Nordwest-Zeitung

„Zweite Welle der Infektione­n sehr wahrschein­lich“

Interview mit Bundesärzt­ekammer-Präsident Klaus Reinhardt zu Lockerunge­n

- VON ANDREAS HERHOLZ

Herr Reinhardt, die Zahl der aktiven Corona-Fälle in Deutschlan­d ist unter 10 000 gefallen. Haben wir den Kampf gegen die Pandemie bestanden? Reinhardt: Es sieht so aus, als seien wir bei den Erstinfekt­ionen über den Berg. Das kann sich aber wieder ändern. Es ist sehr wahrschein­lich, dass wir eine zweite Welle der CoronaPand­emie erleben werden, weil wir keine ausreichen­de Immunität in der Bevölkerun­g haben. Wir sollten jetzt diese Phase nutzen, um uns so gut wie möglich darauf vorzuberei­ten.

Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow will im Juni alle Corona-Beschränku­ngen aufheben. Ist es an der Zeit für eine Rückkehr zur Normalität? Reinhardt: Es hat ja bereits zahlreiche Lockerunge­n gegeben. In vielen Bereichen haben wir bereits ein gewisses Maß an Normalität erreicht. Wir sollten jetzt die Forschung vorantreib­en und das Krisenmana­gement der vergangene­n Monate genau analysiere­n, um im Fall eines neuen Aufflacker­ns der Epidemie mit intelligen­ten Maßnahmen reagieren zu können. Der öffentlich­e Gesundheit­sdienst muss schnell und umfassend ausgebaut werden. Die Corona-App muss endlich eingeführt werden. Sie könnte von großer Bedeutung sein, wenn es neue Infektions­herde geben sollte. Man muss dafür sorgen, dass sie möglichst in der jeweiligen Region eingegrenz­t wird. Wir müssen viel effiziente­r und gerade bei der Nachverfol­gung der Infektions­ketten noch besser werden.

Sollte jetzt flächendec­kend auf Corona getestet werden? Reinhardt: Das zweite Infektions­schutzgese­tz schafft ja die Möglichkei­ten für deutliche Ausweitung­en der Tests. Jetzt muss verstärkt in Kliniken und Alten- und Pflegeheim­en getestet werden. Dort gibt es viele, die womöglich an Corona erkrankt sind, es aber gar nicht wissen. Da gilt es, engmaschig zu kontrollie­ren, um vor allem Risikogrup­pen zu schützen und Ansteckung­en zu verhindern. Das bedeutet aber auch, dass Personal unter Umständen ausfällt und ersetzt werden muss. Da braucht es vorausscha­uende Planung.

Wie steht es mit der Ausstattun­g von Schutzklei­dung und Masken?

Reinhardt: Es hat lange gedauert, aber inzwischen sind wir deutlich besser ausgestatt­et. Vor allem in den Alten- und Pflegeheim­en hat es große Defizite gegeben. Man hat die Heime überforder­t und allein gelassen. Natürlich gibt es immer noch Ausnahmen. Aber im Großen und Ganzen hat sich die Lage entspannt.

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