Das bedeutete das Kriegsende für Sport
Sporthistoriker Lorenz Peiffer spricht über Aufbau der Vereine nach Zweiten Weltkrieg
Als die Wehrmacht kapitulierte, lösten die Alliierten zunächst alle Vereine auf. Wie groß die Bedeutung des Sports in der Gesellschaft ist, zeigte sich schon damals.
Herr Peiffer, als die Wehrmacht am 8. Mai 1945 kapitulierte, hatte das für den Sport in Deutschland erhebliche Auswirkungen. Was bedeutete dieser Tag für die Vereine? Lorenz Peiffer: Die Befreiung Deutschlands von der nationalsozialistischen Terrorherrschaft, das Verbot der NSDAP und aller ihrer Organisationen – und das implizierte Auflösung und Verbot der Sportvereine. Aber wir müssen zuerst einen Schritt zurück.
Der da wäre?
Peiffer: In dem Moment, in dem die Alliierten deutschen Boden betraten und die Regierungsgewalt übernahmen, galt alliiertes Recht. Sie waren vorbereitet. Sie hatten eine gemeinsame Leitstelle, das „Supreme Headquarter Allied Expeditionary Forces“, die in einem Handbuch Richtlinien vereinbart hatte, wie Deutschland regiert werden sollte. In dem Handbuch war schon am 18. September 1944 die „Auflösung der NSDAP“und aller nationalsozialistischen Organisationen festgelegt worden. Unter Punkt 42 war der NSRL aufgeführt – der Nationalsozialistische Reichsbund für Leibesübungen. Im NSLR waren die Sportvereine Mitglied.
Das Kriegsende hatte also das Aus aller Vereine zur Folge? Peiffer: Als die Alliierten die Regierungsgewalt übernahmen, waren alle Vereine aufgelöst und verboten. Und es war verboten, die Vereine wieder neu zu gründen. Das Vereinsvermögen unterlag zudem der alliierten Kontrolle. Der Sport war in der NS-Zeit eingebunden in die rassistischen, militaristischen und antidemokratischen Grundsätze nationalsozialistischer Politik. Die Alliierten machten ‚Tabula rasa‘.
Was für ein Interesse haben die Alliierten damit verfolgt? Peiffer: Sie wollten für den Wiederaufbau Deutschlands klare Regeln festlegen. Da sind
die großen D’s zu nennen: Denazifizierung, Demilitarisierung, Dezentralisierung, Demokratisierung. Im August 1945 ging der britische Oberbefehlshaber Montgomery mit einer Botschaft an die deutsche Öffentlichkeit – Oldenburg und Umgebung waren ja in der britischen Besatzungszone. Er sagte, es müsse nach der Verbotsphase nun ein Schritt in Richtung Demokratisierung gemacht werden. Der Sport – bei Briten hoch angesehen – sollte eine Basis sein für die demokratische Erziehung der deutschen Jugend. Montgomerys Mitteilung ist übrigens in den Nordwest Nachrichten, dem Vorgänger der NWZ, am 7. August 1945 veröffentlicht worden. Dort steht unter anderem: „Die Militärregierung hat den gesamten zivilen Sportbetrieb wieder freigegeben (…). Der zivile Sportbetrieb ist in Oldenburg wie überall auf der Welt vereinsgebunden (...). Die Wiederaufnahme des Sports wird den Vereinen dadurch erleichtert, dass sie von den Fesseln befreit sind, die ihnen der Nationalsozialismus auferlegt hatte.“Der Oldenburger Turnerbund teilte in dem Zusammenhang mit, dass ab Montag, 6. August, der Übungsbetrieb in allen Abteilungen wieder aufgenommen wird.
War damit die Bahn wieder frei für den Vereinssport? Peiffer: Im Grundsatz Ja – und das wurde zusätzlich noch gefördert durch die Aufhebung des Versammlungsverbotes am 15. September 1945. Wenn man sich wieder versammeln kann, kann man auch einen Verein gründen – sieben Personen benötigt man bekanntermaßen dazu.
Es gab allerdings sicher einige Einschränkungen damals? Peiffer: Um einen Verein zu gründen, brauchte man die Zustimmung des örtlichen alliierten Kommandierenden und man musste seine Ideen und Ziele vorstellen.
Am 3. Dezember 1945 wurde die Vereinsgründung ohne Genehmigung wieder erlaubt. Peiffer: Ja, es brauchte keine Einwilligung der Alliierten mehr. Spannend ist, dass es fortan eine Entwicklung von unten nach oben gab. Es gründeten sich zunächst Vereine, anschließend durften sich die Vereine in Kreisen zusammenschließen, später in Bezirkssportbünden und noch später erst auf Landesebene. Dann kamen noch die Sportfachverbände hinzu. Erst 1950 gründete sich der Deutsche Sportbund. So ist dieser heutige eigenwillige Aufbau des
deutschen Sports, das Nebeneinander von Sportbünden und Sportfachverbänden, nach 1945 zu erklären.
Was gab es noch für Auflagen? Peiffer: Diejenigen, die nach dem 8. Mai 1945 in öffentliche Ämter kamen, mussten sogenannte unbelastete Personen sein. Viele Vereine – das weiß ich zum Beispiel aus Westerstede – haben sich aber nicht an diese Vorgaben gehalten, sondern ihre ‚alten‘ Vereinsvorsitzenden aus der NS-Zeit beibehalten. Im Januar 1946 wurde mit der Kontrollrats-Direktive 24 dann verordnet, dass NS-belastete Personen keine öffentlichen Ämter übernehmen dürfen. Die ‚Alten‘ mussten also wieder gehen und neue Vorsitzende gewählt werden. Später, nachdem die Entnazifizierung in deutsche Hände gegeben wurde, änderte sich vieles wieder – auch die Gesichter in den Vereinsvorständen. Eine Phase der Restauration setzte ein.
Wie hat sich die Sportlandschaft durch den Zweiten Weltkrieg also verändert? Peiffer: Nun ja, bis 1933 hatten wir eine blühende, ausdifferenzierte Sportlandschaft. Wir hatten bürgerliche Vereine, Arbeitervereine, konfessionelle Vereine. Die Arbeitersport
organisation wurde durch die Nazis liquidiert, später auch die konfessionellen Vereine. Es gab eine Einheitssportorganisation. Die Vereinstradition wurde nach 1945 in den westlichen Besatzungszonen weitergeführt. Der Arbeitersportverein gründete sich gleichwohl nicht wieder. Die Arbeitersportler sahen keine Notwendigkeit ihre Organisation wieder ins Leben zu rufen, sie waren davon überzeugt, dass sie als politisch Unbelastete prädestiniert dafür seien, den deutschen Sport mit ihren Ideen wieder aufzubauen. Das ist jedoch sehr schnell durch die bürgerliche Bewegung konterkariert worden.
Der Sport hat auch heute, das merken wir durch sein Fehlen in der Corona-Krise, eine wichtige Funktion. Wir würden Sie diese definieren? Peiffer: Der Sport ist das soziale Kapital unserer Gesellschaft. Dort trifft man Freunde, man macht etwas gemeinsam. Es ist eine freie Gemeinschaft, wir haben das Recht der freien Vereinswahl. Und der Sport ist eine Basis für die Einübung demokratischer Gepflogenheiten – wir haben in den Vereinen ein Wahlrecht, Vereinsversammlungen, Rechenschaftsberichte etc.. Deswegen haben die Briten den Sport ja auch so schnell wieder freigegeben nach 1945. Wie groß das Bedürfnis ist, sich mit Freunden in Vereinen zu treffen, sieht man in der Tat aktuell – das ist eindeutig. Der Verein hat nach wie vor diese wichtige Funktion in unserer Gesellschaft.