„Zweite Welle der Infektionen sehr wahrscheinlich“
Interview mit Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt zu Lockerungen
Herr Reinhardt, die Zahl der aktiven Corona-Fälle in Deutschland ist unter 10 000 gefallen. Haben wir den Kampf gegen die Pandemie bestanden? Reinhardt: Es sieht so aus, als seien wir bei den Erstinfektionen über den Berg. Das kann sich aber wieder ändern. Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir eine zweite Welle der CoronaPandemie erleben werden, weil wir keine ausreichende Immunität in der Bevölkerung haben. Wir sollten jetzt diese Phase nutzen, um uns so gut wie möglich darauf vorzubereiten.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow will im Juni alle Corona-Beschränkungen aufheben. Ist es an der Zeit für eine Rückkehr zur Normalität? Reinhardt: Es hat ja bereits zahlreiche Lockerungen gegeben. In vielen Bereichen haben wir bereits ein gewisses Maß an Normalität erreicht. Wir sollten jetzt die Forschung vorantreiben und das Krisenmanagement der vergangenen Monate genau analysieren, um im Fall eines neuen Aufflackerns der Epidemie mit intelligenten Maßnahmen reagieren zu können. Der öffentliche Gesundheitsdienst muss schnell und umfassend ausgebaut werden. Die Corona-App muss endlich eingeführt werden. Sie könnte von großer Bedeutung sein, wenn es neue Infektionsherde geben sollte. Man muss dafür sorgen, dass sie möglichst in der jeweiligen Region eingegrenzt wird. Wir müssen viel effizienter und gerade bei der Nachverfolgung der Infektionsketten noch besser werden.
Sollte jetzt flächendeckend auf Corona getestet werden? Reinhardt: Das zweite Infektionsschutzgesetz schafft ja die Möglichkeiten für deutliche Ausweitungen der Tests. Jetzt muss verstärkt in Kliniken und Alten- und Pflegeheimen getestet werden. Dort gibt es viele, die womöglich an Corona erkrankt sind, es aber gar nicht wissen. Da gilt es, engmaschig zu kontrollieren, um vor allem Risikogruppen zu schützen und Ansteckungen zu verhindern. Das bedeutet aber auch, dass Personal unter Umständen ausfällt und ersetzt werden muss. Da braucht es vorausschauende Planung.
Wie steht es mit der Ausstattung von Schutzkleidung und Masken?
Reinhardt: Es hat lange gedauert, aber inzwischen sind wir deutlich besser ausgestattet. Vor allem in den Alten- und Pflegeheimen hat es große Defizite gegeben. Man hat die Heime überfordert und allein gelassen. Natürlich gibt es immer noch Ausnahmen. Aber im Großen und Ganzen hat sich die Lage entspannt.