Nordwest-Zeitung

Er könnte Trump schlagen

Weshalb die Öffentlich­keit Joe Biden aktuell manche Fehltritte vergibt

- VON FRIEDEMANN DIEDERICHS, BÜRO WASHINGTON

Der konservati­ve US-Nachrichte­nsender Fox News hat seit dem Wochenende ein neues Ratespiel im Programm. Das geht so: Eingeblend­et werden Aussagen des demokratis­chen Präsidents­chafts-Kandidaten Joe Biden, der sich seit Monaten mit kurzen Videos aus dem Keller seiner Villa meldet. Vier Experten müssen dann versuchen zu erklären, was Biden denn dem Volk sagen will. Da sich der 77-jährige Politiker oft damit schwertut, sein Programm verständli­ch zu formuliere­n, ist für ausreichen­d Lacher gesorgt. Frei nach der Devise: Wer den Schaden hat, muss für den Spott nicht sorgen.

Spott und Kritik

Und Spott oder handfeste Kritik hagelte es auch am Wochenende wieder für den designiert­en Trump-Herausford­erer vor allem aus dem Republikan­er-Lager. Biden hatte in einem Radio-Interview erklärt: Wer als Afro-Amerikaner nicht wisse, ob er für ihn oder Trump stimmen solle, der sei eben kein Schwarzer. Sprich: Farbige müssten sich ohne Vorbehalte hinter ihn stellen und dürften keine abweichend­e politische Meinung haben, wollten sie nicht die eigene Rasse verraten. Das war harter Tobak.

Doch im Lager der Liberalen fand sich kaum eine prominente Figur, die Biden den Tritt ins große Fettnäpfch­en vorhielt. Und während die meisten großen US-Sender den Fauxpas des Kandidaten zumindest vermeldete­n, gab es bei CNN – dem den Demokraten unverhohle­n nahestehen­den Kanal – erst einmal

überhaupt keine Berichters­tattung.

Auch dies passt zum Trend, der den Umgang von Amerikas Liberalen mit Biden ausmacht: Dem Bewerber werden bislang alle Sünden achselzuck­end vergeben, weil man die Chancen der Demokraten nicht beschädige­n will, im November Präsident Trump eine zweite Amtszeit zu verwehren.

Die legitime Frage, ob Biden als Vizepräsid­ent unter Barack Obama seinem Sohn Hunter dabei behilflich war, ohne besondere Qualifikat­ion einen gut bezahlten Job bei einer ukrainisch­en Energiefir­ma zu bekommen, ist von den Demokraten längst zum unerwünsch­ten Thema erklärt worden. Und auch die Vorwürfe der früheren Biden-Mitarbeite­rin Tara Reade, der damalige Senator habe sie sexuell missbrauch­t, sind kurzerhand als unglaubwür­dig und als für den beabsichti­gten Wahlerfolg störend erklärt worden.

Die prominente liberale Feministin Katha Pollitt, die sich in den letzten Jahren immer wieder dafür einsetzte, bei Missbrauch­svorwürfen Frauen Glauben zu schenken, schrieb jetzt sogar: „Ich würde selbst dann für Joe Biden stimmen, wenn er Babys kochen und sie verspeisen würde.“Ihren spektakulä­ren Schwenk erklärte Pollitt dann so: Man habe nicht den Luxus, sich bei der anstehende­n Wahl durch moralische Bedenken leiten zu lassen.

Ein Scherz?

Diese Devise scheint auch für enge Biden-Mitarbeite­r zu gelten – wie beispielsw­eise seine enge Kampagnen-Beraterin Symone Sanders, eine AfroAmerik­anerin. Als Journalist­en sie am Wochenende zu den provokante­n Aussagen des Demokraten befragten, bemerkte sie: Biden haben seine Worte doch nur „im

Scherz“gewählt. Ihr Chef versuchte sich unterdesse­n an einer Entschuldi­gung. Er hätte, so Biden, wohl nicht „so salopp“formuliere­n sollen.

Trotz dieser Leichtigke­it bleibt weiter unklar, inwieweit Tara Reade mit ihren Vorwürfen eines sexuellen Übergriffs in den 1990er Jahren Biden wirklich noch in Bedrängnis bringen kann. Zuletzt lief es aber nicht gut für sie.

Aus informiert­en Kreisen erfuhr die Nachrichte­nagentur AP, dass gegen Reade seit Kurzem eine Untersuchu­ng wegen mutmaßlich­en Meineids läuft, weil sie fälschlich­erweise angab, einen Universitä­tsabschlus­s von der Universitä­t Antioch zu haben, als sie als mögliche Sachverstä­ndige zu häuslicher Gewalt in einem Prozess befragt wurde.

Glaubwürdi­gkeit wichtig

Am Freitag kündigte ihr Anwalt Douglas Wigdor an, dass er sie im Fall gegen Biden nicht mehr vertreten werde. Ob aus diesem Grund oder einem anderen, sagte er nicht.

Reade brachte die Anschuldig­ung gegen Biden erstmals im März öffentlich vor, wurde dafür von einigen als Heldin gefeiert, sah sich aber auch mit zahlreiche­n Anfeindung­en konfrontie­rt. 1992 bekam Reade einen Job beim damaligen Senator Biden. Hier sei sie Opfer eines Übergriffs geworden, als Biden sie auf einem Flur begrapscht und mit dem Finger in sie eingedrung­en sei, sagt sie. Biden weist die Vorwürfe vehement zurück.

Ein Vorwurf, wie Reade ihn erhoben hat, kann oft nicht endgültig geklärt werden, wenn es keine Zeugen und keine Polizeiber­ichte gibt. Daher spielt nun die Glaubwürdi­gkeit eine entscheide­nde Rolle.

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BILD: EVAN VUCCI Joe Biden im Studio des Senders CNN in Washington. Eine frühere Mitarbeite­rin erhob gegen den Ex-Senator Missbrauch­svorwürfe.

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