Wie es auch ohne Blühstreifen blüht
Grünlandstreifen am Lockfleth lebt durch eine andere Bewirtschaftung auf
Wildpflanzen müssen nicht extra angesät werden, denn die Samen sind schon im Boden. Die Pflanzen müssen nur wachsen dürfen.
SÜRWÜRDEN – Das Grünland kann mehr – auch bei der Förderung der Artenvielfalt. Ein ungewöhnlicher, aber erfolgversprechender Ansatz ist auf einem Randstreifen entlang des Lockfleths in Sürwürden zu sehen. Hier sprießen Fuchsschwanz, Wiesenschaumkraut, kriechender Hahnenfuß und etwa zwei Dutzend weitere heimische Pflanzen, denn der Streifen wird nicht gedüngt, nicht beweidet und nur selten gemäht.
Neuer Ansatz
Dieses wenige Meter breite, aber einen guten Kilometer lange Stück Grünland eignet sich nicht für die intensive Bewirtschaftung, so wie viele andere grüne Wege und Randstreifen in der Wesermarsch auch. Deshalb sind diese Areale ideal für den neuen Ansatz zur Förderung der Artenvielfalt, sagt der Berater Ingo Bischoff vom Kreislandvolk, der für diese neue Richtung wirbt.
Unterstützung für seine Initiative findet er bei Dirk Decker, dem Vorsteher der Stadlander Sielacht – ihr gehört der Randstreifen des Lockfleths –, beim Grünlandzentrum Niedersachsen-Bremen, der unteren Naturschutzbehörde der Kreisverwaltung und bei der Vegetationsökologin Dr. Parastoo Mahdavi Mazdeh von der Universität Oldenburg. Auch ein HummelExperte vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu) war schon hier und zeigte sich begeistert von diesem Lebensraum für Insekten und Vögel.
Das Geheimnis dieses Lebensraums ist in seinem Untergrund verborgen, sagt Mathias Paech vom Grünlandzentrum in Ovelgönne: „Der Boden ist eine Samenbank.“Allerdings sind die Gewächse unterschiedlich durchsetzungsfähig. Am stärksten ist Gras, wenn es gedüngt wird. Fressfeind im Wortsinn ist auch das Vieh, das sich von dem Bewuchs ernährt.
Samen fällt aus dem Heu
Wenn sich also die im Boden prinzipiell vorhandene Artenvielfalt auch im Bewuchs widerspiegeln soll, müssen Vieh und Dünger draußen bleiben. Und auch das Mähwerk darf nicht schon im Mai rattern, sondern erst ab Mitte Juni und dann noch einmal im August. Öfter nicht.
Damit nicht genug: Die Juni-Mahd bleibt eine Woche liegen und trocknet zu Heu. Dabei
fallen die Samen aus den gemähten Pflanzen zu Boden und verbreiten sich dort. Dann muss aber das Heu abgefahren werden, denn wenn es als Mulch liegen bleibt, würde der Nährstoffgehalt des Bodens steigen, was wiederum das Gras stärken würde.
Gar nicht mähen ist aber auch kein Thema, denn dann würden sich Reith oder Bäume ansiedeln – und eben keine heimischen Gräser. „Nur wenn die Flächen bewirtschaftet werden, stellt sich die gewünschte regionstypische Artenvielfalt einer Kulturlandschaft ein“, betont Ingo Bischoff vom Landvolk. „Landwirte sind daher wichtige Partner für den Naturschutz.“
Auch Mathias Paech vom Grünlandzentrum unterstützt diesen neuen Ansatz als Ergänzung zu den klassischen Blühstreifen. Deren Anlage ist im Grünland schwierig, denn Pflügen ist verboten, weil eine
dauerhaft begrünte Fläche wertvoller ist als Ackerland. Wird Samen von Blühpflanzen aber auf einer bestehenden Grasnarbe aufgebracht, haben die jungen Pflanzen oft keine Chance gegen die kräftigen Graswurzeln.
Flächen vernetzen
Das Grünlandzentrum schlägt jetzt vor, die Randstreifen entlang von Gräben und anderen Gewässern auf einen Meter Breite extensiv zu bewirtschaften. Doch nicht nur landwirtschaftliche Flächen kämen dafür infrage, sondern auch Straßenufer, die künftig von den Straßenmeistereien anders gepflegt werden könnten. Dabei sei nicht die Größe der einzelnen Fläche entscheidend, sondern ihre Vernetzung in einem Gesamtverbund. Wirtschaftlich lohnt sich eine solche Vorgehensweise selbstverständlich nicht,
sonst würden es die Landwirte ja überall so machen. Deshalb, sagt Mathias Paech, muss die Gesellschaft entscheiden, was ihr diese Dienstleistung der Landwirte, aber auch anderer Akteure, zugunsten von pflanzlicher und tierischer Artenvielfalt wert ist.
Das Kräuterheu von dem Streifen am Lockfleth wird von einem Landwirt für Mutterkuh-Haltung genutzt – ein Glücksfall für beide Seiten .
Damit es in Zukunft viel mehr solcher Glücksfälle gibt, muss diese Form der Bewirtschaftung aber freiwillig bleiben, betont Ingo Bischoff. Der Landwirt müsse die Gewähr haben, dass er diese Fläche eines Tages wieder intensiv nutzen dürfe, wenn es für ihn wirtschaftlich erforderlich sei. Keinesfalls dürfe es dazu kommen, dass die Ansiedlung einer seltenen Pflanze dazu führt, dass die Fläche unter Naturschutz gestellt wird.