Sehnsucht nach Auftritten
Oldenburgs Intendant Christian Firmbach hofft auf baldige Lockerungen
Noch dürfen Theater nicht öffnen. Das Staatstheater Oldenburg bereitet sich aber auf Aufführungen vor Publikum noch vor Ende der Spielzeit vor.
OLDENBURG – Die Mitarbeiter des Oldenburgischen Staatstheaters sehnen sich nach Auftritten und nach ihrem Publikum, sagte Intendant Christian Firmbach am Freitag im Gespräch mit der Ð. Er hofft darauf, dass noch vor dem offiziellen Ende der Spielzeit 2019/20 Mitte Juli wieder Aufführungen vor Publikum möglich sind. Gedacht ist dabei an kleine Formate mit wenigen Schauspielern, Konzerte oder Ballettabende in kleiner Besetzung. Vielleicht seien Lockerungen für Theater in Niedersachsen zum 8. Juni möglich.
Und ab Mittwoch, 27. Mai, werden aus der Exerzierhalle in Oldenburg kleine Theaterformate und Konzerte über den Lokalsender Oeins ins Kabelfernsehen und ins Internet übertragen – ohne Publikum. Das diene aber zur Überbrückung und sei kein Ersatz für Theater vor Publikum, sagte Firmbach.
Der reguläre Spielplan der laufenden Saison ist jedoch durch die Corona-Krise mit ihren Kontaktbeschränkungen beendet. Und auch für die Spielzeit 2020/21 rechnet Firmbach mit starken Einschränkungen – Abstandsregeln und Maskenpflicht. „In diesem Modus wird das mindestens die halbe Spielzeit dauern, und vielleicht die ganze Spielzeit weitergehen“, sagte Firmbach.
Die regulären Theaterabos sind für die Saison 2020/21 ausgesetzt. Und auch die Musikinteressierten, die sich dieses Jahr auf den Opernzyklus „Der Ring des Nibelungen“gefreut
hatten, müssen warten. Die Wagner-Opern sollen ab Juni 2022 zu sehen sein. Gekaufte Karten behalten ihre
Gültigkeit. In den Bundesländern Hessen oder NordrheinWestfalen seien Theateraufführungen wieder möglich. Deshalb hoffe er, dass auch das Land Niedersachsen seine Zurückhaltung in Sachen Theaterbetrieb aufgibt, sagte der Intendant.
Seit dem 13. März hat es in Oldenburg keine Aufführung vor Publikum gegeben. Für die Ensembles bedeute das eine schwere Belastung. Die Orchestermusiker, Tänzer und auch die Sänger üben zu Hause. Aus der Not haben die Balletttänzer eine Tugend gemacht: Entstanden ist ein Corona-Ballettabend (Titel: „1,50 Meter“). Der wird zur Spielzeit 2020/21 gehören wie Ein-Personen-Stücke („Nipple-Jesus“) oder Konzerte in kleiner Besetzung. Freilich bedeuteten die Beschränkungen auch eine „künstlerische Chance“.
Lesen Sie ein Interview mit Intendant Firmbach und einen Kommentar auf
Das Oldenburgische Staatstheater ist noch in der Corona-Zwangspause. Seit 13. März gibt es keine Aufführungen mehr. Wie geht es dort weiter? Fragen an Intendant Christian Firmbach.
Herr Firmbach, worin besteht eigentlich das größte Problem, den Theaterbetrieb wieder aufzunehmen? Firmbach: Die Abstandsregelung von 1,50 Meter, das heißt, dass wir nicht annähernd die Kapazität an Zuschauern unterbringen können, also die Sängerinnen, Sänger, Schauspielerinnen, Schauspieler, Tänzerinnen, Tänzer und Musikerinnen sowie Musiker, die mit einem Abstand bis hin zu sechs Metern arbeiten müssen. Das sind Bedingungen, die künstlerische Prozesse nur schwer möglich machen, vor allem im Musiktheater.
Wie sieht es denn mit Ein-Personen-Stücken aus? Klaas Schramm hat beispielsweise das Publikum in „Nipple-Jesus“begeistert... Firmbach: Das ist ja hellseherisch. Genau unter anderem auf solche Formate greifen wir zurück und eben dieses Stück haben wir für die Wiedereröffnung vorbereitet. Solche Formate liegen in der Tat nahe – Monologe, Stücke in kleiner Orchesterbesetzung. Wir versuchen, die Einschränkungen als künstlerische Herausforderung zu begreifen.
Dann ist das, was Sie ab nächsten Mittwoch in der Exerzierhalle planen, ein Herantasten an den Normalbetrieb? Firmbach: Das ist eher eine Überbrückung. Eine Idee, die aus der Not geboren ist mit Formaten, die Corona-unabhängig stattfinden können, nämlich ohne, dass ein Zuschauer dabei ist. Es war daher naheliegend, eine Partnerschaft mit dem Lokalsender Oeins einzugehen und das Programm dort ins Fernsehen zu übertragen. Das ist freilich für uns Neuland. Aber die Möglichkeit der Begegnung auf diese Weise ist für beide Seiten eine interessante neue Erfahrung. Sie werden überrascht sein, was dort alles zu erleben sein wird, auch für unser junges Publikum!
Wird es denn vor Ende der Spielzeit im Sommer noch Theater mit Publikum geben? Firmbach: Es ist meine Hoffnung, dass ähnlich wie in anderen Bundesländern wieder eine kleine Öffnung erfolgen kann. Wir wären mit einem entsprechenden Hygienekonzept darauf vorbereitet. Wir haben ein Sonderprogramm, das wir sofort zeigen könnten. Und ich wäre sehr daran interessiert zu spüren, wie das Interesse des Publikums ist – an einer Aufführung teilzunehmen, möglicherweise mit Gesichtsmaske, ohne Pause und auch ohne Gastronomie. Wie nachhaltig diese Theatererlebnisse sein werden, wird sich zeigen.
Wie soll es im Herbst im Staatstheater weitergehen?
Firmbach: Ich hoffe, dass wir unter eingeschränkten Bedingungen die Spielzeit im Herbst wieder auf den Bühnen im Haus und in der Exerzierhalle eröffnen können. Aber es wird deutlich eingeschränkte Bedingungen geben, ca. 100 Zuschauer im Großen Haus, ungefähr 60 im Kleinen Haus, 20 in der Exerzierhalle. Ich bin etwas nervös, ob die Infektionszahlen nach den Sommerferien nicht größer werden, was möglicherweise wieder Auswirkungen auf die Theater hätte. Wir müssten pro Inszenierung 70 Aufführungen spielen, damit wir die sonst üblichen Zuschauermengen erreichen. Deshalb wollen wir mehr Spieltermine anbieten, zum Beispiel Doppeloder Dreifachvorstellungen.
Sie haben das ehrgeizige und stark beachtete Vorhaben, Richard Wagners „Ring des Nibelungen“in einer Spielzeit aufzuführen. Wird es dabei bleiben, behalten die bereits gekauften Eintrittskarten ihre Gültigkeit? Firmbach: Die Aufführungen werden verschoben in die Spielzeit 2022/23. Und die Karten behalten natürlich ihre Gültigkeit. Das ist natürlich der schmerzlichste Moment gewesen, diese künstlerisch anspruchsvolle und logistisch komplizierte Produktion abzusagen. Es ist noch nie gelungen in der Geschichte des Hauses, den Zyklus in einer Spielzeit aufzuführen. Die Absage war der Tiefpunkt überhaupt. Aber in zwei Jahren ist das machbar.
Wie steht es um das Ballett? Firmbach: Das Ballett hat geprobt – jede und jeder für sich zu Hause und später mit Abstand im Ballettsaal. Daraus ist ein sehr persönlicher Ballettabend mit dem Titel „1,50 Meter“entstanden.
Viele Freiberufler haben bedingt durch die Corona-Beschränkungen digitale Formate entdeckt. Steckt darin auch für das Staatstheater eine Chance?
Firmbach: Das glaube ich nur bedingt. Wir spielen nicht vor Autos, sondern vor Menschen. Die Interaktion zwischen Schauspielern und Zuschauern – da passiert etwas. Das können Sie digital nicht abbilden. Tatsächlich ist unsere Stärke das analoge Theater, nicht das Streaming. Damit kann man den Betrieb nicht ersetzen.
Müssen Sie Ihre Mitarbeiter eigentlich trösten und aufbauen. Oder brennen die, ihre kreativen Ideen umzusetzen? Firmbach: Die brennen darauf, ihre Ideen umzusetzen. Tatsächlich bremsen uns die Vorschriften im Augenblick. Dabei wollen alle wieder auftreten und es herrscht eine gewisse Verzweiflung. Sie sind niedergedrückt, weil sie auftreten wollen. Das tut auch den Ensembles nicht gut, weil sie sich nicht weiter entwickeln können. Aber in dem Wissen um die Solidarität unseres treuen Publikums, die wir an den vielen gespendeten Tickets ablesen können, fühlen wir uns auch durch diese Zeit getragen.