Als die Hamburger aus der Elbe tranken
Cholera-Epidemie brachte Firmengründer Joseph Vosgerau nach Oldenburg
1893 übernahm Vosgerau eine Schmiede am Damm. Geschäftstüchtig erkannte er die Möglichkeiten in Oldenburg.
OSTERNBURG – Pandemien und Epidemien sind seit jeher eine Geißel der Menschheit. Waren es früher Pest und Cholera, die unter der Bevölkerung wüteten, ist es heute das Corona-Virus, das Angst und Schrecken verbreitet.
Es klingt makaber, aber die Cholera in Hamburg im Jahr 1892 war für Oldenburg ein Glücksfall. Fast zehntausend Menschen ließen damals in der Hansestadt ihr Leben, weiß Hobby-Forscher Heinz Frerichs. Der Bakteriologe Robert Koch, nach dem das Robert Koch-Institut benannt ist, äußerte sich bei einem Besuch Hamburgs entsetzt über die hygienischen Verhältnisse. Mittendrin in diesem lebensgefährlichen Umfeld arbeitete ein 27-jähriger Schmied und Wagenbauer. Sein Leben hing am seidenen Faden – sein Name Joseph Vosgerau, Gründer des bekannten Zweirad-Fachgeschäftes am Damm.
Abschiedsbrief verfasst
Der junge Mann schrieb, so Frerichs, im August 1892 an seine in Schleswig-Holstein lebenden Eltern einen Abschiedsbrief – mit folgendem Wortlaut: „Theure Eltern! In Anbetracht der Cholera-Gefahr, in der wir hier leben, halte ich es für angebracht, Euch mein letztes Lebe Wohl zuzurufen im Falle dass die tückische Krankheit mich dahinraffen sollte. Wenn Ihr diesen Brief jemals empfangen solltet, so übersendet meiner Braut und allen meinen Geschwistern mein letztes Lebe Wohl! Sollte ich einem von Euch Wehe gethan haben, so vergebt es mir in der letzten Stunde. Ade!“
Auf Wanderschaft
Rührende Worte – doch Vosgerau überlebte und machte sich auf den Weg nach Oldenburg. Die Stadt hatte er Jahre zuvor auf seiner Wanderschaft kennengelernt, als er bei Schmiedemeister Heinrich Diekmann in der Kurwickstraße 8/9 arbeitete. Frerichs: „1893 bot sich dann die Gelegenheit, die Schmiede von Johann
Anzeige: Joseph Vosgerau bat freundlich um Unterstützung für sein Geschäft.
Schmachtel am Damm 33 zu übernehmen. Vosgerau griff sofort zu, denn die Residenzstadt war für einen Wagenbauer und Hufschmied ein interessanter Flecken. Der Pferdehandel stand hoch im Kurs. Hier war das DragonerRegiment 19 stationiert, und es gab seit 1880 eine Hufbeschlagschule. Die Geschäftslage am Damm, der Ausfallstraße nach Bremen und Cloppenburg, bot beste Geschäftschancen. Die Eröffnung seines Geschäfts gab Joseph Vosgerau in den Nachrichten für Stadt und Land am 15. November 1893 bekannt.
Im selben Jahr heiratete er seine Verlobte Henriette Meyerholz aus Varel in der Osternburger Kirche. In der Familie wuchsen acht Kinder heran. Aus der Schmiede entwickelte sich ein heute stadtbekanntes Zweiradgeschäft, das sich seit 1919 am Damm 25 befindet und 2018 125 Jahre alt wurde.
Vosgerau warb in einer Anzeige mit seiner 14-jährigen Berufserfahrung. Die Kunden bat er, sein „junges Unternehmen unterstützen zu wollen“.
Ohne die in Hamburg wütende Cholera hätte es Vosgerau wohl nicht in die Provinz nach Oldenburg verschlagen.
Firmengründer: Joseph Vosgerau
Bernhard Sprengel schrieb zur Cholera in einem am 7. April des Jahres veröffentlichten Beitrag in der Ð. Im heißen Sommer von 1892 erkrankten in der Hansestadt 16 900 Menschen an der Cholera, mehr als 8600 starben. Die Menschen reagierten panisch. Tausende stürmten die Bahnhöfe, um aus der Stadt zu flüchten. Andere strömten in die Kirchen oder tranken reichlich Alkohol, wie der britische Historiker Richard J. Evans in seinem Buch „Tod in Hamburg“schreibt. Menschen hätten versucht, sich mit volkstümlichen Hausmitteln wie „Choleratropfen“
selbst zu helfen und die Apotheken belagert. „So groß war die Nachfrage nach Desinfektionsmitteln, dass deren Preise ungeahnte Höhen erklommen, und skrupellose Hausierer begannen, auf den Straßen schwindlerische Nachahmungen zu vertreiben“, berichtet Evans weiter.
Rasantes Wachstum
Es fehlte in der rasant wachsenden Stadt an sauberem Trinkwasser. Aus den Leitungen kam schlecht geklärtes, ungefiltertes Wasser aus der Elbe, in dem sich im Sommer die Bakterien gut vermehren können. Das erste Wasserwerk auf der Elbinsel Kaltehofe war im Bau, aber noch nicht fertig. Die preußische Nachbarstadt Altona reinigte ihr Trinkwasser bereits mit Sandfiltern.
Bis November des Jahres wütet die Cholera und die Menschen starben daran. Nach der Epidemie stellte Hamburg in großer Eile sein erstes modernes Wasserwerk fertig, das im folgenden Frühjahr in Betrieb ging. Aus heutiger Sicht unvorstellbare Verhältnisse.
Dass die Menschheit auch heute vor Pandemien nicht gefeit ist, zeigt das Corona-Virus. Auch dagegen hilft vorerst nur äußerste Hygiene – und Distanz.