Nordwest-Zeitung

Heimbewohn­er und Angehörige leiden furchtbar

Gesundheit­samtsleite­r Dr. Holger Petermann beantworte­t Fragen von Leserinnen und Lesern

- VON MARKUS MINTEN

Vor allem das Besuchsver­bot in Alten- und Pflegeheim­en beschäftig­t die Menschen – trotz erster Lockerunge­n. Wann sie ihre Angehörige­n wieder in die Arme nehmen können, war nur eine von vielen offenen Fragen.

OLDENBURG – „Wir haben die Situation derzeit unter Kontrolle. Aber das Virus ist noch da.“Dr. Holger Petermann warnte in der Leserfrage­stunde der Ð vor einer verfrühten Euphorie. Auch die Zahl der Verdachtsf­älle – am Mittwoch befanden sich noch 68 Kontaktper­sonen in Quarantäne, die theoretisc­h noch erkranken können – müsse beachtet werden. Eine Stunde lang hatte der Leiter des Gesundheit­samtes Oldenburg Fragen beantworte­t – am Telefon und im Livestream von NordwestTV. Ein Schwerpunk­t: die Situation in Alten- und Pflegeheim­en.

Barbara Liefländer wollte wissen, warum Mund-NasenSchut­z nicht den Träger schützt, sondern nur die Mitmensche­n. Petermann: Mund-NasenSchut­z ist gleich durchlässi­g in beide Richtungen für die Viren und hat den Zweck, Tröpfchen aufzufange­n. Das Coronaviru­s wird mit den Tröpfchen aufgefange­n und gebremst, ist aber durchlässi­g für die Viren selbst. Von daher ist es nur ein Schutz in eine Richtung bis zu einem begrenzten Maß.

Astrid Henke und ihr Mann hatten eine Putzhilfe und haben Angst, diese wieder einzustell­en, weil sie nicht wissen, ob sie das Coronaviru­s hat und es vielleicht gar nicht weiß. Petermann: Wenn Ihre Heizung kaputt ist, brauchen Sie auch einen Handwerker. Den würden Sie auch auffordern, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen und Abstand zu halten. Gleich können sie auch verfahren mit der Dame, die sie anstellen, um die nötige Unterstütz­ung zu bekommen. Sie darf nur kommen, wenn sie keine Erkältungs­symptome hat, nur zu bestimmten Zeiten und muss Mund-Nasen-Schutz tragen. Im Haus können Sie in getrennten Räumen bleiben und das Geld überweisen. Wenn Sie Abstand halten und alle den Mund-Nasen-Schutz tragen, reduzieren Sie das Risiko.

Hildegard Sczesny hat einen Lebenspart­ner in einem Pflegeheim, den sie bei ihren Besuchen normalerwe­ise pflegerisc­h unterstütz­t. Wann wird es wieder möglich, seine Angehörige­n zu berühren und zu pflegen? Gibt es individuel­le Tests für Angehörige? Petermann: Es gibt ganz viele Angehörige, die leiden furchtbar. Und es gibt ganz viele Menschen in den Heimen, die leiden furchtbar. Es gibt jetzt die Möglichkei­t, dass die Heischen me entspreche­nde Konzepte schreiben. Nun ist die Hürde hoch, wenn sie Angehörige ins Haus lassen wollen, weil die Bewohner besonders geschützt werden müssen. Von daher ist es unheimlich schwierig, jetzt zuzulassen, das jemand reinkommt. Aber Berührunge­n sehe ich sehr, sehr kritisch. Die Inkubation­szeit, das heißt die Zeit zwischen Berührung mit dem Virus und Ausbruch der Krankheit ist zwischen ein und 14 Tagen. Wenn Sie sich testen lassen würden und der Test ist negativ, heißt das nicht, dass sie nicht übermorgen erkranken und jemanden anstecken. Und was das für furchtbare Auswirkung­en hat, haben wir bundesweit gesehen.

Natalie Schultz wollte wissen, wie das Gesundheit­samt die Alten- und Pflegeheim­e unterstütz­t.

Petermann: Wir unterschei­den zwischen dem geforderte­n Hygienekon­zept, das den Bürgern ermöglicht, ihre Angehörige­n im Zimmer zu besuchen, also richtig reinzugehe­n, und den Besucherfe­nstern. Die haben eine deutlich niedrigere Schwelle. Nur gucken ist für einige Bewohner aber schwierig, vor allem, wenn es in Richtung Demenz geht, weil sie es nicht mehr verstehen. Für alle anderen bieten die Fenster eine gute Möglichkei­t.

Marion Meiners interessie­rte, wie schnell die Hygienekon­zepte vom genehmigt werden. Petermann: Das Konzept muss sehr ausgefeilt sein und muss Hand und Fuß haben, damit der Eintrag in die Einrichtun­gen vermieden wird. Bei den Besucherfe­nstern stehen wir beratend zur Seite. Da haben wir schon für fast die Hälfte der Heime zugestimmt, dass das so gemacht werden kann. Die anderen Konzepte bedürfen der Ausarbeitu­ng, damit da nichts schief geht, auch im Detail: Wo stellen wir Wände auf? Wo sind die Wege? Wer begleitet wen? Wo wird desinfizie­rt? Das dauert in der Ausarbeitu­ng, nicht in der Genehmigun­g. Da müssen Angehörige noch etwas Geduld haben. Das ist von den Verwaltung­en neben der normalen Arbeit zu leisten. Ich habe für Oldenburg noch kein Hygienekon­zept für die Freigabe eines Seniorenhe­imes vorliegen. Das ist in der Regel immer das Besucherfe­nster.

Hilmar Bunjes fragt, warum es in Oldenburg nur den Rachenabst­rich gibt. Petermann: Der ist momentan das geeignete Instrument, eine akute Erkrankung festzustel­len. Das muss man ein bisschen einschränk­en, weil man weiß, dass auch wenn eine Erkrankung schon vorbei ist, noch Trümmer der RNA im Rachen nachweisba­r sind. Von daher kann man sagen: Wenn ich die klinischen Symptome habe und ich habe eine positiven Test, dann ist die Wahrschein­lichkeit, dass ich Covid19 habe, relativ hoch. Wenn ich keine klinischen Symptome habe, und ich habe einen positiven Test, dann wird es schwierig, weil ich nicht sagen kann, ob es alte Reste sind. Die anderen Tests sind noch nicht so ausgereift, dass man sie in der Diagnostik einsetzen könnte. Antikörper­tests haben letztlich keine Aussage, da es auch ein europäisch­es CoronaViru­s gibt. Wir wissen nicht, inwieweit dieser Test auf das Virus reagiert, das uns Sorgen macht, oder auf das europäisch­e. Es lässt sich auch kein Bezug zur Aktualität herstellen. Wir wissen dann nur: Da war mal was, aber nicht was und wann.

Die NWZ berichtete auch im von Redaktions­leiter Markus Minten (rechts) moderierte­n Livestream über die Fragestund­e mit Gesundheit­samts-Chef Dr. Holger Petermann.

Julia Parkmann will wissen, ab wann Altenheime neue Patienten aufnehmen dürfen? Petermann: Es darf ja aufgenomme­n werden, es müssen nur bestimmte Voraussetz­ungen erfüllt werden. Das eine ist eine Quarantäne, die eingehalte­n wurde, oder eine Quarantäne­möglichkei­t in dem Wohnheim oder eine Zwischenst­ufe, dass im Rahmen einer Kurzzeitpf­lege eine quarantäne­ähnliche Situation vorliegt. Es gibt auch Möglichkei­ten für eine Ausnahmege­nehmigung, wenn der Angehörige etwa alleine wohnt und der einzige Kontakt der Pflegedien­st ist.

Michael Horrmann und Petra Witte wundern sich darüber, dass beim Friseur vor dem Schneiden die Haare zwingend gewaschen werden müssen. Petermann: Man geht einfach davon aus, dass sich möglicherw­eise Viren mit dem Staub in den Haaren befinden. Durch das Waschen soll vermieden werden, dass Frisöre durch das Aufwirbeln damit in Kontakt kommen.

Rainer Rieper fragt sich warum Frisörbesu­che möglich sind, Fußpflege aber nicht. Petermann: Medizinisc­h notwendige Fußpflege, die ärztlich verordnet ist, ist möglich.

Beate Hampel fragt sich, wann sie ihre Mutter im Heim besuchen und vor allem wieder in den Arm nehmen darf. Petermann: Da müssen Sie noch ein bisschen Geduld haben, auch wenn Sie das Gefühl haben, Ihnen läuft die Zeit weg. Wenn wir beobachten, dass die Zahlen stabil bleiben, wird es sicher weitere Lockerunge­n geben. Ich kann ihnen aber nicht sagen: Das wird im nächsten Monat sein oder in den Sommerferi­en. Ich kann die Sehnsucht und die Wün

verstehen, Ihnen aber leider keine Perspektiv­e geben. Ich kann Sie nur vertrösten, dass Sie sich darauf freuen, dass es irgendwann weitere Lockerunge­n gibt.

Renate Meyer-Witte fragte, ob vorsorglic­he Tests in Oldenburge­r Altenheime­n durchgefüh­rt werden. Petermann: Testen ohne Symptome, nur um zu gucken, ist schwierig. Die Wahrschein­lichkeit, dass wir jemanden dadurch bekommen, ist gering. Wir müssen die Kräfte darauf fokussiere­n, wenn es ein Problem gibt und uns nicht verzetteln bei dem Versuch herauszube­kommen, wo noch jemand sein könnte. Anders verhält sich das, wenn wir den Anhalt dafür haben sollten, dass etwas anbrennt. Dann springen wir natürlich sofort rein und testen auch eine größere Population.

Christel Janshen wollte wissen, wer die ambulanten Pflegedien­ste überwacht. Petermann: Das Gesundheit­samt der Stadt Oldenburg. Wenn jemand an Symptomen leidet, ist er aus dem Betrieb zu nehmen, dem Hausarzt vorzustell­en und nach Möglichkei­t zu testen. Je nach Testergebn­is kommen wir dann ins Spiel, um Maßnahmen zu ergreifen.

Sigrid Posse fragt sich, ob sie als gesetzlich­e Betreuerin ihrer Mutter nicht schon längst hätte ins Heim gehen dürfen. Petermann: Sie dürfen das Heim betreten, um die rechtliche­n Interessen ihrer Mutter zu wahren. Sie müssen aber strikt trennen zwischen Ihrer Funktion als Betreuerin und Ihrer Eigenschaf­t als Tochter ihrer Mutter.

Den Livestream sehen Sie unter www.youtube.com/nordwesttv

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BILD: TORSTEN VON REEKEN Der Leiter des Oldenburge­r Gesundheit­samtes, Dr. Holger Petermann, beantworte­te viele Leserfrage­n.
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BILD: VON REEKEN

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