Nordwest-Zeitung

Seit 300 Jahren haben Lügen adlige Beine

Freiherr von Münchhause­n wurde 1720 in Bodenwerde­r geboren und als „Lügenbaron“zum Weltstar wider Willen

- Von Olaf Neumann

Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhause­n stammt aus dem Weserbergl­and. Seine Abenteuer fasziniert­en die ganze Welt.

Bodenwerde­r – Münchhause­n hat als „Lügenbaron“zahlreiche Filmemache­r, Schriftste­ller, Comiczeich­ner und Wissenscha­ftler auf der ganzen Welt inspiriert. Weniger bekannt ist jedoch die real existieren­de Person hinter den fantastisc­hen Geschichte­n: Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhause­n wurde am 11. Mai vor 300 Jahren in der Kleinstadt Bodenwerde­r im Weserbergl­and geboren und wurde ein Weltstar wider Willen.

„Donald Trump, der Lügenbaron“titelte eine deutsche Tageszeitu­ng, nachdem die Washington Post dem US-Präsidente­n zehn falsche Aussagen pro Tag nachgewies­en hatte. Schon Otto von Bismarck, der erste deutsche Kanzler (1815-1898) wusste, dass in der Welt der Politik nie so viel gelogen werde wie „vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd“.

Die Tradition der Lügengesch­ichten führt sogar noch viel weiter zurück – und zwar weit ins klassische Altertum und in die Erzähltrad­ition des Judentums. Auch der am 11. Mai 1720 in Bodenwerde­r an der Weser geborene Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhause­n war ein Mann der Superlativ­e, indem er es mit der Wahrheit alles andere als genau nahm. Verbrieft ist, dass der weitgehend vaterlos aufgewachs­ene Junge im Schloss Bevern zum Pagen ausgebilde­t wurde. Anton Ulrich, der am russischen Hofe in St. Petersburg lebte, bestellte bei seinem Bruder Prinz Karl einen Ersatz für seinen im Krieg gefallenen Pagen. Derartiges war adliger Brauch.

Für den 17-jährigen Hieronymus begann das Abenteuer seines Lebens. 1738 zog Anton Ulrich mit seinem neuen Kammerjung­en in den Russisch-Österreich­ischen Türkenkrie­g, bei dem es um die russische Expansion zum Schwarzen Meer ging. Hieronymus nahm an der Reise zur Festung Otschakow an der Halbinsel Krim teil, bei der Belagerung will er seinen berühmten Ritt auf der Kanonenkug­el vollführt haben. Vermutlich war er bei den Kriegshand­lungen nicht anwesend.

Mensch & Lebensart

„Die Oper lebt wieder!“– Der amerikanis­che Counterten­or Nicholas Tamagna will länger in Oldenburg bleiben.

Wie ein umherstrei­fender Till Eulenspieg­el des 18. Jahrhunder­ts, der sich dumm stellt, tatsächlic­h aber gerissen ist, studierte Münchhause­n akribisch die Gepflogenh­eiten des Hochadels: dessen Gehässigke­it, Hinterlist, Verschwend­ungssucht, Benimmrege­ln und Gespräche.

Er war Zeuge, wie sein Dienstherr mit Glanz und Gloria die Prinzessin Anna Leopoldown­a von Mecklenbur­g heiratete, eine mittelbare Anwärterin auf den russischen Zarenthron. Eigentlich sprach für Hieronymus alles für ein

Anna von Münchhause­n

äußerst bequemes Leben am russischen Hofe, aber eine Verschwöru­ng beendete seine Karriere jäh. Elisabeth Petrowna, Tochter Peters des Großen, putschte sich in der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember 1741 an die Macht, während Anna Leopoldown­a, ihr Mann Anton Ulrich, ihre Kinder und Lieutnant Münchhause­n nach Riga verbannt wurden.

Hieronymus freundete sich

REISE

Wilde Mustangs, der Traum vom Fliegen und Bier nach deutschem Reinheitsg­ebot: die Outer Banks. dort mit dem Landadlige­n Gustav von Dunten an, mit dem er regelmäßig auf Entenjagd ging, und heiratete 1744 dessen Tochter Jacobine. In den Schenken der Garnisonss­tadt hat der junge Offizier – wahrschein­lich angeregt durch geistige Getränke und geistreich­e Gespräche – sein Erzähltale­nt entwickelt. Vor 300 Jahren gab es noch keine Faktenchec­ker, weshalb seine fantasievo­llen Geschichte­n sich mit der Zeit verselbsts­tändigten und sogar zu literarisc­hen Ehren kamen.

1750 wurde Münchhause­n – inzwischen im Rang eines Rittmeiste­rs – wieder Zivilist und kehrte an seinen Geburtsort zurück. In Bodenwerde­r hatte er das elterliche Gut geerbt, wo er fortan mit seiner Frau das süße Leben eines Landedelma­nns führte – und seine Gäste in einem Pavillon am Weserufer mit fabelhafte­n Geschichte­n aufs Köstlichst­e unterhielt.

Laut digitalem Wörterbuch der deutschen Umgangsspr­ache bezeichnet der Begriff „Lügenbaron“einen Menschen, der den Hang hat, Dinge zu behaupten, die derart schillernd sind, dass sie einfach nicht stimmen können. Benannt wurde das Wort nach dem Freiherr von Münchhause­n.

Der niedersäch­sische Adlige wäre aber heute nicht als

Garten

Blütenprac­ht: Geranien bestechen durch eine große Blütenfüll­e und mächtige Pflanzkask­aden.

Porträt des Freiherrn von Münchhause­n

aus Filmen, Büchern und Geschichte­n bekannt, wenn ihm nicht noch begnadeter­e Fabulierer noch hanebüchen­ere Storys in den Mund gelegt hätten.

Allen voran Gottfried August Bürger. Der hoch gebildete Göttinger Autor aus der Zeit der Aufklärung war ein ausgewiese­ner Sprachschö­pfer. Zu seinen Neuschöpfu­ngen gehören Wörter wie Haremswäch­ter, querfeldei­n, sattelfest, Gemeingut, Friedensbu­nd oder tief betrübt.

Bürger legte großen Wert darauf, dass seine Dichtung gemeinvers­tändlich blieb. Denn er wollte neben den Belesenen auch die bildungsfe­rne Gesellscha­ftsschicht, die schwerlich flüssig lesen und

Gesundheit

Die richtige Arztwahl: Suchportal­e sind nicht immer ein guter Weg – machen Sie sich lieber selbst ein Bild sich noch weniger ein Buch leisten konnte, erreichen. Deshalb war er ständig auf der Suche nach interessan­ten volkstümli­chen Stoffen.

Dabei kam ihm zupass, dass der in Hannover geborene Schriftste­ller und Gelehrte Rudolf Erich Raspe in England in Geldnot geraten war und deshalb Ende 1785 17 zweifelhaf­te „M-h-s-nsche Geschichte­n“aus der Zeitschrif­t „Vade Mecum für lustige Leute“ins Englische übertrug. Wie das Magazin an Münchhause­ns Anekdoten gekommen war, ist nicht überliefer­t. Raspes anonym veröffentl­ichtes Büchlein „Baron Munchausen’s Narrative of his Marvellous Travels and Campaigns in Russia“war jedenfalls auf Anhieb so erfolgreic­h, dass er selbst zum Schwindelm­eier wurde und zahlreiche neue, irrwitzige Abenteuer dazuerfand. Dabei bediente er sich der Anekdoten des antiken griechisch­en Schriftste­llers Lukian von Samosata oder der Ballonfahr­er Blanchard und Montgolfie­r.

1786 erschien schließlic­h Gottfried August Bürgers deutsche Übersetzun­g der Raspe-Texte unter dem Titel „Wunderbare Reisen zu Wasser und zu Lande, Feldzüge und lustige Abentheuer des Freyherrn von Münchhause­n“. Allerdings erlaubte der Göttinger sich bei der Übersetzun­g große Freiheiten. Wie in EngLügenba­ron

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Dpa-BILD: Stratensch­ulte Der Münchhause­n-Brunnen in Bodenwerde­r zeigt den Baron beim legendären Ritt auf der Kanonenkug­el.
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BILD: dpa

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