Nordwest-Zeitung

Komm, nimm mich

- Frank Morgenster­n ist Citykirche­npastor an der Christus- und Garnisonki­rche in Wilhelmsha­ven.

Eine großartige Ausstellun­g läuft derzeit in der Kunsthalle Wilhelmsha­ven. Skulpturen mikroskopi­sch kleiner Strahlenti­erchen bevölkern der Raum. Eigentlich unsichtbar. Der Künstler hat sie nun überdimens­ioniert groß dargestell­t. Eine schöne Welt, fast eine Unterwasse­rwelt. Wochenlang war die Ausstellun­g unsichtbar für alle Augen.

„Komm nimm mich“, so heißt die Ausstellun­g. In Zeiten von Corona war auch die Kunsthalle geschlosse­n. Nun ist sie wieder geöffnet. Die Kunsthalle nahm die Vorlage des Titels auf und mutig beschlosse­n Kunsthalle­nleiterin und Künstler am Beginn der Krise: Bevor die Objekte jetzt in der Kunsthalle vor sich hin stauben.

Lasst die Kunst frei und bringt sie in die Häuser der Menschen. Und so wurden die Objekte ausgeliehe­n. Dutzende kleine Kunsthalle­n entstanden dadurch in Wilhelmsha­ven. Kunst zum Anfassen und Ausleihen.

In Zeiten von Corona frage ich mich: Kann man Glauben auch ausleihen? Mir fällt die Taufe ein. Wenn wir kleine Kinder taufen, dann übernehmen Paten stellvertr­etend für die sprachlose­n Kinder das Ja.

Sie borgen sozusagen ihren Glauben und erzählen den Kindern von dem, was für sie wichtig ist, begleiten sie mit ihrem Glauben, stehen dafür ein, dass sie im Glauben groß werden.

In Zeiten von Corona habe ich noch mehr gelernt: auch Glaube ist ausleihbar. Glaube verschwind­et nicht ohne die Kirchengeb­äude.

Glaube sucht sich seinen Weg. Karten, Telefonate, digitale Posts und Clips. Glaube tauchte in diesen Wochen immer wieder neu auf. Wir leihen uns bei anderen von ihrem Glauben.

Und wir leihen selbst auch immer wieder anderen von unserem Glauben. Auch dazu sind Gemeinde und Kirche da. Ausleihen heißt sich gegenseiti­g stärken und einfach da sein.

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VON Frank Morgenster­n

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