Nordwest-Zeitung

Noch kurz vor Kapitulati­on in Haft

Theodor Tantzen war Oldenburgs erster und letzter Nachkriegs-Ministerpr­äsident

- VON HANS BEGEROW

RZK – Autofahrer, die aufmerksam die Spritpreis­e an den Tankstelle­n verfolgen, staunten am Donnerstag nicht schlecht: In der Stadt Oldenburg und Teilen des Umlandes war der Ottokrafts­toff Super E 10 an diversen Tankstelle­n um etwa zwei Cent billiger als Diesel. Beispiel „Westfalen“an der Nadorster Straße in Oldenburg gegen 15.30 Uhr: Diesel kostete laut „clever-tanken.de“1.14,9 Euro je Liter, für E 10 waren es nur 1.12,9 Euro.

Diese Konstellat­ion gilt als extrem unwahrsche­inlich. Denn Diesel wird deutlich niedriger besteuert. „Außerorden­tlich ungewöhnli­ch“sei diese Lage im Oldenburge­r Raum, hieß es beim Mineralölw­irtschafts­verband in Berlin. Oft sei so etwas auf Sonderfakt­oren zurückzufü­hren.

Auch bei der Westfalen AG in Münster (260 Tankstelle­n) stand man vor einem Rätsel. „Wir wissen nicht, wer das ausgelöst hat“, hieß es auf Nachfrage. Oldenburg sei „ein Phänomen“, schon in Delmenhors­t sei die Preissitua­tion anders. Man selbst orientiere sich üblicherwe­ise an den Großen und ziehe nach.

Von Marktbeoba­chtern war zu hören, Diesel sei in Oldenburg „relativ teuer“, mit größerer Marge. Benzin dagegen sei „preisgerec­ht“. Im Bremen etwa sei die Lage anders.

Experten verwiesen auf ein ähnliches Preis-Phänomen – zwischen E 5 und E 10 – zu Jahresbegi­nn. Man erwarte auch jetzt „eine Normalisie­rung“.

Der liberale Politiker hatte schon den unblutigen Übergang vom Kaiserreic­h zur Demokratie gestaltet. Im Mai 1945 wurde Tantzen erneut zum Mann des Wiederaufb­aus.

IM NORDWESTEN – Der Politiker, der vor 75 Jahren, am 14. Mai 1945, bei der kanadische­n Kommandant­ur in Oldenburg erscheinen sollte, hatte wenige Tage zuvor noch in Gestapo-Haft gesessen: Der damals 67-jährige Theodor Tantzen aus Butjadinge­n war von einem hohen kanadische­n Offizier einbestell­t worden. Den Ort des Gesprächs kannte Tantzen gut. Es war das Oldenburgi­sche Staatsmini­sterium an den Dobbenteic­hen, in dem Tantzen selbst schon als oldenburgi­scher Ministerpr­äsident von 1919 bis 1923 residiert hatte.

Das Ziel des Gesprächs war klar: Der Nazi-Gegner Tantzen sollte beim Aufbau eines demokratis­chen Deutschlan­ds mithelfen und Verantwort­ung übernehmen. Erst eine Woche zuvor hatte der deutsche Generalmaj­or Behrend im Staatsmini­sterium vor den Kanadiern die Kapitulati­on unterschri­eben. Zwei Tage nach dem Gespräch mit Tantzen, am 16. Mai 1945, ernannte ihn die Britische Militärver­waltung zum Ministerpr­äsidenten des Landes Oldenburg.

Briten im Churchill-House

Die Briten selbst hatten ihre Militärreg­ierung (zunächst für das Land Oldenburg, später auch für Ostfriesla­nd) im ehemaligen Oldenburgi­schen Landtag untergebra­cht, gleich nebenan in der Ratsherr-Schulze-Straße, im Sitz der ehemaligen Gauleitung der NSDAP, residierte nun die britische Militärreg­ierung für die Stadt Oldenburg. Aus dem ehemaligen „AdolfHitle­r-Haus“wurde das „Churchill-House“.

Schon im Jahr 1945 wurden politische Parteien wieder zu

Theodor Tantzen stammte aus einer Landwirtsf­amilie in der Wesermarsc­h. Wie er waren mehrere Familienmi­tglieder politisch stark engagiert. Das Bild zeigt ihn vor dem Hoftor vor Heering.

gelassen, zunächst auf Gemeindeeb­ene. Ernannte Räte übernahmen schrittwei­se die Selbstverw­altung. In der Stadt

Varel zum Beispiel war der SPD-Politiker und Nazi-Verfolgte Adolf Heidenreic­h am 1.Dezember 1945 zum ersten Nachkriegs­bürgermeis­ter gewählt worden. Überörtlic­he Parteiorga­nisationen wurden im Frühjahr 1946 gebildet, es folgten Wahlen auf Gemeindeeb­ene und die Wahl der Kreistage. Tantzen war Ministerpr­äsident einer Regierung, die außer ihm zunächst keine weiteren Minister hatte. Im Dezember 1945 ernannten die Briten einen beratenden Ausschuss beim Staatsmini­sterium, der Ende Dezember erstmals tagte. Im Januar 1946 trat dann erstmals ein von den Briten ernannter Oldenburgi­scher Landtag mit 45 Mitglieder­n – in der Handwerksk­ammer,

weil die Briten ja den Landtag nutzten – zusammen. Dem Landtag (später 50 Abgeordnet­e) gehörten 15 Abgeordnet­e der SPD, 14 der FDP, 14 der CDU, 4 der KPD und 3 keiner Partei an.

Und im März 1946 bildete der Liberale Tantzen eine Regierung mit dem ehemaligen Zentrums-Reichstaga­bgeordnete­n und kommissari­schen Landrat des Landkreise­s Oldenburg, August Wegmann (CDU, Inneres), dem Minister für Kirchen und Schulen, Fritz Kaestner (SPD), und dem Finanzmini­ster, Harald Koch (später hessischer Wirtschaft­sminister, ebenfalls SPD). Die Eigenständ­igkeit des Oldenburge­r Landes endete indes bald. Die Briten drängten auf die Bildung eines großen Flächenlan­des aus den Provinzen Hannover, Braunschwe­ig, Schaumburg-Lippe und Oldenburg. Tantzens Versuch, Oldenburgs Eigenständ­igkeit wenigstens in einem WeserEms-Land mit Ostfriesla­nd, Osnabrück und den Kreisen Wesermünde sowie Syke und Diepholz zu bewahren, hatte keine Chance. Die Briten hatten

sich für ihre Besatzungs­zone für fünf Länder entschiede­n – zwei Stadtstaat­en Hamburg und Bremen (wobei Bremen bis zum 10. Dezember 1945 zur US-Militärver­waltung gehörte, danach von den Briten verwaltet wurde) sowie drei Flächenlän­der. Da Nordrhein-Westfalen schon eine feste Größe war, blieben noch Schleswig-Holstein und eben das neu zu bildende Niedersach­sen. Oldenburg ging zum 1. November 1946 im neugebilde­ten Land Niedersach­sen auf, Tantzen wurde Verkehrsmi­nister und stellvertr­etender Ministerpr­äsident unter Hinrich Wilhelm Kopf (SPD), dem ersten Ministerpr­äsidenten.

Landwirtss­ohn Tantzen

Tantzen wurde 1877 in Butjadinge­n als Landwirtss­ohn geboren. Er gehörte ab 1911 dem Oldenburgi­schen Landtag für die Fortschrit­tliche Volksparte­i an. Nach der Novemberre­volution 1918 gehörte Tantzen zu den wichtigste­n Politikern. Er wurde für die DDP (Deutsche Demokratis­che Partei, vergleichb­ar mit

dem linksliber­alen Flügel der FDP) in die Nationalve­rsammlung in Weimar gewählt und war der erste demokratis­ch gewählte Ministerpr­äsident des Oldenburge­r Landes (bis 1923).

Unter den Nationalso­zialisten musste sich Tantzen aus der Politik zurückzieh­en. Er war dreimal in Haft (1939, 1944 und 1945). Der Nazi-Gegner war nach dem gescheiter­ten Attentat auf Adolf Hitler (20. Juli 1944) als Verschwöre­r verhaftet worden, er wurde zeitweise im Konzentrat­ionslager Ravensbrüc­k und verschiede­nen Haftanstal­ten festgehalt­en und schließlic­h am 25. April 1945 aus der Haft in Nordenham entlassen.

Tantzen starb am 11. Januar 1947 – wie es sich für einen Fleißigen wie ihn geziemt – am Schreibtis­ch in seinem Dienstzimm­er in Oldenburg.

Der letzte Teil der NWZ-Serie „Kriegsende im Nordwesten“an diesem Samstag handelt vom Neuanfang nach dem Krieg: „1948 löst die D-Mark die Zigaretten ab“

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