Reform ist lange überfällig
Die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie sind seit Langem ein Stein des Anstoßes und sollten eigentlich allen die Schamesröte ins Gesicht treiben – trotz der seit 2015 geltenden Selbstverpflichtungserklärung der Branche. In zahlreichen Betrieben wurden bei Überprüfungen Arbeitsschutzmängel festgestellt. Und um die Verhältnisse in den Wohnunterkünften steht es nicht anders. Liest man die Informationsblätter der Gewerkschaft für ausländische Vertragsarbeiter mit den Hinweisen auf Mindestlohn, Arbeitszeit und soziale Standards, muss man sich fragen, warum man auf solche Selbstverständlichkeiten extra hinweisen muss. Und jetzt hat die Corona-Pandemie die Branche einmal mehr in den Fokus gerückt, weil in Schlachtbetrieben Arbeitnehmer zuhauf mit dem Coronavirus infiziert waren. Schlimm genug.
Dass der Arbeitsminister Hubertus Heil die Situation in den Schlachtbetrieben ändern will, ehrt ihn. Wobei man fragen muss, warum die Arbeitsbedingungen und Wohnverhältnisse der Vertragsarbeiter so lange geduldet wurden. Der Verband der Fleischwirtschaft selbst hat der Bundesregierung einen Fünf-Punkte-Plan vorgelegt, dessen wichtigste Forderung ein Ende der „Entsendung“von Arbeitnehmern ist. Wer nämlich aus Rumänien oder Bulgarien für eine begrenzte Zeit „entsandt“ist, für den gelten die sozialrechtlichen Bestimmungen des Heimatlandes, die in der Regel günstigere Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge bedeuten. Alle Beschäftigten in der Fleischwirtschaft sollen nun nur noch auf der Basis des deutschen Sozialversicherungsrechts beschäftigt werden, schlägt der Spitzenverband der Fleischwirtschaft vor. Das wäre schon einmal ein Anfang und würde auch Lohnfortzahlung im Krankheitsfall beinhalten.
Freilich nur auf freiwilliger Basis sollen die Regeln für die Unterbringung der Vertragsarbeiter geregelt werden, schlägt der Verband vor. Freiwilligkeit wird erfahrungsgemäß nicht reichen. Da steckt immer noch der Glaube in der Branche, die Werkvertragsarbeit als Ganzes zu erhalten. Unabhängig davon ist die „Entsendung“von Werkvertragsarbeitern aus Osteuropa, so schäbig die Bezahlung ist, ein wichtiger Beitrag zur Volkswirtschaft der Herkunftsländer. Und umgekehrt profitiert neben den Unternehmen der Branche der deutsche Kunde: Billige Wurst und billiges Fleisch, denen man nicht unbedingt ansieht, zu welch traurigem Preis sie erkauft wurden.
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