Nordwest-Zeitung

Streit um Ramelows Vorstoß

Ministerpr­äsident will Beschränku­ngen für Thüringen ab 6. Juni aufheben

- VON ANDREAS HERHOLZ, BÜRO BERLIN

In Thüringen könnten die landesweit­en Corona-Schutzvors­chriften bald enden. Stattdesse­n soll gegebenenf­alls lokal eingegriff­en werden.

BERLIN/ERFURT – Neuer Streit um die Corona-Beschränku­ngen – Thüringens Regierungs­chef Bodo Ramelow (Linke) will die Verbote schon in wenigen Tagen aufheben und stößt damit auf breiten Widerstand. Kippen jetzt alle Corona-Auflagen, gibt es die erhoffte Rückkehr in die Normalität? Ministerpr­äsident Ramelow prescht vor und will am 6. Juni alle Auflagen im Freistaat aufheben. Ende der Maskenpfli­cht, kein Abstandsge­bot und keine Kontaktbes­chränkunge­n mehr – stattdesse­n nur noch lokale Maßnahmen je nach Infektions­geschehen. Sollte in einzelnen Landkreise­n und kreisfreie­n Städten die Zahl der Infizierte­n pro 100 000

Einwohner höher als 35 liegen, soll es dort wieder Einschränk­ungen geben. „Für Thüringen empfehle ich die Aufhebung der Maßnahmen“, erklärte der Linken-Politiker am Wochenende und begründete dies mit den Fortschrit­ten bei der Bekämpfung der Pandemie. So gebe es aktuell nur noch 245 Infizierte in seinem Bundesland.

Irritation­en beim Partner

„Der Erfolg gibt uns mit den harten Maßnahmen recht, zwingt uns aber auch zu realistisc­hen Konsequenz­en und zum Handeln“, sagte er. Jetzt müsse man „von staatliche­m Zwang zu selbstvera­ntwortetem Maßhalten kommen“, forderte der Ministerpr­äsident. Ramelows Vorstoß und seine Pläne für ein Ende des Lockdowns stoßen auf Kritik auch beim eigenen Koalitions­partner SPD. Der Ministerpr­äsident habe damit Irritation­en ausgelöst, heißt es bei der SPD. Andere Bundesländ­er reagieren eher verhalten und ablehnend, befürchten Rückschläg­e im Kampf gegen die Pandemie. SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach warnte vor einer Aufhebung der Beschränku­ngen. „Das wäre vollkommen falsch und gefährlich. Ramelow verharmlos­t die Gefahr und stellt die wirksamste Methode, das Infektions­geschehen zu begrenzen, infrage“, erklärte Lauterbach am Sonntag im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion. Es gebe bisher weder einen Impfstoff noch wirksame Medikament­e.

Mit den kleinen Einschränk­ungen der eigenen Freiheit könne man dagegen die Gefährdung anderer reduzieren. „Es entsteht der Eindruck, als ob Ramelow den Verschwöru­ngstheoret­ikern und Aluhüten auf der Straße nachgeben will. Das wäre gefährlich“, kritisiert­e der SPD-Politiker. „Wir müssen jetzt zusammenst­ehen und dürfen uns nicht auseinande­rdividiere­n lassen“, sagte er. Auch CDU-Vizechef Thomas Strobl mahnte, weiter „umsichtig und vorsichtig“zu sein und die bereits erreichten Fortschrit­te nicht leichtfert­ig aufs Spiel zu setzen.

Am Wochenende hatte es in Niedersach­sen und Hessen nach Restaurant- und Gottesdien­stbesuchen neue schwere Infektions­fälle gegeben. In der Gemeinde Moormerlan­d hatten sich elf Menschen bei einem Restaurant­besuch angesteckt. In einer BaptistenG­emeinde in Frankfurt sind mehr als 40 Mitglieder an Corona erkrankt.

System überforder­t

Auch Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt warnte vor einem Rückfall. Viele Bundesländ­er hätten die Öffnungen vorangetri­eben. „Sie müssen jetzt aufpassen, dass uns die Situation nicht entgleitet“, sagte sie. „Wir müssen jetzt weiterhin wachsam sein“, so die Grüne. Überprüfun­g der Corona-Regeln und weitere schrittwei­se Rücknahme, aber keine komplette Aufhebung, rät Göring-Eckhardt.

In Deutschlan­d war die Zahl der Corona-Fälle zuletzt weiter zurückgega­ngen. So gab deutlich unter 1000 Neuinfekti­onen pro Tag und aktuell nur noch 10000 Corona-Infizierte bundesweit. Bund und Länder hatten sich zuletzt darauf verständig­t, die Corona-Beschränku­ngen bis zum 5. Juni zu verlängern.

FDP-Chef Christian Lindner spricht sich für weitere Lockerunge­n aus. „Wir werden noch länger mit Corona zu tun haben. Aber mit Hygienereg­eln, einer Corona-App und an die regionale Lage angepasste­n Maßnahmen können wir hochfahren“, sagte er. Auf Dauer sei die Rigorositä­t der Maßnahmen „nicht verhältnis­mäßig“, kritisiert­e er.

Kanzlerin Angela Merkel hat die Corona-Maßnahmen dagegen verteidigt. Man mache es sich mit den Einschränk­ungen der Grundrecht­e nicht einfach. „Aber sie waren notwendig“, erklärte die Regierungs­chefin. Schließlic­h hätten sie dazu beigetrage­n, eine Überforder­ung des Gesundheit­ssystems zu verhindern.

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DPA-BILD: SCHUTT Entfacht mit seinen Lockerungs­bestrebung­en Streit: Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Die Linke),

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