Streit um Ramelows Vorstoß
Ministerpräsident will Beschränkungen für Thüringen ab 6. Juni aufheben
In Thüringen könnten die landesweiten Corona-Schutzvorschriften bald enden. Stattdessen soll gegebenenfalls lokal eingegriffen werden.
BERLIN/ERFURT – Neuer Streit um die Corona-Beschränkungen – Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow (Linke) will die Verbote schon in wenigen Tagen aufheben und stößt damit auf breiten Widerstand. Kippen jetzt alle Corona-Auflagen, gibt es die erhoffte Rückkehr in die Normalität? Ministerpräsident Ramelow prescht vor und will am 6. Juni alle Auflagen im Freistaat aufheben. Ende der Maskenpflicht, kein Abstandsgebot und keine Kontaktbeschränkungen mehr – stattdessen nur noch lokale Maßnahmen je nach Infektionsgeschehen. Sollte in einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten die Zahl der Infizierten pro 100 000
Einwohner höher als 35 liegen, soll es dort wieder Einschränkungen geben. „Für Thüringen empfehle ich die Aufhebung der Maßnahmen“, erklärte der Linken-Politiker am Wochenende und begründete dies mit den Fortschritten bei der Bekämpfung der Pandemie. So gebe es aktuell nur noch 245 Infizierte in seinem Bundesland.
Irritationen beim Partner
„Der Erfolg gibt uns mit den harten Maßnahmen recht, zwingt uns aber auch zu realistischen Konsequenzen und zum Handeln“, sagte er. Jetzt müsse man „von staatlichem Zwang zu selbstverantwortetem Maßhalten kommen“, forderte der Ministerpräsident. Ramelows Vorstoß und seine Pläne für ein Ende des Lockdowns stoßen auf Kritik auch beim eigenen Koalitionspartner SPD. Der Ministerpräsident habe damit Irritationen ausgelöst, heißt es bei der SPD. Andere Bundesländer reagieren eher verhalten und ablehnend, befürchten Rückschläge im Kampf gegen die Pandemie. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach warnte vor einer Aufhebung der Beschränkungen. „Das wäre vollkommen falsch und gefährlich. Ramelow verharmlost die Gefahr und stellt die wirksamste Methode, das Infektionsgeschehen zu begrenzen, infrage“, erklärte Lauterbach am Sonntag im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion. Es gebe bisher weder einen Impfstoff noch wirksame Medikamente.
Mit den kleinen Einschränkungen der eigenen Freiheit könne man dagegen die Gefährdung anderer reduzieren. „Es entsteht der Eindruck, als ob Ramelow den Verschwörungstheoretikern und Aluhüten auf der Straße nachgeben will. Das wäre gefährlich“, kritisierte der SPD-Politiker. „Wir müssen jetzt zusammenstehen und dürfen uns nicht auseinanderdividieren lassen“, sagte er. Auch CDU-Vizechef Thomas Strobl mahnte, weiter „umsichtig und vorsichtig“zu sein und die bereits erreichten Fortschritte nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen.
Am Wochenende hatte es in Niedersachsen und Hessen nach Restaurant- und Gottesdienstbesuchen neue schwere Infektionsfälle gegeben. In der Gemeinde Moormerland hatten sich elf Menschen bei einem Restaurantbesuch angesteckt. In einer BaptistenGemeinde in Frankfurt sind mehr als 40 Mitglieder an Corona erkrankt.
System überfordert
Auch Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt warnte vor einem Rückfall. Viele Bundesländer hätten die Öffnungen vorangetrieben. „Sie müssen jetzt aufpassen, dass uns die Situation nicht entgleitet“, sagte sie. „Wir müssen jetzt weiterhin wachsam sein“, so die Grüne. Überprüfung der Corona-Regeln und weitere schrittweise Rücknahme, aber keine komplette Aufhebung, rät Göring-Eckhardt.
In Deutschland war die Zahl der Corona-Fälle zuletzt weiter zurückgegangen. So gab deutlich unter 1000 Neuinfektionen pro Tag und aktuell nur noch 10000 Corona-Infizierte bundesweit. Bund und Länder hatten sich zuletzt darauf verständigt, die Corona-Beschränkungen bis zum 5. Juni zu verlängern.
FDP-Chef Christian Lindner spricht sich für weitere Lockerungen aus. „Wir werden noch länger mit Corona zu tun haben. Aber mit Hygieneregeln, einer Corona-App und an die regionale Lage angepassten Maßnahmen können wir hochfahren“, sagte er. Auf Dauer sei die Rigorosität der Maßnahmen „nicht verhältnismäßig“, kritisierte er.
Kanzlerin Angela Merkel hat die Corona-Maßnahmen dagegen verteidigt. Man mache es sich mit den Einschränkungen der Grundrechte nicht einfach. „Aber sie waren notwendig“, erklärte die Regierungschefin. Schließlich hätten sie dazu beigetragen, eine Überforderung des Gesundheitssystems zu verhindern.