Nordwest-Zeitung

Ärzte gegen Pflichtein­satz

Ärztekamme­r-Präsidenti­n Wenker schließt Gang zum Verfassung­sgericht nicht aus

- VON STEFAN IDEL, BÜRO HANNOVER

HANNOVER/KNA – Kritik an einer von Niedersach­sens Landesregi­erung geplanten Zwangsverp­flichtung von Medizinern während einer Epidemie kommt von der Ärztegewer­kschaft Marburger Bund. Eine drohende Zwangsrekr­utierung „wäre ein absolut falsches Signal“, sagte der Erste Landesvors­itzende Hans Martin Wollenberg. Diese Regelung stelle „einen erhebliche­n Eingriff in Grund- und Persönlich­keitsrecht­e von Beschäftig­ten im Gesundheit­swesen dar“, hieß es.

Ein geplantes Gesetz zur Bekämpfung von Epidemien sorgt in der Ärzteschaf­t und bei Pflegenden für Empörung. Dr. Martina Wenker, Präsidenti­n der Ärztekamme­r Niedersach­sen, warnt SPD und CDU.

Frau Dr. Wenker, die SPD/ CDU-Landesregi­erung plant ein Gesetz, um bei einer „epidemisch­en Lage von landesweit­er Tragweite“medizinisc­hes und pflegerisc­hes Personal zwangsverp­flichten zu können. Wie beurteilen Sie den Plan? Wenker: Das ist ein massiver Eingriff in die Freiheitsr­echte. Das Grundgeset­z schützt in Artikel 12 die freie Berufswahl. Dieses niedersäch­sische Gesetz kann die Ärzteschaf­t so nicht hinnehmen. Und man fragt sich: Warum kommt dieses Gesetz denn jetzt? Wir haben die erste Corona-Welle erstaunlic­h gut gemeistert. Viele haben sich freiwillig und engagiert beteiligt. Sie stößt man mit so einer Gesetzesvo­rlage geradezu vor den Kopf. Ich kann nur warnen vor solchen „Zwangsrekr­utierungen“.

Wie viele haben sich denn engagiert?

Wenker: Über die Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen haben wir 42 000 Mediziner angeschrie­ben. Wie viele sich konkret wo gemeldet haben, kann ich noch nicht sagen. Es gab eine ungeheure Welle der Hilfsberei­tschaft. Viele Ärzte haben ihre Hilfe angeboten, darunter viele Pensionäre – bis hin zu einem 84-jährigen Gynäkologe­n, der anbot, Proben vorzunehme­n. Auch Medizinstu­denten haben zuhauf auf einer eigens gegründete­n Plattform Hilfe angeboten. Alle zusammen haben sich sehr ins Zeug gelegt. Dieses hohe freiwillig­e Engagement brauchen wir auch bei einer zweiten und dritten Infektions­welle, die gewiss kommen werden. Daher empfinde ich die Gesetzesvo­rlage als Reaktion auf den bisher in Niedersach­sen sehr erfolgreic­hen Weg der Krisenbekä­mpfung als geradezu kontraprod­uktiv.

Die rot-schwarze Landesregi­erung plant die „Rekrutieru­ngen“über einen Zeitraum von zwei Monaten. Was sollte man denn vorausscha­uend auf die nächste Corona-Welle tun? Wenker: Wenn man etwas vo

rausschaue­nd tun will, sollte man nach Nordrhein-Westfalen schauen. Dort wurde ein ähnlicher Vorschlag zur Zwangsrekr­utierung bereits aus dem Gesetzgebu­ngsverfahr­en genommen. Übrigens hat auch Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) von entspreche­nden Planungen Abstand genommen. Wir sollten die Zeit nutzen und ein Freiwillig­enregister aufstellen. Da gehören dann alle dazu, beispielsw­eise auch Hebammen, Pflegekräf­te oder Physiother­apeuten. Man sollte jetzt wertschätz­end auf alle Gesundheit­sfachberuf­e zugehen.

Bei so einem Freiwillig­enregister arbeiten wir gerne mit, wenn der Staat nicht die Keule zückt.

Wo sollte das Freiwillig­enregister angesiedel­t sein? Im Sozialmini­sterium?

Wenker: Das wäre zu überlegen. Eine Ansiedlung beim Sozialund Gesundheit­sministeri­um macht insofern Sinn, wenn es alle Gesundheit­sfachberuf­e betrifft. Die Aufrufe sollten aber die Kammern und Berufsverb­ände machen.

Einmal angenommen, die Gesetzesvo­rlage bekommt dennoch eine Mehrheit im Landtag. Was würde passieren? Wenker: Sollte es bei den Plänen für eine Zwangsrekr­utierung bleiben, wird es einen gewaltigen Aufschrei in der Ärzteschaf­t geben. Ich kann mir vorstellen, dass betroffene Ärzte bis vors Bundesverf­assungsger­icht gehen werden. Der Artikel 12 ist recht klar formuliert. Übrigens: Für viele Ärzte und Pflegekräf­te war die Situation in den vergangene­n Wochen sehr belastend. Für den Fall, dass das Gesetz eine Mehrheit bekommt, befürchte ich, dass diese Berufsgrup­pen in eine innere Resignatio­n gehen und nur noch Dienst nach Vorschrift machen werden.

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