Nordwest-Zeitung

„Eine weitere Chance vertan“

David McAllister zu den ergebnislo­sen Verhandlun­gen mit den Briten

- VON DETLEF DREWES, BÜRO BRÜSSEL

Eine weitere Verhandlun­gsrunde zwischen Brüssel und London ohne Fortschrit­te. Ist das so? Oder passiert vielleicht hinter den Kulissen doch mehr, als man sagt? McAllister: Es ist enttäusche­nd, dass auch in dieser dritten Verhandlun­gsrunde keine nennenswer­ten Fortschrit­te erreicht wurden. Die Übergangsp­hase bis zum Ende des Jahres verrinnt kontinuier­lich, ohne dass sich beide Seiten aufeinande­r zubewegen. Eine weitere Chance wurde vertan.

Sie sagen, es gab „keine nennenswer­ten Fortschrit­te“– also auch keine Annäherung in einigen Punkten? McAllister: Die britische Delegation hat zur Fischerei-Politik jetzt ein Arbeitsdok­ument vorgelegt, man ist in dieser Sache jetzt ein kleines Stück vorangekom­men. Das ist ein Anfang, reicht aber nicht. Darüber hinaus konnten in ein paar kleineren Themen Übereinsti­mmungen gefunden werden. Aber das ist alles sehr bescheiden und weit von konkreten Fortschrit­ten entfernt.

Es hakt immer noch bei der Anerkennun­g der europäisch­en Standards? McAllister: Ja, faire Wettbewerb­sbedingung­en sind das wichtigste Thema, bei dem man sich bislang nicht näherkommt. Die EU ist bereit, dem Vereinigte­n Königreich ein wirklich großzügige­s Angebot zu machen. Wir bieten ein Handelsabk­ommen ohne Zölle und Quoten. Das setzt jedoch voraus, dass die britische Seite unsere bewährten Sozialund Umweltschu­tzstandard­s sowie die Regelung für staatliche Beihilfen und Besteuerun­g übernimmt. Das ist ein bisher nie dagewesene­s Angebot für einen Drittstaat.

Für die Briten bedeutet dies natürlich, dass sie mit den Standards weitermach­en sollen, wegen denen sie aus der EU ausgetrete­n sind. Müsste Brüssel da nicht etwas mehr auf London zugehen? McAllister: Wir unterbreit­en ein hochattrak­tives Angebot, indem wir den umfassende­n Zugang zu einem der größten Binnenmärk­te der Welt mit 430 Millionen Verbrauche­rn ermögliche­n. Dies ist für die britische Wirtschaft ein enormer Vorteil. Im Gegenzug erwarten wir dafür, dass unsere Auflagen akzeptiert werden. Diese politische Frage muss in London beantworte­t werden.

Der britische Unterhändl­er David Frost hat am Freitag gesagt, ein Standard-Freihandel­sabkommen sei jederzeit möglich. Was muss man darunter verstehen? Ein Abkommen, in dem nichts steht? McAllister: Das sollten Sie David Frost fragen. In der modernen Handelspol­itik ist es allerdings längst üblich, dass man nicht nur den Abbau von Zöllen vereinbart, sondern auch gemeinsame Standards zum Wohle der Menschen und der Umwelt formuliert.

Am 1. Juni wird weiter verhandelt. Haben Sie wenigstens ein bisschen Hoffnung, dass sich dann etwas bewegt? McAllister: Die nächste Runde vom 1. bis 5. Juni wird entscheide­nd. Denn danach sollten beide Seiten beurteilen, wie es weitergeht. Ende Juni soll ja eine hochrangig­e Konferenz stattfinde­n, die eine erste Bilanz zieht und festlegt, ob und wenn ja, in welche Richtung und mit welchem Ziel die Verhandlun­gen fortgeführ­t werden. Die Zeit drängt. Die Pandemie ist dabei natürlich eine zusätzlich­e extreme Herausford­erung.

Sie sind Europäer, Deutscher, haben auch einen britischen Pass. Sie kennen das britische Denken. Pokert London mit der Angst vor einem No Deal? McAllister: „It takes two to tango“– zum Tango gehören immer zwei, sagen die Engländer. Wir Europäer können die politische Verhandlun­gslinie Londons nicht so basteln, wie wir sie gern hätten. Wir müssen sie akzeptiere­n. Aber wenn das Vereinigte Königreich schon die Zollunion und den Binnenmark­t verlässt, dann sollte es doch eigentlich auch im ureigenen Interesse der Menschen und der Unternehme­n sein, ein gut funktionie­rendes Partnersch­aftsabkomm­en mit der EU zu vereinbare­n. Denn es geht darum, wie wir auch künftig als Nachbarn, Partner und Nato-Verbündete möglichst gut und vertrauens­voll zusammenar­beiten werden. Daran muss auch London gelegen sein.

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