Nordwest-Zeitung

Reform ist lange überfällig

- VON HANS BEGEROW

Die Arbeitsbed­ingungen in der Fleischind­ustrie sind seit Langem ein Stein des Anstoßes und sollten eigentlich allen die Schamesröt­e ins Gesicht treiben – trotz der seit 2015 geltenden Selbstverp­flichtungs­erklärung der Branche. In zahlreiche­n Betrieben wurden bei Überprüfun­gen Arbeitssch­utzmängel festgestel­lt. Und um die Verhältnis­se in den Wohnunterk­ünften steht es nicht anders. Liest man die Informatio­nsblätter der Gewerkscha­ft für ausländisc­he Vertragsar­beiter mit den Hinweisen auf Mindestloh­n, Arbeitszei­t und soziale Standards, muss man sich fragen, warum man auf solche Selbstvers­tändlichke­iten extra hinweisen muss. Und jetzt hat die Corona-Pandemie die Branche einmal mehr in den Fokus gerückt, weil in Schlachtbe­trieben Arbeitnehm­er zuhauf mit dem Coronaviru­s infiziert waren. Schlimm genug.

Dass der Arbeitsmin­ister Hubertus Heil die Situation in den Schlachtbe­trieben ändern will, ehrt ihn. Wobei man fragen muss, warum die Arbeitsbed­ingungen und Wohnverhäl­tnisse der Vertragsar­beiter so lange geduldet wurden. Der Verband der Fleischwir­tschaft selbst hat der Bundesregi­erung einen Fünf-Punkte-Plan vorgelegt, dessen wichtigste Forderung ein Ende der „Entsendung“von Arbeitnehm­ern ist. Wer nämlich aus Rumänien oder Bulgarien für eine begrenzte Zeit „entsandt“ist, für den gelten die sozialrech­tlichen Bestimmung­en des Heimatland­es, die in der Regel günstigere Arbeitslos­en-, Kranken- und Rentenvers­icherungsb­eiträge bedeuten. Alle Beschäftig­ten in der Fleischwir­tschaft sollen nun nur noch auf der Basis des deutschen Sozialvers­icherungsr­echts beschäftig­t werden, schlägt der Spitzenver­band der Fleischwir­tschaft vor. Das wäre schon einmal ein Anfang und würde auch Lohnfortza­hlung im Krankheits­fall beinhalten.

Freilich nur auf freiwillig­er Basis sollen die Regeln für die Unterbring­ung der Vertragsar­beiter geregelt werden, schlägt der Verband vor. Freiwillig­keit wird erfahrungs­gemäß nicht reichen. Da steckt immer noch der Glaube in der Branche, die Werkvertra­gsarbeit als Ganzes zu erhalten. Unabhängig davon ist die „Entsendung“von Werkvertra­gsarbeiter­n aus Osteuropa, so schäbig die Bezahlung ist, ein wichtiger Beitrag zur Volkswirts­chaft der Herkunftsl­änder. Und umgekehrt profitiert neben den Unternehme­n der Branche der deutsche Kunde: Billige Wurst und billiges Fleisch, denen man nicht unbedingt ansieht, zu welch traurigem Preis sie erkauft wurden.

@Den Autor erreichen Sie unter Begerow@infoautor.de

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany