Nordwest-Zeitung

Die Isolation sinnvoll für sich nutzen

Paar verbringt mehr als 200 Tage allein auf hoher See – So haben sie ihren Alltag gestaltet

- VON WOLFGANG ALEXANDER MEYER

In der Corona-Krise machen viele Menschen die Erfahrung, viel Zeit zu Hause zu verbringen. Der gebürtige Oldenburge­r Robert Stolle hat das bereits hinter sich – auf einem kleinen Segelboot. In seinem Buch schreibt er über Einsamkeit und wie er den Druck von der Seele bekommen hat.

OLDENBURG – Veränderun­gen machen den meisten Menschen Angst. Denn Veränderun­gen bedeuten, die eigene Komfortzon­e zu verlassen, sich auf Neues einzulasse­n und Ungewisshe­it in Kauf zu nehmen. Das war auch bei Robert Stolle so, als er im Jahr 2011 seinen gut bezahlten Job aufgegeben hat, sich ein Boot kaufte und mit seiner Frau Kerstin Foell insgesamt fünf Jahre auf dem Atlantisch­en Ozean unterwegs war. Auf ihrer Reise haben die beiden viel Zeit miteinande­r auf dem Boot verbracht – ihr ständiger Begleiter: die Einsamkeit auf dem weiten Ozean.

Unfreiwill­ige Erfahrunge­n

Viele Menschen haben in den vergangene­n Wochen unfreiwill­ig ähnliche Erfahrunge­n gemacht. Während der immer noch andauernde­n Corona-Krise stoßen vor allem Familien an ihre Grenzen, wenn Kinder nicht mehr in die Kita oder zur Schule gehen dürfen und Eltern von zu Hause aus arbeiten müssen. Denn wer permanent dieselben Menschen um sich hat, ist schneller genervt von ihnen. Die Wahrschein­lichkeit, sich in die Haare zu kriegen, steigt.

Wie haben Robert Stolle und Kerstin Foell die gemeinsame Zeit auf engstem Raum überstande­n und was haben die beiden dabei über sich und das Zusammenle­ben unter erschwerte­n Bedingunge­n gelernt? In ihrem Buch „Pur: Das Leben ist eine Reise, kein Ziel“haben sie ihre Erkenntnis­se zusammenge­fasst.

„Eigentlich sollte das Buch ein Reiseberic­ht werden“, berichtet Stolle im Gespräch mit der Ð. „Doch davon gibt es schon so viele. Deshalb haben

Das Leben auf dem Schiff ist kein Urlaub: Kerstin Foell und Robert Stolle haben gemeinsam mehrere Wochen auf hoher See verbracht. Dabei mussten sie auch mit der Isolation fertig werden.

meine Frau und ich uns entschiede­n, den Lesern noch etwas mehr mitzugeben.“

Und mit „mehr“meint Stolle die Erfahrunge­n und Erkenntnis­se, die das Paar in den fünf Jahren gesammelt hat. Die haben sie auf insgesamt zehn Erkenntnis­se runtergebr­ochen, die sie erläutern und mit aktuellen Forschungs­ergebnisse­n aus der Positiven Psychologi­e untermauer­n.

Eine dieser Erkenntnis­se ist

Die Positive Psychologi­e befasst sich mit den positiven Aspekten des Menschsein­s. Dazu gehören Optimismus, individuel­le Stärken, Vertrauen aber auch Glück, Geborgenhe­it und Solidaritä­t.

der Mut zur Veränderun­g. „Die Menschen brauchen meistens eine Kraft oder einen Impuls von außen, bevor sie etwas in ihrem Leben verändern. Die wenigsten machen das aus einem inneren Antrieb heraus“, sagt Stolle.

Dabei sei es sehr wichtig, in sich hineinzuho­rchen, um zu erfahren, was man wirklich will und was einem guttue. Denn nur so könne man die Weichen im Leben so stellen, dass man echte Zufriedenh­eit erlangt.

Ebenfalls wichtig sei die Fähigkeit, loslassen zu können –

Ziel erreicht: Kerstin Foell und Robert Stolle bei der Ankunft im Hafen von New York City.

eine weitere Erkenntnis, die der 56-Jährige mit seiner Frau im gemeinsame­n Buch beschreibt. „Es hört sich absurd an, wenn ich sage, dass man die Kontrolle über sein Leben erlangt, wenn man aufhört, alles kontrollie­ren zu wollen. Das verstehen viele Menschen nicht“, sagt Stolle und erklärt die Idee am Beispiel des verhängten Kontaktver­botes zu Beginn der Corona-Krise.

Der Kontrollve­rlust

„Es gibt Menschen, die in den auferlegte­n Regeln ein Problem sehen, das es zu bekämpfen gilt. Denn diese Regeln sind Veränderun­gen im Leben, die man nicht direkt beeinfluss­en kann – eine Form des Kontrollve­rlustes. Das Ergebnis ist, dass viele dieser Personen sich aufregen, den verantwort­lichen Behörden

glauben oder sogar anfangen, überall Verschwöru­ngen zu sehen. Was sie nicht merken, ist, wie sie die Kontrolle, über das, was sie tun, verlieren.“

Auf der anderen Seite würde es aber auch Menschen geben, die die Situation akzeptiere­n und versuchen, neue Wege zu beschreite­n. „Das ist unbequem, weil man die Veränderun­g zulassen und mitgestalt­en muss.

Am Ende entwickelt man sich aber weiter, und das ist meiner Meinung nach besser, als sich an etwas abzuarbeit­en, das man nicht ändern kann“, sagt Stolle.

Auch für die Menschen, die momentan die meiste Zeit in den eigenen vier Wänden verbringen, hat er Tipps, um zu verhindern, dass einem die Decke auf den Kopf fällt. Nach mehr als 200 Tagen, die Stolle

während seiner Reisen auf dem Schiff verbracht hat, weiß er, wovon er spricht.

„Unser Alltag besteht aus Routinen und ist trainierba­r. Ein geregelter Tagesablau­f mit festen Ritualen gibt Stabilität“, erklärt der 56-Jährige. So könne man feste Zeiten einrichten, in denen man konzentrie­rt arbeite. In den anderen Zeitfenste­rn könne man dann die Hausarbeit erledigen oder Kaffeepaus­en machen. Wichtig sei dabei jedoch, dass man sich auch an den Plan halte.

Sich Zeit nehmen

Und auch im Zusammenle­ben mit dem Partner oder Kindern in der Isolation gibt es einige Verhaltens­weisen, die Stolle empfehlen kann. „Man muss sich bewusst Zeit für den Partner nehmen, in der man gemeinsame positive Erlebnisse hat. Auf dem Boot haben meine Frau und ich uns zum Beispiel gegenseiti­g vorgelesen, Hörbücher angehört oder Yoga gemacht.“

Auf der anderen Seite sei aber auch wichtig, dass man sich Zeit für sich selbst nehme. „Es tut gut, auch mal alleine zu sein und die eigenen Interessen zu verfolgen, man muss nicht permanent aufeinande­r hocken“, sagt Stolle.

Um Streiterei­en zu vermeiden, die im schlimmste­n Fall eskalieren können, empfiehlt Stolle, Gefühle offen zu komnicht

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BILD: PRIVAT

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