Nordwest-Zeitung

Doku fragt: „Wo bleibt die Pille für den Mann?“

Arte zeigt am Dienstag die Sendung „60 Jahre Pille“– Gleichbere­chtigung großes Thema

- VON MARCO KREFTING

STRAßBURG – Der Penis und der leere Hodensack hängen aus einem Loch im Slip, die Hoden selbst werden über einen Ring in den Körper gedrückt. Drei Monate lang, 15 Stunden am Tag soll man(n) diese selbstgesc­hneiderten Unterhosen tragen, dann habe die Körpertemp­eratur die Spermien zerstört. Eine Art Selbsthilf­egruppe aus mehreren Franzosen hat die Wäsche zur Verhütung designt.

Zu Revolution bereit

Sie ist nur ein Ansatz, Männern eine Alternativ­e zum Kondom zu bieten und ihnen somit Verantwort­ung beim Kinderkrie­gen zu überlassen: Ein Testostero­n-Gel, aufgetrage­n auf die Schultern, könnte eine andere sein. Forscher arbeiten an einem Präparat mit Vitaminbei­gabe. Oder an

Kunststoff­gel, per Spritze in den Samenleite­r injiziert, das unter anderem die Spermienkö­pfe durch elektrisch­e Ladungen zerstört.

Der deutsch-französisc­he Fernsehsen­der Arte verknüpft am kommenden Dienstagab­end, 26. Mai (20.15 Uhr), das 60-jährige Marktbeste­hen der Antibabypi­lle mit der Frage der Gleichbere­chtigung: „60 Jahre Pille – Wo bleibt die Pille für den Mann?“Und es wird deutlich, dass das bei Weitem nicht nur eine Frage von Biologie, Medizin oder Pharmazie ist, sondern auch der Soziologie, der Gesellscha­ft. „Wenn männliche Verhütung selbstvers­tändlich und marktfähig würde, dann würde sich einiges verändern“, resümiert die Sprecherin. „Männer müssten zum Männerarzt gehen, Rollenbild­er stünden infrage.“Geht es um ein Gefühl von Stärke, gekränkte Männlichke­it, Eitelkeit, Stolz?

Kirsten Esch blickt für ihre Dokumentat­ion in den August 1960, als in den USA die erste Pille für die Frau auf den Markt kommt. Ein Jahr später ist es in Deutschlan­d so weit. Schwarz-Weiß-Aufnahmen von damals zeigen die heute aberwitzig klingenden Erwartunge­n in der Bevölkerun­g: von zügellosen Frauen und davon völlig überforder­ten Männern. Die Kirche: erzürnt. Die Frauen aber selbstbest­immter.

Bereit, eine Revolution zu wagen, deren (gesellscha­ftliche) Sprengkraf­t manch eine mit der Atombombe vergleicht.

Der Film beleuchtet in anderthalb Stunden mithilfe von Experten wie Medizinern, Historiker­n und Autoren die gesellscha­ftliche Entwicklun­g. Doch auch Frauen verschiede­ner Generation­en ohne spezielle Fachkenntn­is berichten von ihren Erfahrunge­n mit der Pille. Unterschie­de in BRD und DDR werden ebenfalls thematisie­rt. Und es geht um Fragen der Emanzipati­on und Gleichbere­chtigung.

„Die reine Biologisie­rung der Reprodukti­on hat zu einem Ungleichge­wicht geführt“, sagt die Stimme aus dem Off. „So erscheint es selbstvers­tändlich, dass nur die Frauen für die Verhütung zuständig sind.“40 bis 60 Millionen Pillennutz­erinnen weltweit gibt es demnach heutzutage. Doch eine „Pilleneine­m müdigkeit“nehme zu. Gesundheit­swissensch­aftler Gerd Glaeske führt das auf die zunehmend thematisie­rten unerwünsch­ten Nebenwirku­ngen der Pille zurück.

Studie abgebroche­n

Schon in den 50er Jahren sei eine Pille für den Mann in Gefängniss­en getestet worden, die sich aber nicht mit Alkohol vertrug. Vor einigen Jahren wurde eine hormonelle Verhütung an mehreren Zentren auf der Welt getestet, gefördert von der WHO. Doch einige Probanden klagten über Gewichtszu­nahme und Libidoverl­ust. Die Studie wurde abgebroche­n, der Forschung fehlt es seither an Geld.

Die Doku betont: Es geht um Folgen der Verhütung, die Frauen seit 60 Jahren oft stillschwe­igend und inzwischen wie selbstvers­tändlich in Kauf nehmen.

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BILD: LANGBEIN & PARTNER/ZDF/DPA Die Doku „60 Jahre Pille – Wo bleibt die Pille für den Mann?“zeigt Arte am Dienstag, 26. Mai (20.15 Uhr).

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