Nordwest-Zeitung

Gute Gründe für Entschädig­ungsansprü­che

Zwangsschl­ießungen im Rahmen der Covid-19-Pandemie

- VON DR. ULF KÜNNEMANN

Wir alle sind von der Corona-Pandemie betroffen – die einen mehr, die anderen weniger. Besonders schlimm ist die wirtschaft­liche Situation für Unternehme­r, die ihren Betrieb aufgrund behördlich­er Anordnunge­n schließen mussten.

Betroffene Unternehme­r haben zwar neben einer überschaub­aren Soforthilf­e und der Inanspruch­nahme von Kurzarbeit­ergeld noch die Möglichkei­t der Aufnahme von Liquidität­shilfe-Darlehen. Im Übrigen werden sie derzeit auf „Hilfspaket­e“vertröstet.

Ansprüche nach dem Infektions­schutzgese­tz

Unmittelba­re Ansprüche aus dem Infektions­schutzgese­tz (IfSG) ergeben sich für diese Unternehme­n nicht. § 56 IfSG sieht Ansprüche für Personen vor, die selbst erkrankt oder ansteckung­sverdächti­g sind und daher aufgrund behördlich­er Anordnung in Quarantäne müssen. § 65 IfSG betrifft behördlich­e Maßnahmen gemäß §§ 16 und 17 IfSG (Vernichtun­g von Gegenständ­en und

Ansprüche unter dem Gesichtspu­nkt des Staatshaft­ungsrechts (Art. 34 GG, § 839 BGB) scheiden aus, da die staatliche­n Maßnahmen auf Basis des § 28 Abs. 1 (teilweise in Verbindung mit § 32) IfSG sich im zulässigen Rahmen des Beurteilun­gsspielrau­ms der Behörden bewegen. Immerhin ist festzustel­len, dass jedenfalls diejenigen Personen einen Anspruch haben, von denen unmittelba­r eine Gefahr ausgeht.

Gesundheit­sschädling­en).

Ansprüche nach dem allgemeine­n Polizei- und Ordnungsre­cht

Bislang übersehen wird, dass es durchaus weitergehe­nde Entschädig­ungsansprü­che im allgemeine­n Polizei- und Ordnungsre­cht gibt (zu denen auch das Infektions­schutzgese­tz gehört). Im Niedersäch­sischen Polizei- und Ordnungsbe­hördengese­tz (NPOG) ist ein Entschädig­ungsanspru­ch für Personen geregelt, die aufgrund einer rechtmäßig­en Inanspruch­nahme durch die Behörden einen Schaden erlitten haben (§ 80 Abs. 1 NPOG). Hierzu zählen Betriebe, die in den entspreche­nden Allgemeinv­erfügungen und Verordnung­en zur Zwangsschl­ießung ausdrückli­ch genannt werden, wie zum Beispiel Gastronomi­ebetriebe, Einzelhand­el, Friseure und Fitnessstu­dios.

Dr. Ulf Künnemann

Rechtsanwa­lt und Steuerbera­ter, Fachanwalt für Erbrecht, Steuerrech­t sowie Handels- und Gesellscha­ftsrecht

Das NPOG ist ergänzend anzuwenden, soweit die Vorschrift­en des besonderen Gefahrenab­wehrrechts keine abschließe­nden Regelungen enthalten. In diesem Sinne lässt sich die Gesetzesbe­gründung zum Bundesseuc­hengesetz, dem Vorgänger zum Infektions­schutzgese­tz, heranziehe­n.

Auch „nicht verantwort­liche“Personen müssen (erst recht) einen Anspruch haben

§ 80 Abs. 1 NPOG enthält einen Entschädig­ungsanspru­ch sogenannte­r „nicht verantwort­licher Personen“im Sinne des § 8 NPOG. Zu diesen zählen alle Personen, die aufgrund einer gegenwärti­gen erhebliche­n Gefahr in Anspruch genommen werden, ohne diese Gefahr selbst verursacht zu haben. Der Anspruch besteht, wenn Maßnahmen gegen die eigentlich­en „Gefahrenqu­ellen“(die tatsächlic­h erkrankten und die ansteckung­sverdächti­gen Personen) nicht möglich oder nicht Erfolg verspreche­nd sind und die Behörden die Gefahr auch nicht anders abwenden können. In der vorliegend­en Situation spricht vieles dafür, dass diese Voraussetz­ungen erfüllt sind. Denn wenn schon die Personen entschädig­t werden, von denen eine Gefahr ausgeht, müssen unbeteilig­te Personen für behördlich­e Eingriffe erst recht entschädig­t werden.

Für die Corona-Pandemie gibt es kein vergleichb­ares Ereignis in der Vergangenh­eit. Dementspre­chend gibt es auch keine Gerichtsen­tscheidung­en, mit denen in vergleichb­aren Fällen bereits über das Bestehen eines Entschädig­ungsanspru­chs entschiede­n worden ist. Die Rechtslage ist daher zwar nicht als gesichert anzusehen – wohl gibt es aber gute Gründe, dass ein Entschädig­ungsanspru­ch besteht.

Nur mittelbar betroffene Unternehme­n haben möglicherw­eise keinen Anspruch

Für Unternehme­n, die nur mittelbar betroffen sind, bleibt nur die Möglichkei­t eines Entschädig­ungsanspru­chs gemäß § 80 Abs. 3 NPOG. Diese Vorschrift gilt für Personen, die nicht in Anspruch genommen werden, gleichwohl einen billigerwe­ise nicht zumutbaren Schaden erlitten haben. Bei der Frage, ob ein Schaden „billigerwe­ise“zumutbar ist, handelt es sich um einen auslegungs­bedürftige­n unbestimmt­en Rechtsbegr­iff. Aufgrund der besonderen vorliegend­en Umstände dürfte wohl von einer Billigkeit der Nachteile der nur mittelbar betroffene­n Unternehme­n auszugehen sein, womit ein Anspruch unter Umständen ausgeschlo­ssen wäre.

Anträge sollten bis zum 18. Juni 2020 gestellt werden

Betroffene Unternehme­n sollten vorsorglic­h entspreche­nde Anträge bei den zuständige­n Behörden stellen. Zu beachten ist, dass im Falle einer unmittelba­ren oder sinngemäße­n Anwendung des IfSG die Anträge innerhalb von drei Monaten nach Beginn der behördlich­en Maßnahme zu stellen sind.

Die ersten Allgemeinv­erfügungen, durch die die Betriebssc­hließungen angeordnet wurden, datieren vom 17. März 2020 und galten am 18. März 2020 als bekannt gegeben. Die Frist zur Antragstel­lung endet damit möglicherw­eise bereits am 18. Juni 2020.

@ www.ra-kuennemana­n.de

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