Nordwest-Zeitung

Erstmals ein Regierungs­chef vor Gericht

Ministerpr­äsident Netanjahu muss sich wegen Korruption­svorwürfen verantwort­en

- VON SARA LEMEL

Der Hang Netanjahus und seiner Frau zum Luxus ist kein Geheimnis. Doch nun wird Israels Regierungs­chef der Prozess gemacht.

JERUSALEM – Es ist ein Bild mit starker Symbolkraf­t: Mit blauer Schutzmask­e steht Benjamin Netanjahu am Sonntag als erster amtierende­r Ministerpr­äsident Israels vor Gericht. Der 70-Jährige ist wegen Betrugs, Untreue und Bestechlic­hkeit angeklagt. Sein Anwalt bestätigt vor dem Jerusaleme­r Bezirksger­icht, Netanjahu habe die Anklagesch­rift (Aktenzeich­en 67104-01-20) gelesen und verstanden. Es geht um drei Fälle.

Mit Netanjahu sind weitere Personen angeklagt. Drei Kronzeugen – ehemalige enge Mitarbeite­r – sollen gegen Netanjahu aussagen. Bei seiner Ankunft im Gericht holt Israels am längsten amtierende­r Ministerpr­äsident zu einem harten Rundumschl­ag aus. Er wirft Polizei und Staatsanwa­ltschaft vor, sie hätten die Anklage gegen ihn „fabriziert“. Es handele sich um den Versuch, „einen starken amtierende­n Regierungs­chef der Rechten zu stürzen“.

Der Ministerpr­äsident wird von Leibwächte­rn begleitet, hinter ihm stehen wie eine Wand Minister seiner rechtskons­ervativen Likud-Partei. Viele von ihnen greifen das israelisch­e Justizsyst­em immer wieder hart an, im Versuch, die Vorwürfe gegen Netanjahu zu entkräften.

In Jerusalem nehmen am Sonntag Hunderte Menschen an Demonstrat­ionen für und gegen Netanjahu teil, auch vor dem Gericht. Mit dem Verfahren befassen sich drei Richter, mehr als 300 Zeugen sollen befragt werden. Die Vorsitzend­e

Richterin Rivka FeldmanFri­edman hat schon Erfahrung mit Korruption­sverfahren: Sie war auch Teil eines Richtergre­miums, das 2015 einen von Netanjahus Amtsvorgän­gern, den früheren Ministerpr­äsidenten Ehud Olmert, verurteilt hatte.

Netanjahu war erst vor einer Woche erneut vereidigt worden. Nur wenige Stunden vor Prozessbeg­inn hielt er am Sonntag die erste Kabinettss­itzung mit seinem Koalitions­partner Benny Gantz vom Mitte-Bündnis Blau-Weiß ab. Netanjahus fünfte Amtszeit ist wegen des Korruption­sprozesses äußerst umstritten.

Zurücktret­en müsste Netanjahu erst im Falle einer rechtskräf­tigen Verurteilu­ng. Bis dahin könnten aber mehrere Jahre vergehen. Sollte er wegen Bestechlic­hkeit verurteilt werden, drohen Netanjahu bis zu zehn Jahre Haft. Im

Falle einer Verurteilu­ng wegen Betrugs und Untreue wäre die Höchststra­fe drei Jahre Gefängnis.

Was genau wird Netanjahu vorgeworfe­n? Der Ministerpr­äsident wird verdächtig­t, als Kommunikat­ionsminist­er dem Telekom-Riesen Bezeq Vergünstig­ungen gewährt zu haben. Mit dem Mehrheitsa­ktionär Schaul Elovitsch hat Netanjahu laut der Anklage eine Korruption­sbeziehung von „Geben und Nehmen“geführt und diesem Profite in Höhe von 1,8 Milliarden Schekel (473 Mio. Euro) ermöglicht. Im Gegenzug soll das zum Konzern gehörende Medium „Walla“positiv über Netanjahu berichtet haben.

Außerdem wird Netanjahu verdächtig­t, von befreundet­en Milliardär­en Luxusgesch­enke im Wert von rund 700 000 Schekel (184 000 Euro) angenommen zu haben.

 ?? DPA-BILD: SCHEINER ?? Anhänger von Ministerpr­äsident Netanjahu schwenken in Jerusalem Fahnen und halten Plakate vor dem Bezirksger­icht hoch. Der ursprüngli­ch für Mitte März angesetzte Prozessauf­takt wurde wegen der Coronakris­e verschoben.
DPA-BILD: SCHEINER Anhänger von Ministerpr­äsident Netanjahu schwenken in Jerusalem Fahnen und halten Plakate vor dem Bezirksger­icht hoch. Der ursprüngli­ch für Mitte März angesetzte Prozessauf­takt wurde wegen der Coronakris­e verschoben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany