Heimbewohner und Angehörige leiden furchtbar
Gesundheitsamtsleiter Dr. Holger Petermann beantwortet Fragen von Leserinnen und Lesern
Vor allem das Besuchsverbot in Alten- und Pflegeheimen beschäftigt die Menschen – trotz erster Lockerungen. Wann sie ihre Angehörigen wieder in die Arme nehmen können, war nur eine von vielen offenen Fragen.
OLDENBURG – „Wir haben die Situation derzeit unter Kontrolle. Aber das Virus ist noch da.“Dr. Holger Petermann warnte in der Leserfragestunde der Ð vor einer verfrühten Euphorie. Auch die Zahl der Verdachtsfälle – am Mittwoch befanden sich noch 68 Kontaktpersonen in Quarantäne, die theoretisch noch erkranken können – müsse beachtet werden. Eine Stunde lang hatte der Leiter des Gesundheitsamtes Oldenburg Fragen beantwortet – am Telefon und im Livestream von NordwestTV. Ein Schwerpunkt: die Situation in Alten- und Pflegeheimen.
Barbara Liefländer wollte wissen, warum Mund-NasenSchutz nicht den Träger schützt, sondern nur die Mitmenschen. Petermann: Mund-NasenSchutz ist gleich durchlässig in beide Richtungen für die Viren und hat den Zweck, Tröpfchen aufzufangen. Das Coronavirus wird mit den Tröpfchen aufgefangen und gebremst, ist aber durchlässig für die Viren selbst. Von daher ist es nur ein Schutz in eine Richtung bis zu einem begrenzten Maß.
Astrid Henke und ihr Mann hatten eine Putzhilfe und haben Angst, diese wieder einzustellen, weil sie nicht wissen, ob sie das Coronavirus hat und es vielleicht gar nicht weiß. Petermann: Wenn Ihre Heizung kaputt ist, brauchen Sie auch einen Handwerker. Den würden Sie auch auffordern, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen und Abstand zu halten. Gleich können sie auch verfahren mit der Dame, die sie anstellen, um die nötige Unterstützung zu bekommen. Sie darf nur kommen, wenn sie keine Erkältungssymptome hat, nur zu bestimmten Zeiten und muss Mund-Nasen-Schutz tragen. Im Haus können Sie in getrennten Räumen bleiben und das Geld überweisen. Wenn Sie Abstand halten und alle den Mund-Nasen-Schutz tragen, reduzieren Sie das Risiko.
Hildegard Sczesny hat einen Lebenspartner in einem Pflegeheim, den sie bei ihren Besuchen normalerweise pflegerisch unterstützt. Wann wird es wieder möglich, seine Angehörigen zu berühren und zu pflegen? Gibt es individuelle Tests für Angehörige? Petermann: Es gibt ganz viele Angehörige, die leiden furchtbar. Und es gibt ganz viele Menschen in den Heimen, die leiden furchtbar. Es gibt jetzt die Möglichkeit, dass die Heischen me entsprechende Konzepte schreiben. Nun ist die Hürde hoch, wenn sie Angehörige ins Haus lassen wollen, weil die Bewohner besonders geschützt werden müssen. Von daher ist es unheimlich schwierig, jetzt zuzulassen, das jemand reinkommt. Aber Berührungen sehe ich sehr, sehr kritisch. Die Inkubationszeit, das heißt die Zeit zwischen Berührung mit dem Virus und Ausbruch der Krankheit ist zwischen ein und 14 Tagen. Wenn Sie sich testen lassen würden und der Test ist negativ, heißt das nicht, dass sie nicht übermorgen erkranken und jemanden anstecken. Und was das für furchtbare Auswirkungen hat, haben wir bundesweit gesehen.
Natalie Schultz wollte wissen, wie das Gesundheitsamt die Alten- und Pflegeheime unterstützt.
Petermann: Wir unterscheiden zwischen dem geforderten Hygienekonzept, das den Bürgern ermöglicht, ihre Angehörigen im Zimmer zu besuchen, also richtig reinzugehen, und den Besucherfenstern. Die haben eine deutlich niedrigere Schwelle. Nur gucken ist für einige Bewohner aber schwierig, vor allem, wenn es in Richtung Demenz geht, weil sie es nicht mehr verstehen. Für alle anderen bieten die Fenster eine gute Möglichkeit.
Marion Meiners interessierte, wie schnell die Hygienekonzepte vom genehmigt werden. Petermann: Das Konzept muss sehr ausgefeilt sein und muss Hand und Fuß haben, damit der Eintrag in die Einrichtungen vermieden wird. Bei den Besucherfenstern stehen wir beratend zur Seite. Da haben wir schon für fast die Hälfte der Heime zugestimmt, dass das so gemacht werden kann. Die anderen Konzepte bedürfen der Ausarbeitung, damit da nichts schief geht, auch im Detail: Wo stellen wir Wände auf? Wo sind die Wege? Wer begleitet wen? Wo wird desinfiziert? Das dauert in der Ausarbeitung, nicht in der Genehmigung. Da müssen Angehörige noch etwas Geduld haben. Das ist von den Verwaltungen neben der normalen Arbeit zu leisten. Ich habe für Oldenburg noch kein Hygienekonzept für die Freigabe eines Seniorenheimes vorliegen. Das ist in der Regel immer das Besucherfenster.
Hilmar Bunjes fragt, warum es in Oldenburg nur den Rachenabstrich gibt. Petermann: Der ist momentan das geeignete Instrument, eine akute Erkrankung festzustellen. Das muss man ein bisschen einschränken, weil man weiß, dass auch wenn eine Erkrankung schon vorbei ist, noch Trümmer der RNA im Rachen nachweisbar sind. Von daher kann man sagen: Wenn ich die klinischen Symptome habe und ich habe eine positiven Test, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich Covid19 habe, relativ hoch. Wenn ich keine klinischen Symptome habe, und ich habe einen positiven Test, dann wird es schwierig, weil ich nicht sagen kann, ob es alte Reste sind. Die anderen Tests sind noch nicht so ausgereift, dass man sie in der Diagnostik einsetzen könnte. Antikörpertests haben letztlich keine Aussage, da es auch ein europäisches CoronaVirus gibt. Wir wissen nicht, inwieweit dieser Test auf das Virus reagiert, das uns Sorgen macht, oder auf das europäische. Es lässt sich auch kein Bezug zur Aktualität herstellen. Wir wissen dann nur: Da war mal was, aber nicht was und wann.
Die NWZ berichtete auch im von Redaktionsleiter Markus Minten (rechts) moderierten Livestream über die Fragestunde mit Gesundheitsamts-Chef Dr. Holger Petermann.
Julia Parkmann will wissen, ab wann Altenheime neue Patienten aufnehmen dürfen? Petermann: Es darf ja aufgenommen werden, es müssen nur bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. Das eine ist eine Quarantäne, die eingehalten wurde, oder eine Quarantänemöglichkeit in dem Wohnheim oder eine Zwischenstufe, dass im Rahmen einer Kurzzeitpflege eine quarantäneähnliche Situation vorliegt. Es gibt auch Möglichkeiten für eine Ausnahmegenehmigung, wenn der Angehörige etwa alleine wohnt und der einzige Kontakt der Pflegedienst ist.
Michael Horrmann und Petra Witte wundern sich darüber, dass beim Friseur vor dem Schneiden die Haare zwingend gewaschen werden müssen. Petermann: Man geht einfach davon aus, dass sich möglicherweise Viren mit dem Staub in den Haaren befinden. Durch das Waschen soll vermieden werden, dass Frisöre durch das Aufwirbeln damit in Kontakt kommen.
Rainer Rieper fragt sich warum Frisörbesuche möglich sind, Fußpflege aber nicht. Petermann: Medizinisch notwendige Fußpflege, die ärztlich verordnet ist, ist möglich.
Beate Hampel fragt sich, wann sie ihre Mutter im Heim besuchen und vor allem wieder in den Arm nehmen darf. Petermann: Da müssen Sie noch ein bisschen Geduld haben, auch wenn Sie das Gefühl haben, Ihnen läuft die Zeit weg. Wenn wir beobachten, dass die Zahlen stabil bleiben, wird es sicher weitere Lockerungen geben. Ich kann ihnen aber nicht sagen: Das wird im nächsten Monat sein oder in den Sommerferien. Ich kann die Sehnsucht und die Wün
verstehen, Ihnen aber leider keine Perspektive geben. Ich kann Sie nur vertrösten, dass Sie sich darauf freuen, dass es irgendwann weitere Lockerungen gibt.
Renate Meyer-Witte fragte, ob vorsorgliche Tests in Oldenburger Altenheimen durchgeführt werden. Petermann: Testen ohne Symptome, nur um zu gucken, ist schwierig. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir jemanden dadurch bekommen, ist gering. Wir müssen die Kräfte darauf fokussieren, wenn es ein Problem gibt und uns nicht verzetteln bei dem Versuch herauszubekommen, wo noch jemand sein könnte. Anders verhält sich das, wenn wir den Anhalt dafür haben sollten, dass etwas anbrennt. Dann springen wir natürlich sofort rein und testen auch eine größere Population.
Christel Janshen wollte wissen, wer die ambulanten Pflegedienste überwacht. Petermann: Das Gesundheitsamt der Stadt Oldenburg. Wenn jemand an Symptomen leidet, ist er aus dem Betrieb zu nehmen, dem Hausarzt vorzustellen und nach Möglichkeit zu testen. Je nach Testergebnis kommen wir dann ins Spiel, um Maßnahmen zu ergreifen.
Sigrid Posse fragt sich, ob sie als gesetzliche Betreuerin ihrer Mutter nicht schon längst hätte ins Heim gehen dürfen. Petermann: Sie dürfen das Heim betreten, um die rechtlichen Interessen ihrer Mutter zu wahren. Sie müssen aber strikt trennen zwischen Ihrer Funktion als Betreuerin und Ihrer Eigenschaft als Tochter ihrer Mutter.
Den Livestream sehen Sie unter www.youtube.com/nordwesttv