Eltern erhöhen den Druck
CORONA-KRISE Notbetreuung in Niedersachsens Kitas soll schnell erweitert werden
Kultusminister Tonne bittet die Kita-Träger um mehr Flexibilität. Die Lockerungen müssten bald bei den Eltern ankommen, sagte er.
HANNOVER – Nach Wochen der Schließung und unzureichender Notbetreuung fordern Elterninitiativen, die Kitas für alle Kinder zu öffnen. „Der Stufenplan der Landesregierung gibt den Eltern noch keine ausreichende Perspektive“, sagte Christine HeymannSplinter von der Landeselternvertretung der niedersächsischen Kindertagesstätten der Ð. Die Sorgen der Eltern um den Arbeitsplatz würden nicht hinreichend berücksichtigt.
Bei einer Umfrage der Elternvertretung sprachen sich 73 Prozent der knapp 47000 Teilnehmer für eine schnellstmögliche Öffnung der Kitas vor den Sommerferien aus. Die Doppel-Belastung durch Berufstätigkeit und die Betreuung der Kinder zuhause sei auf Dauer nicht darstellbar. Heymann-Splinter, Mutter von zwei Kindern (1 und 3), rief die Kommunen auf, mehr Räume für die Betreuung zur Verfügung zu stellen – etwa Dorfgemeinschaftshäuser.
Angesichts der Klagen bat Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) die Träger um mehr Flexibilität.
„Die Lockerungen müssen auch bald bei den Eltern ankommen“, sagte Tonne im ÐInterview. Die Träger können die Notbetreuung – also die Aufnahme von Kindern mit Unterstützungsbedarf oder bei Härtefällen – auf 50 Prozent der Gesamtzahl in der Kita erhöhen und hätten dabei „sehr große Freiheiten“. Zusätzlich zur Notbetreuung seien die Kita-Träger angehalten, allen Vorschulkindern ein verbindliches Angebot zu machen. Sie sollen ausreichend Zeit bekommen, sich auf den Schulstart vorzubereiten.
Volker Bajus (Grüne) warf der rot-schwarzen Landesregierung vor, sie habe „die lange Zeit des Shutdowns nicht genutzt, um ordentliche Konzepte auf den Weg zu bringen“. Trotz Rechtsanspruchs gebe es für 350000 Kinder in Niedersachsen derzeit keine Betreuung, sagte Bajus. Bei der Notbetreuung würden soziale Aspekte zu wenig berücksichtigt. FDP-Bildungsexperte Björn Försterling erklärte: „Minister Tonne schafft mit seinem Stufenplan für die Kita-Öffnungen keine Entlastung für die Familien, er stiftet lediglich Verwirrung und Frust.“
Nach Angaben des Ministeriums liegt die Betreuungsquote in der Notbetreuung in dieser Woche bei elf Prozent. In der Vorwoche waren es 8,6 Prozent. Am 25. März, kurz nach den Kita-Schließungen, lag die Quote bei 1,37 Prozent.
Sie haben die Träger der Kitas um mehr Flexibilität gebeten. Was meinen Sie damit genau? Tonne: Wir hatten zu Beginn eine sehr restriktive Handhabung des Zugangs zur Notbetreuung durch die Träger. Das war auch absolut richtig. Man darf nicht vergessen, dass wir vor zwei Monaten eine dramatische Lage hatten. Nur deshalb wurden die Kitas und Schulen bundesweit geschlossen. Das waren schmerzhafte, aber wichtige Maßnahmen, um das Coronavirus einzudämmen. Dabei waren wir erfolgreich und sind nunmehr in einer neuen Phase, in der wir wieder mehr Betreuung ermöglichen müssen. Daher können bereits seit Montag die Kita-Träger die Kapazitäten deutlich erweitern, auf die Hälfte der normalen Gruppengrößen: 13 Kinder im Ü3se
Bereich pro Notgruppe können aufgenommen werden, bis zu acht Krippenkinder, in Hortgruppen bis zu 10. Damit können wir die Eltern erheblich entlasten und meine Erwartungshaltung ist, dass diese neuen großen Spielräume durch die Träger vor Ort genutzt werden. Jedem Kind soll noch vor der Sommerpause ein Angebot zum Besuch der Kita gemacht werden.
Elternvertreter bemängeln die Art der Kommunikation des
Kultusministeriums. Welche sozialen Kriterien gelten nun? Tonne: Viele Eltern sind derzeit stark unter Druck. Homeoffice zu machen und gleichzeitig kleine Kinder zu betreuen, ist ein kaum machbarer Spagat. Und den Kindern tut es nicht gut, längerfristig von sozialen Kontakten und dem Spielen mit Gleichaltrigen abgeschnitten zu sein. Deshalb habe ich mich auch sehr für spürbare Lockerungen bei der Kinderbetreuung eingesetzt – und die Ergebnissind auch klar kommuniziert worden. Nach außen, aber auch gegenüber den Trägern. Dabei ist klar: Die Träger können die Kapazitäten nicht von heute auf morgen auf 50 Prozent erhöhen. Aber klar ist ebenso: Die Lockerungen müssen auch bald bei den Eltern ankommen. Die Träger haben dabei große Freiheiten, denn in der Notbetreuung gelten weder die üblichen Personalschlüssel, noch die Vorgaben für die Räume. Flexibilität und bürokratiearme Verfahren sind wünschenswert. Und allen muss klar sein, dass die Planungen nicht in Stein gemeißelt sind. Wenn sich die Lage weiter verbessert, dann können wir weiter lockern und Betreuung weiter ausbauen.
Wie hoch ist die Betreuungsquote aktuell?
Tonne: Die Betreuungsquote nach Rückmeldung der Träger liegt in dieser Woche bei rund 11 Prozent. Wir kommen von 1,37 Prozent zu Beginn der Notbetreuung und es hat sich langsam nach oben bewegt. Das bedeutet, es hat sich schon einiges getan, aber es gibt auch noch ganz viel Luft nach oben. Allen muss aber immer klar sein, dass das Virus nicht weg ist. Daher müssen gerade die Risikogruppen geschützt werden.
Wie wird sichergestellt, dass die Vorschulkinder zeitnah aufgenommen werden? Tonne: Zusätzlich zur erweiterten Notbetreuung sind die Träger angehalten, allen Vorschulkindern ein verbindliches Angebot zu machen. Das kann parallel zur Notbetreuung laufen in einer extra Vorschulgruppe. Oder aber auch separat am Nachmittag. In welchem Umfang das erfolgt, liegt an den jeweiligen personellen und räumlichen Ressourcen.