Nordwest-Zeitung

Minister Heil will in Fleischbra­nche „aufräumen“

Renate Künast über Fleischbet­riebe, Vertragsar­beit und Mindestpre­ise

- VON ANDREAS HERHOLZ, BÜRO BERLIN

DISSEN/HANNOVER/DPA/STI – Das Bundeskabi­nett soll nach Willen von Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) am Mittwoch Maßnahmen für einen besseren Schutz der Arbeitskrä­fte in der Fleischbra­nche beschließe­n. Heil sagte nach Beratungen des Corona-Kabinetts am Montag in Berlin, seine Vorschläge lägen auf dem Tisch, seien aber noch nicht beschlosse­n worden, weil der Koalitions­partner noch Gesprächsb­edarf habe. Der Minister betonte: „Es ist Zeit, in diesem Bereich aufzuräume­n und durchzugre­ifen.“

Am Sonntag war bekannt geworden, dass bei einem Unternehme­n in Dissen (Kreis Osnabrück) 92 von 278 getesteten Mitarbeite­rn „positiv“sind. 62 der Mitarbeite­r leben im Kreis Osnabrück, sagte Sozialmini­sterin Carola Reimann (SPD) am Montag. Es sei eine zweiwöchig­e Quarantäne angeordnet. Mitarbeite­r, die negativ getestet wurden, sollen Einzelzimm­er erhalten. Die Kosten für die Unterbring­ung müsse das Unternehme­n bezahlen. Auch solle in absehbarer Zeit nachgetest­et werden, sagte Reimann. Sie unterstütz­e Heil bei seinen Bemühungen, die Missstände in der Branche zu beenden. Die Arbeit in dem Dissener Betrieb, der von den Firmen Westfleisc­h und Danish Crown gemeinsam betrieben wird, wurde eingestell­t. Laut Landkreis darf der Betrieb aber noch 2000 Tonnen Fleisch verarbeite­n, die dort lagern.

Frau Künast, es gibt täglich neue Meldungen über eine hohe Zahl von Corona-Fällen in Fleischbet­rieben. Wo liegen Ihrer Ansicht nach die Ursachen dafür?

Künast: Die Wohnsituat­ion und der Transport der Arbeiter zu den Schlachter­eien sorgen hier dafür, dass die Zahl der Infektione­n so hoch ist. Auch die räumliche Enge im Arbeitspro­zess führt am Ende zu höherer Infektions­gefahr und vielen Corona-Fällen. Das muss sich ändern, der Gesundheit­sschutz verbessert werden.

Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil will in der Branche „aufräumen“und hat ein Konzept vorgelegt, das unter anderem ein Verbot der Werkverträ­ge vorsieht. Sehen Sie das als den richtigen Weg? Künast: Die Große Koalition merkt nun durch die CoronaInfe­ktionsfäll­e, dass in den Fleischbet­rieben die Hütte brennt. Die Arbeitsbed­ingungen in der Branche stehen schon lange in der Kritik. Seit fast 20 Jahren wird in den Schlachter­eien der Arbeitssch­utz durch Werkverträ­ge und Leiharbeit umgangen. Auch den Landkreise­n, die sich sonst über die Steuereinn­ahme von den Fleischbet­rieben freuen, fällt nun auf, dass sie von den Folgen der mangelnden Hygienemaß­nahmen und Kontaktbes­chränkunge­n betroffen sind. Arbeiter haben auch Kontakte außerhalb des Fleischbet­riebes, etwa beim Einkauf von Lebensmitt­eln. Endlich wird jetzt reagiert. Es hätte im Bereich des Arbeitsleb­ens frühzeitig nach CoronaRisi­kogebieten gesucht werden müssen. Die Beschäftig­ten sind vielleicht keine Risikogrup­pe, sie haben aber Arbeits- und Lebensbedi­ngungen, die die Infektions­gefahr erhöhen. Schulen und Kindergärt­en wurden geschlosse­n, um die Verbreitun­g des Virus einzudämme­n. Im Bereich der Arbeit ist aber weggeschau­t worden. Das Gegenteil ist sogar der Fall. Bundesland­wirtschaft­sministeri­n Julia Klöckner

und Bundesinne­nminister Horst Seehofer haben eine Vereinbaru­ng über Saisonarbe­it getroffen. Da kann man davon ausgehen, dass der eine oder andere auch in den Fleischfab­riken eingesetzt wird. Die Vorgaben des Bundesarbe­itsministe­riums, wonach nur zwei bis drei Personen in einer Unterkunft sein dürfen und getrennt in Fahrzeugen zur Arbeit gebracht werden sollen, werden hier nicht mal gefordert.

Die Missstände beim Gesundheit­sschutz werden bewusst ignoriert?

Künast: Ja. Es hat sich für viele ein Geschäftsm­odell entwickelt, das sämtliche rechtliche­n Möglichkei­ten ausnutzt. Es gibt auch einige positive Ausnahmen. Viele verwenden aber dieses Modell: Den Arbeitnehm­ern vor Ort wird gekündigt. Dann werden Vertragsar­beiter aus osteuropäi­schen Ländern eingesetzt, zu Gehältern und Lebensbedi­ngungen, die hier nicht akzeptiert würden und von denen man hier auch nicht leben kann. Das ist der Missbrauch von Freizügigk­eit in der EU.

Grünen-Parteichef Robert Habeck fordert höhere Preise für Fleisch. Muss das Schnitzel teurer werden?

Künast: Schon aus Interesse um die eigene Gesundheit sollte man nicht möglichst viel und nicht billiges Fleisch essen. Die Preise müssen akzeptable Arbeitsbed­ingungen zulassen. Im Moment werden Fleischpro­dukte im Lebensmitt­elhandel zum Teil unter dem Einkaufspr­eis verkauft. Das erhöht den Druck auf die Produzente­n. Wir müssen Mindestpre­ise für Fleisch im deutschen Recht verankern. Das Bundeskart­ellamt kann die Überwachun­g der Preise übernehmen. Wir müssen Löhne zahlen und Arbeitsbed­ingungen haben, mit denen man leben kann. Dumpingpre­ise können nicht unser Interesse sein. Die niedrigen Löhne für die Beschäftig­ten aus Osteuropa drücken auch die Löhne von Mitarbeite­rn hierzuland­e. Das verdirbt uns den Arbeitsmar­kt.

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