punkt dar.