Schulgeburtstag muss verlegt werden
Zentrum für Hörgeschädigte besteht 200 Jahre – Gegründet in Wildeshausen
Schon seit Herbst 2019 liefen die Vorbereitungen zum 200-jährigen Bestehen des Landesbildungszentrums für Hörgeschädigte. Nun ist die Feier allerdings erst einmal abgesagt.
OLDENBURG/WILDESHAUSEN – Es war eine der ersten Schulen für Menschen mit einer Behinderung in Deutschland – die „Taubstummenanstalt“genannte Schule für Gehörlose, die am 16. Mai 1820 in Wildeshausen gegründet wurde. 1982 (in Teilen, endgültig 1984) zog die Einrichtung aus Wildeshausen um nach Oldenburg an den Leigauweg, wo sie noch heute besteht und 150 Kinder aus dem Nordwesten unterrichtet. Zusätzlich werden 360 Schüler mit Hörbeeinträchtigungen an allgemeinbildenden Schulen betreut.
Eine erste Schule für Gehörlose überhaupt war 1770 in Frankreich gegründet worden, 1778 eine zweite in Leipzig. Die Schule in Wildeshausen wurde „Lehr- und Erziehungsinstitut für Taubstumme“genannt und nahm ihren Betrieb zunächst in dem Eckhaus an der Wester-/Düsternstraße mit zwei Schülern auf. Sie wird auch dem sozialen Engagement des Oldenburger Großherzogs Peter Friedrich Ludwig zugeschrieben. Er gab für die Gründung 6000 Taler Gold. Eine landesweite Kollekte ergab weitere 3000 Taler.
Aufsicht durch Kirche
Angeregt hatte die Gründung der Oldenburger Generalsuperintendent Anton Georg Hollmann (1756 bis 1831), einer der maßgeblichen (evangelischen) Theologen des Großherzogtums. Dazu muss man wissen, dass in jener Zeit die Kirche auch für die Schulen verantwortlich war.
Das Gebäude der sogenannten Taubstummenschule in Wildeshausen (ab 1824). Die „Taubstummenanstalt“wurde 1820 als „Lehr- und Erziehungsinstitut für Taubstumme“gegründet.
Lehrerin Hanne Boyn (links) mit Schülern in einem Klassenraum des LBZH (Aufnahme 2016)
Hollmann ließ einen Seminaristen (angehenden Volksschullehrer), Hermann Friedrich Heumann (1796 bis 1881), an die Taubstummenanstalt nach Schleswig abordnen, die dort acht Jahre zuvor gegründet worden war. 1820 wurde das Haus in der Wester/Düsternstraße angemietet, in das der Taubstummenlehrer Heumann einzog. Es bot Platz für zwölf Schüler, die dort auch lebten. Anfangs waren es ein Mädchen und ein Junge. Das Kostgeld mussten die Familien aufbringen, aus denen die Schüler (Zöglinge genannt) stammten. 1824 zog die Schule
in das alte Oldenburgische Posthaus an der Herrlichkeit (Straße in Wildeshausen). Wieder finanzierte der Großherzog den Umbau. Eine Schulpflicht für gehörlose Kinder gab es übrigens nicht, dafür ein Schulgeld, das ärmere Familien nicht aufbringen konnten.
Bis 1861/62 wurde die Taubstummenanstalt als Internat geführt – danach wurden die Schüler in Wildeshauser Familien untergebracht. 1879 wurden schon 46 Kinder unterrichtet – das hing freilich mit der Einführung der Schulpflicht für gehörlose Kinder
zusammen. Übrigens dauerte die Schulzeit in der Taubstummenanstalt in jener Zeit sechs Jahre, erst dem Lehrer Hermann-Friedrich Tietjen (1858 bis 1928) gelang es, die Schulzeit (wie an anderen Volksschulen) auf acht Jahre auszuweiten. 1895 wurde das alte Posthaus abgerissen und an der Stelle ein neues Gebäude in neoklassizistischem Stil errichtet. 1908 entstand die benachbarte Turnhalle.
Gehörlosenpädagogik
In der Zeit des Nationalsozialismus galten Menschen ohne Gehör als „minderwertig“, sie wurden auf Grundlage des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“sterilisiert, so auch Kinder aus Wildeshausen, wie der Oldenburger Historiker Ingo Harms herausgefunden hat. Zum 1. April 1938 wurde die Schule dem Landesfürsorgeverband übertragen und in „Gehörlosenschule
Wildeshausen“umbenannt.
Nach dem Kriegsende 1945 begann in Wildeshausen eine Zeit der moderneren Lehrmethoden. Hörtechnik trug dazu bei. Unter dem Direktor KarlGerd Kögel (1925 bis 1992) wurde die Schule dem neuen Stand der Gehörlosenpädagogik angepasst. Und ab 1970 gab es eine Früherziehungsabteilung mit Kindergarteninternat. Ab 1974 wurde in Oldenburg am neuen Gehörlosenzentrum, später Landesbildungszentrum für Hörgeschädigte, gebaut. 1982/84 geschah der Umzug.
Und das 200-jährige Bestehen? Eine große Feier war geplant mit Ministerin-Besuch und vielen Aktionen. Sie ist abgesagt und verschoben. Das Organisationsteam der 200-Jahr-Feier hofft, dass wenigstens im Juni entschieden werden kann, ob und wann im Jahr 2020 die 200-Jahr-Feier stattfinden kann.
1854 1876 1920 1970 1971 1974
Baubeginn der Pädoaudiologischen Beratungsstelle und des Kindergartens mit 20 Plätzen sowie Kindergarten-Internat.
1979
Baubeginn der Schulund Internatsbauten
1982
Teilumzug an den Lerigauweg in Oldenburg.
1984
endgültiger Umzug der Schüler nach Oldenburg.
Unterrichtet
werden in Oldenburg 150 Kinder aus dem Nordwesten, davon 50 aus Ostfriesland – vom Kindergartenalter bis zum 10. Schuljahr Realschule. Die Kinder und Jugendlichen leben im Internat oder sie werden gebracht. 360 Schüler an allgemeinbildenden Schulen werden von Mitarbeitern des Bildungszentrums mobil betreut. 100 Mitarbeiter – vom Pädagogen bis zum Gärtner – sind beschäftigt.