„Mir ist um die Zukunft des Rechtsstaates nicht bange“
Herr Harbarth, am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz verabschiedet. Wie steht es heute um unsere Verfassung? Harbarth: Das Grundgesetz ist ein Glücksfall für Deutschland. Die grandiose Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland ist gewiss nicht allein dem Grundgesetz geschuldet. Aber sie wäre ohne eine solch kluge Verfassung nicht möglich gewesen. Das Grundgesetz ist auch an seinem 71. Geburtstag in einem sehr guten Zustand: Das Grundgesetz und auch das Bundesverfassungsgericht genießen im In- und Ausland großes Ansehen. Für die Deutschen hat das Grundgesetz eine identitätsstiftende Wirkung. Unser Land ist im Augenblick wie die Welt allgemein in einer ganz besonderen Situation. Corona wirft auch viele verfassungsrechtliche Fragen auf. Aber diese Situation zeigt, dass das Grundgesetz auch für solch schwierige Phasen ein hervorragender Ordnungsrahmen ist.
Ex-Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier sieht angesichts der Corona-Einschränkungen die Freiheitsrechte in Gefahr. Teilen Sie seine Bedenken? Harbarth: Mir ist um die Zukunft des Rechtsstaates und um die Freiheit in Deutschland auch in Corona-Zeiten nicht bange. Die Bewahrung von Rechtsstaatlichkeit und Freiheit ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein permanenter Handlungsauftrag, den jede Generation immer neu mit Leben erfüllen muss. Selbstverständlich gelten die Grundrechte auch während
der Pandemie. Grundrechte stehen abgesehen von der Menschenwürde aber nicht absolut. Oft müssen mehrere Grundrechte, die in ein Spannungsverhältnis treten, bestmöglich zur Geltung gebracht werden. Die Grundrechtsausübung geschieht in CoronaZeiten teilweise in einer anderen Weise als vor der Pandemie. Aber die Grundrechte sind weiter intakt.
Aber die Freiheit wird durch die Corona-Beschränkungen doch sehr weit eingeschränkt… Harbarth: Es gibt weder eine Aussetzung der Grundrechte auf Dauer noch eine Aussetzung im Augenblick. Die Grundrechte gelten, aber sie gelten anders als vor der Krise. Ein Beispiel: Demonstrationen finden statt. Das Recht auf Versammlungsfreiheit gilt. Es gibt aber anders als vor der Krise neue Formen der Durchführung von Versammlungen, zum Beispiel unter Wahrung von Mindestabständen.