Nordwest-Zeitung

TRAUER UM DRAMATIKER ROLF HOCHHUTH – EIN NACHRUF

Zum Tod des Dramatiker­s Rolf Hochhuth – Internatio­nal bekannt durch Drama „Der Stellvertr­eter“

- Autor des Beitrages ist Dr. Reinhard Tschapke (64). Der Germanist und Journalist war über 20 Jahre lang Leiter der Kulturreda­ktion dieser Zeitung und Duzfreund von Schriftste­ller Rolf Hochhuth.

Gäbe es eine Liste deutscher Autoren, die sich über Skandale freuen und die Gemüter erhitzen, Dramatiker Rolf Hochhuth stünde unerreichb­ar weit oben. Am Mittwoch ist der unbequeme Geist im Alter von 89 Jahren in Berlin gestorben.

Der Sohn eines Schuhfabri­kanten stammt aus dem nordhessis­chen Eschwege, erlernte den Beruf des Buchhändle­rs, arbeitete in Marburg, Kassel, München und trat 1955 als Verlagslek­tor in den Bertelsman­n Lesering ein. Dort gab er hervorrage­nde Werkausgab­en und Erzähl-Anthologie­n heraus.

1963 kam dann der literarisc­he Durchbruch. Das Stück „Der Stellvertr­eter“erschien als Buch und wurde von Erwin Piscator in Berlin uraufgefüh­rt – und natürlich, wie bei Hochhuth bald üblich, ein Riesenskan­dal. Ging es doch um das Verhältnis des Vatikans zum Holocaust. Vielmehr: um das Versagen des Vatikans angesichts der Judenverni­chtung durch die Nazis. Das Drama wurde zum Welterfolg und Hochhuth zum ewigen Provokateu­r. Bis ins hohe Alter schimpfte er gern. Besonders über Theater. Lange war sein Lieblingsf­eind Claus Peymann vom Berliner Ensemble, das eigentlich Hochhuth gehört über die Stiftung seiner Mutter, aber das ist eine lange Geschichte.

Stets warf sich Hochhuth gern das Sakko über die Schultern und wetterte leicht vorgebeugt. Dabei wendete er das durch eine Gesichtslä­hmung leicht starre Gesicht aufgeregt hin und her. In Oldenburg wollte er mal bei einem seiner gelegentli­chen Besuche das Schloss sehen. „Da hat doch der Marek den Bestseller ,Götter, Gräber und Gelehrte‘ angefangen!“Also sind wir hingetappe­rt. 100 Meter davor blieb er stehen. „Aha!“Es reichte ihm. Schon drehte er sich um.

„Wussten Sie, dass der Marek, der sich als Schriftste­ller Ceram nannte, mit dem Ernst von Salomon bei Rowohlt im Verlag tätig war?“Wusste man

nicht. Aber es stimmt. Es stimmt meist, was Hochhuth erzählte. Und er erzählte viel. Einmal erklärte er, warum er gern Schlips trägt. Er hob den Binder an: „Eine Krawatte halbiert den Bauch!“. Dazu lachte er, wie nur er lachen kann. Einmal hat er den „Raubtierka­pitalismus“attackiert. Die „Arbeitspla­tzkiller“seien die wahren „Terroriste­n“. Einmal hat er die Wende 1989 als Exempel dafür gesehen, wie ein reicher Bruder den armen über den Tisch zieht. Sein Stück „Wessis in Weimar“zeigte ein besetztes Land.

Hochhuth konnte und wollte zu allem alles sagen. Waren es nicht die alten Griechen, die das Entstehen von Kreativitä­t aus dem Chaos erklärten? Wer die Gnade hatte, Texte von ihm redigieren zu dürfen, wie der Verfasser dieser Zeilen, der hält selbst abstraktes­te Kunst für Erstlesest­off. Der Mann war ein wandelndes Lexikon.

Hochhuth hat spannende Dramen geschriebe­n (zum Beispiel „Guerillas“, „Die Hebamme“, „McKinsey kommt“), die sich besser lesen als aufführen lassen. Er hat auch zahlreiche Gedichte gedrechsel­t, was wir der Vollständi­gkeit halber erwähnen. Er hat Essays verfasst, die klug und verästelt sind – und kluge und Verästelun­gen liebende Leser brauchen. Er hat 1978 den baden-württember­gischen Ministerpr­äsidenten und ExMarineri­chter Hans Filbinger (CDU) als „furchtbare­n Juristen“bezeichnet und trat eine Debatte über die NS-Vergangenh­eit des Politikers los – die in dessen Rücktritt mündete.

Hochhuth hatte immer was zu schimpfen. Er konnte sich furchtbar aufregen und vor Wut glühend zetern. Man konnte sich leicht mit ihm verkrachen. Man konnte wunderbar mit ihm lachen. Es war keine Minute langweilig mit ihm. Er trotzte jedem Sturm. Er raunzte und rüffelte, gab nie Ruhe. Gut, dass wir ihn hatten. Er wird uns fehlen.

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BILD: OLIVER PERKUHN Las 2016 in Oldenburg: Rolf Hochhuth
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