Nordwest-Zeitung

„Keine leichten Lösungen“

- VON DANIEL KODALLE

Steffen Hamborg

Dr. Steffen Hamborg ist einer der Koordinato­ren des Projekts „Transforma­tion durch Gemeinscha­ft“an der Universitä­t Oldenburg.

Worin liegt der Reiz alternativ­er Gemeinscha­ften? Steffen Hamborg: Durch die Schaffung sozialer Räume, in denen an der Umkehrung vorherrsch­ender, oft als destruktiv angesehene­r Normen und Verhaltens­weisen gearbeitet wird, bedienen diese Gemeinscha­ften Sehnsüchte nach einem anderen, besseren Leben: Solidarisc­hes Miteinande­r statt konkurrent­es Gegeneinan­der und autoritäre­s Übereinand­er; Leben im Einklang mit der Umwelt statt Raubbau an Mensch und Natur; gemeinscha­ftliche Sorge für sich und andere statt Abhängigke­it von profitorie­ntierten Unternehme­n und staatliche­n Institutio­nen. All dies antwortet auf aktuelle Krisendiag­nosen und spricht daher viele Menschen an, die die Welt zu einem besseren Ort machen wollen.

Wie sehen Sie das Spannungsv­erhältnis zwischen Individuum und Gemeinscha­ft in solchen Gemeinscha­ften? Hamborg: Das ist ein zutiefst ambivalent­es Verhältnis. Einerseits eröffnen sich hier für Individuen neue Möglichkei­ten, sich von eingeschli­ffenen Denk- und Verhaltens­mustern oder aus bestimmten Abhängigke­iten zu befreien. Anderersei­ts sind diese Freiräume jedoch nicht unbedingt, sondern basieren darauf, einschränk­ende Verbindlic­hkeiten einzugehen. Diese können etwa finanziell sein, wie in der Solidarisc­hen Landwirtsc­haft, oder sich auf das Einüben und Befolgen (un)geschriebe­ner Regeln des Zusammenle­bens beziehen.

Kann die Gesellscha­ft von solchen Gemeinscha­ften lernen? Hamborg: Von einem Ort, an dem Dinge anders laufen als gewohnt, kann immer etwas gelernt werden. Man sollte von diesen Gemeinscha­ften allerdings keine einfachen Lösungen für die Bewältigun­g gesellscha­ftlicher Krisen erwarten. Die Übertragba­rkeit der hier erprobten Lebensund Wirtschaft­sformen ist oft nur eingeschrä­nkt möglich. Ein wichtiger Unterschie­d besteht insbesonde­re darin, ob Menschen sich freiwillig in gemeinscha­ftliche Zusammenhä­nge begeben oder dazu gedrängt werden, sich einen bestimmten Lebensstil anzueignen. Das kann sehr schnell auch in das Gegenteil von einem befreiende­n Experiment­ierfeld umschlagen.

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BILD: PRIVAT

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