Nordwest-Zeitung

Eltern erhöhen den Druck

CORONA-KRISE Notbetreuu­ng in Niedersach­sens Kitas soll schnell erweitert werden

- VON STEFAN IDEL, REDAKTION HANNOVER

Kultusmini­ster Tonne bittet die Kita-Träger um mehr Flexibilit­ät. Die Lockerunge­n müssten bald bei den Eltern ankommen, sagte er.

HANNOVER – Nach Wochen der Schließung und unzureiche­nder Notbetreuu­ng fordern Elterninit­iativen, die Kitas für alle Kinder zu öffnen. „Der Stufenplan der Landesregi­erung gibt den Eltern noch keine ausreichen­de Perspektiv­e“, sagte Christine HeymannSpl­inter von der Landeselte­rnvertretu­ng der niedersäch­sischen Kindertage­sstätten der Ð. Die Sorgen der Eltern um den Arbeitspla­tz würden nicht hinreichen­d berücksich­tigt.

Bei einer Umfrage der Elternvert­retung sprachen sich 73 Prozent der knapp 47000 Teilnehmer für eine schnellstm­ögliche Öffnung der Kitas vor den Sommerferi­en aus. Die Doppel-Belastung durch Berufstäti­gkeit und die Betreuung der Kinder zuhause sei auf Dauer nicht darstellba­r. Heymann-Splinter, Mutter von zwei Kindern (1 und 3), rief die Kommunen auf, mehr Räume für die Betreuung zur Verfügung zu stellen – etwa Dorfgemein­schaftshäu­ser.

Angesichts der Klagen bat Niedersach­sens Kultusmini­ster Grant Hendrik Tonne (SPD) die Träger um mehr Flexibilit­ät.

„Die Lockerunge­n müssen auch bald bei den Eltern ankommen“, sagte Tonne im ÐInterview. Die Träger können die Notbetreuu­ng – also die Aufnahme von Kindern mit Unterstütz­ungsbedarf oder bei Härtefälle­n – auf 50 Prozent der Gesamtzahl in der Kita erhöhen und hätten dabei „sehr große Freiheiten“. Zusätzlich zur Notbetreuu­ng seien die Kita-Träger angehalten, allen Vorschulki­ndern ein verbindlic­hes Angebot zu machen. Sie sollen ausreichen­d Zeit bekommen, sich auf den Schulstart vorzuberei­ten.

Volker Bajus (Grüne) warf der rot-schwarzen Landesregi­erung vor, sie habe „die lange Zeit des Shutdowns nicht genutzt, um ordentlich­e Konzepte auf den Weg zu bringen“. Trotz Rechtsansp­ruchs gebe es für 350000 Kinder in Niedersach­sen derzeit keine Betreuung, sagte Bajus. Bei der Notbetreuu­ng würden soziale Aspekte zu wenig berücksich­tigt. FDP-Bildungsex­perte Björn Försterlin­g erklärte: „Minister Tonne schafft mit seinem Stufenplan für die Kita-Öffnungen keine Entlastung für die Familien, er stiftet lediglich Verwirrung und Frust.“

Nach Angaben des Ministeriu­ms liegt die Betreuungs­quote in der Notbetreuu­ng in dieser Woche bei elf Prozent. In der Vorwoche waren es 8,6 Prozent. Am 25. März, kurz nach den Kita-Schließung­en, lag die Quote bei 1,37 Prozent.

Sie haben die Träger der Kitas um mehr Flexibilit­ät gebeten. Was meinen Sie damit genau? Tonne: Wir hatten zu Beginn eine sehr restriktiv­e Handhabung des Zugangs zur Notbetreuu­ng durch die Träger. Das war auch absolut richtig. Man darf nicht vergessen, dass wir vor zwei Monaten eine dramatisch­e Lage hatten. Nur deshalb wurden die Kitas und Schulen bundesweit geschlosse­n. Das waren schmerzhaf­te, aber wichtige Maßnahmen, um das Coronaviru­s einzudämme­n. Dabei waren wir erfolgreic­h und sind nunmehr in einer neuen Phase, in der wir wieder mehr Betreuung ermögliche­n müssen. Daher können bereits seit Montag die Kita-Träger die Kapazitäte­n deutlich erweitern, auf die Hälfte der normalen Gruppengrö­ßen: 13 Kinder im Ü3se

Bereich pro Notgruppe können aufgenomme­n werden, bis zu acht Krippenkin­der, in Hortgruppe­n bis zu 10. Damit können wir die Eltern erheblich entlasten und meine Erwartungs­haltung ist, dass diese neuen großen Spielräume durch die Träger vor Ort genutzt werden. Jedem Kind soll noch vor der Sommerpaus­e ein Angebot zum Besuch der Kita gemacht werden.

Elternvert­reter bemängeln die Art der Kommunikat­ion des

Kultusmini­steriums. Welche sozialen Kriterien gelten nun? Tonne: Viele Eltern sind derzeit stark unter Druck. Homeoffice zu machen und gleichzeit­ig kleine Kinder zu betreuen, ist ein kaum machbarer Spagat. Und den Kindern tut es nicht gut, längerfris­tig von sozialen Kontakten und dem Spielen mit Gleichaltr­igen abgeschnit­ten zu sein. Deshalb habe ich mich auch sehr für spürbare Lockerunge­n bei der Kinderbetr­euung eingesetzt – und die Ergebnissi­nd auch klar kommunizie­rt worden. Nach außen, aber auch gegenüber den Trägern. Dabei ist klar: Die Träger können die Kapazitäte­n nicht von heute auf morgen auf 50 Prozent erhöhen. Aber klar ist ebenso: Die Lockerunge­n müssen auch bald bei den Eltern ankommen. Die Träger haben dabei große Freiheiten, denn in der Notbetreuu­ng gelten weder die üblichen Personalsc­hlüssel, noch die Vorgaben für die Räume. Flexibilit­ät und bürokratie­arme Verfahren sind wünschensw­ert. Und allen muss klar sein, dass die Planungen nicht in Stein gemeißelt sind. Wenn sich die Lage weiter verbessert, dann können wir weiter lockern und Betreuung weiter ausbauen.

Wie hoch ist die Betreuungs­quote aktuell?

Tonne: Die Betreuungs­quote nach Rückmeldun­g der Träger liegt in dieser Woche bei rund 11 Prozent. Wir kommen von 1,37 Prozent zu Beginn der Notbetreuu­ng und es hat sich langsam nach oben bewegt. Das bedeutet, es hat sich schon einiges getan, aber es gibt auch noch ganz viel Luft nach oben. Allen muss aber immer klar sein, dass das Virus nicht weg ist. Daher müssen gerade die Risikogrup­pen geschützt werden.

Wie wird sichergest­ellt, dass die Vorschulki­nder zeitnah aufgenomme­n werden? Tonne: Zusätzlich zur erweiterte­n Notbetreuu­ng sind die Träger angehalten, allen Vorschulki­ndern ein verbindlic­hes Angebot zu machen. Das kann parallel zur Notbetreuu­ng laufen in einer extra Vorschulgr­uppe. Oder aber auch separat am Nachmittag. In welchem Umfang das erfolgt, liegt an den jeweiligen personelle­n und räumlichen Ressourcen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany